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Julian Gressel, das letzte Mal haben wir vor ziem­lich genau einem Jahr gespro­chen, nach dem Playoff-Aus in der ersten Runde. Jetzt stehen Sie mit Atlanta United in den Con­fe­rence Finals. Wie sind die Chancen auf den Titel?

Rea­lis­tisch betrachtet sind noch vier Mann­schaften dabei und alle können sich berech­tigte Hoff­nungen auf die Meis­ter­schaft machen. Wir haben eine gute Saison gespielt, aber die Play­offs sind die Play­offs. Zwei Spiele gegen eine starke Mann­schaft (New York City FC, Anm. d. Red.) haben wir sieg­reich gestalten können und jetzt müssen wir gucken, wie es wei­ter­geht. Aber ein Finale zu Hause, im eigenen Sta­dion, davon träumen wir alle schon seit Sai­son­be­ginn.

Gegen wen würden Sie da am liebsten spielen, Port­land oder Kansas City?

Wahr­schein­lich die Port­land Tim­bers. Kansas City ist eine starke Mann­schaft, die richtig guten Fuß­ball spielt. Port­land wäre viel­leicht etwas ein­fa­cher.

Der nächste Gegner heißt aber erstmal New York Red Bulls. In Deutsch­land wird das Enga­ge­ment von Diet­rich Mate­schitz im Fuß­ball nicht unbe­dingt positiv wahr­ge­nommen, um es vor­sichtig aus­zu­drü­cken. Wie ist das in den USA?

Das ist über­haupt nicht so, denn bei den anderen Fran­chises ist es ja nicht anders. Alle starten unter sol­chen Bedin­gungen, mit finanz­starken Inves­toren und Team-Grün­dern. So funk­tio­niert das System nun mal. Ob das jetzt eine Pri­vat­person oder ein Geträn­ke­her­steller ist, spielt in der Wahr­neh­mung hier­zu­lande keine Rolle.

Ihr zweites Jahr in der MLS ist zwar noch nicht vorbei, aber können Sie den­noch ein vor­läu­figes Fazit ziehen? Hat sich in der Liga etwas ver­än­dert?

Ich glaube das all­ge­meine Niveau steigt von Jahr zu Jahr. Es fließt mehr Geld in die Ver­eine und die geben es für bes­sere, jün­gere Spieler aus. Stei­gende Gehälter erhöhen die Attrak­ti­vität für einen Wechsel. Dadurch wird die Liga jedes Jahr besser. Auch neue Fran­chises, wie in diesem Jahr Los Angeles FC mit einer rie­sigen Fan­base, bringen neuen Schwung rein. Die haben in LA einen rie­sigen Boom aus­ge­löst. Das hilft natür­lich in Sachen Qua­lität und der Wahr­neh­mung des Sports hier.

Der 18-jäh­rige Alphonso Davies vom MLS-Klub Van­couver White­caps wech­selt jetzt für 10 Mil­lionen Euro zum FC Bayern. Werden Spieler irgend­wann den umge­kehrten Weg gehen?

Das ulti­ma­tive Ziel ist immer noch, in einer der großen euro­päi­schen Ligen zu spielen. Das wird sich auch in abseh­barer Zukunft nicht ändern. Wer jung ist und in Europa eine Chance sieht, wird dort bleiben wollen. Da hat die MLS aktuell schlechte Karten. Die Ent­wick­lung der Liga braucht Jahre und Jahr­zehnte. Viel­leicht ändert sich das irgend­wann, aber für den Moment sehe ich es nicht kommen.

Und wie lief es für Sie per­sön­lich? Letztes Jahr wurden Sie ja schon zum Rookie of the Year“ gewählt.

Aus­ge­spro­chen gut! Ich habe da wei­ter­ge­macht, wo ich auf­ge­hört habe. Bis auf eines habe ich alle Spiele von Anfang an gemacht, meine Sta­tis­tiken sind besser geworden und meine Leis­tungen kon­stanter. Nach so einem ersten Jahr kommt man natür­lich besser in die Mann­schaft rein. Letztes Jahr war ja auch über­haupt die erste Saison für den ganzen Klub. Das Grund­ge­rüst stand dieses Jahr also und mein Anspruch war, darin zum Leis­tungs­träger auf­zu­steigen. Das ist mir gelungen. Egal, wo ich ein­ge­setzt wurde. Was, ohne über­heb­lich klingen zu wollen, eine meiner Qua­li­täten ist – ich kann da spielen, wo der Trainer mich braucht.

Apropos Trainer. Ihr Erfolgs­coach Gerardo Mar­tino wird den Klub nach der Saison ver­lassen. Über­wiegt die Wehmut oder sind Sie mehr gespannt, was danach kommt?

Ein biss­chen Wehmut ist auf jeden Fall dabei. Er ist ein Trainer, der auf mich gesetzt hat, mich mochte und meine Kar­riere dadurch ordent­lich ange­schoben hat. Er hat mich ständig spielen lassen und mich wei­ter­ge­bracht. Dem­entspre­chend ist es natür­lich schade, dass er geht. Aber ich freue mich auf einen neuen Trainer, neue Ideen und neue Impulse. Das bringt mich als Spieler auch enorm weiter, wenn ich mich wieder anbieten und auf eine neue Spiel­idee ein­stellen muss.

Wie würden Sie Mar­tino als Trainer und Ihr zu ihm Ver­hältnis beschreiben?

Unser Ver­hältnis ist richtig gut. Dadurch, dass er nicht so viel Eng­lisch spricht, haben wir keine tief­grei­fenden phi­lo­so­phi­schen Dis­kus­sionen. Die braucht es auf dem Platz aber auch nicht. Er bringt mehr sehr viel bei, erklärt die kleinsten Details, von denen er denkt, dass sie mir helfen können. All­ge­mein ist er ein Trainer, der unbe­dingt gewinnen will. Er liebt den Offen­siv­fuß­ball, aber der Sieg steht über allem. Des­halb ist er sich auch nicht zu schade, etwas defen­siver auf­zu­stellen. Man hat auch in den Play­offs gesehen, dass die Mann­schaft da sehr fle­xibel ist. Gerade im K.o.-System braucht man das, wenn man wei­ter­kommen möchte. Auch diese Fle­xi­bi­lität habe ich von ihm gelernt.

Merkt man ihr neues Stan­ding auch im Bekannt­heits­grad? 

National kann ich das nicht so gut ein­schätzen, aber in Atlanta kennt man auf jeden Fall mein Gesicht. Wenn ich mit meiner Ver­lobten essen gehe, erkennen mich die Leute – auch ohne Trai­nings­anzug. Das ist aber immer ganz ent­spannt und freund­lich. Die Fans in Atlanta sind ein­fach über­ra­gend. 

Die Euphorie hat also auch im zweiten MLS-Jahr nicht nach­ge­lassen?

Über­haupt nicht. Sie ist eher noch größer geworden. Wahr­schein­lich auch, weil unsere Saison noch etwas besser war. Die Fans wollen den Titel und würden alles dafür geben. Das wirkt sich auch auf uns Spieler aus. Wir sind sehr aktiv in der Com­mu­nity, gehen viel raus zu den Men­schen, schreiben Auto­gramme, sind ein­fach für die Fans da. Und im Gegenzug stehen an jedem Spieltag tau­sende von Leuten vor dem Sta­dion.

Und es ist jedes Mal aus­ver­kauft. Der Zuschau­er­schnitt von über 50.000 ist höher als bei vielen Bun­des­li­ga­ver­einen. Den­noch wird die MLS von Europa immer etwas stief­müt­ter­lich behan­delt.

An anderen Stand­orten mag das anders sein, doch die Fans hier können defi­nitiv mit Europa mit­halten. Was die ver­an­stalten, ist riesig. Wir haben schon so viele Rekorde gebro­chen, was Zuschauer angeht. Hof­fent­lich können wir auch den letzten bre­chen: die meisten Zuschauer bei einem Heim­spiel um den MLS-Cup. Wenn wir dann auch noch den Titel holen, wird die ganze Stadt zu einer ein­zigen, gigan­ti­schen Party.

Zlatan Ibra­hi­movic hat es zwar nicht in die Con­fe­rence Finals geschafft, wurde aber immerhin zum New­comer des Jahres gewählt. Mit 37 Jahren.

(lacht) Ja, das kann man schon mal machen. Ich habe selbst in LA gegen ihn gespielt, hatte auf dem Platz aller­dings nicht so viel mit ihm zu tun. Die Aus­zeich­nung ist aber berech­tigt. Zlatan tut eben Zlatan-Dinge. Er war an allem betei­ligt, was bei Galaxy gut lief, hat wie am Fließ­band getroffen und der Stadt seinen Stempel auf­ge­drückt. Des­halb habe ich bei der Wahl auch für ihn gestimmt.

Ein anderer Alt­star spielt mit Bas­tian Schwein­steiger nach wie vor bei Chi­cago Fire. Wie ist Ihr Ver­hältnis?

Mitt­ler­weile kennt er mich und ich ihn. Es ist nicht mehr so beson­ders, gegen ihn zu spielen. Dass sich alles etwas nor­ma­li­siert hat, liegt wahr­schein­lich auch daran, dass ich mich in der Liga eta­bliert habe.

So sehr, dass in Deutsch­land hier und da schon Ihre Nomi­nie­rung für die sich im Umbruch befin­dende Natio­nal­mann­schaft gefor­dert wird.

(lacht) Schwie­riges Thema. Der Bun­des­trainer nomi­niert die besten Spieler, die er nomi­nieren will. Natür­lich wäre ich lie­bend gerne mal dabei. Aber es gibt in Deutsch­land so eine starke Kon­kur­renz, dass es schwer wird, aus der MLS da rein­zu­rut­schen. Fest steht den­noch: Mein Telefon ist immer auf laut, also kann Jogi gerne mal durch­rufen.

Die Liga steht also im Weg?

Nicht unbe­dingt, denn wenn ich als einer der wenigen Deut­schen in der MLS posi­tive Schlag­zeilen pro­du­ziere, bekommt man das in Deutsch­land ver­mut­lich auch eher mit, als wenn ich einer von vielen bei einem deut­schen Klub wäre. Gleich­zeitig ist die Bun­des­liga immer noch besser als die MLS. Dem­entspre­chend stehen ver­mut­lich noch einige Spieler vor mir auf der Liste des Bun­des­trai­ners.

Gab es denn in der Zwi­schen­zeit Ange­bote aus Europa oder Deutsch­land? Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie, die Bun­des­liga sei nach wie vor ein Traum.

Kon­kret wurde es bisher noch nicht, aber ich weiß, dass ein paar euro­päi­sche Ver­eine schon genauer hin­schauen und mich auf dem Zettel haben. Ich habe da aber keinen Druck, bin super glück­lich hier und fühle mich wohl. Klar bin ich offen für Ange­bote aus Europa. Die Bun­des­liga ist nach wie vor ein Traum. Wenn das klappt, wäre es toll. Wenn nicht, bin ich aber genauso froh hier zu bleiben. Erst recht, wenn wir den Titel holen.