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Da, wo ich her komme, war es ganz normal, dass Fuß­ball still­schwei­gend am Samstag zwi­schen 15:30 Uhr und 18:00 Uhr vom Gesprächs­thema Nummer eins zum Tabu­thema avan­cierte. In stiller Vor­freude auf die Sport­schau bedurfte es keiner Worte. Ein stilles Glück, das auch sehr tref­fend mit der Ruhe vor dem Sturm bezeichnet werden könnte, denn Unkenntnis kann ein Segen sein: Ich will nix wissen!“, höre ich noch heute meinen Vater auto­ritär dröhnen, fähig zu allem, sollte ihm auch nur eine kleine Infor­ma­tion unter­kommen, die irgendein Fuß­ball­ergebnis ledig­lich erahnen lässt. In Kin­der­tagen schüch­terte mich diese bestimmte Ableh­nung eher ein, inzwi­schen ver­stehe ich ihn sehr gut.

Fuß­ball lebt von der Über­ra­schung und der Span­nung – vor allem Aktua­lität kann der Über­ra­schung und Span­nung Aus­druck ver­leihen, sprich: Live-Über­tra­gungen. Leider wurde die Aktua­lität schon vor langer Zeit vom Bezahl­fern­sehen gepachtet und wird inzwi­schen allzu selbst­ver­ständ­lich zu hor­renden Preisen exklusiv ver­marktet.

Da ich mich aus Prinzip wei­gere, an diesem Zirkus teil­zu­nehmen und selbst­ge­rechten Medi­en­mo­gulen Geld in den Rachen zu werfen, gehe ich zum Fuß­ball­gu­cken in eine Kneipe, in der die Spiele meiner Mann­schaft gezeigt werden. Dort sitzen scheinbar Gleich­ge­sinnte und frönen immer wieder sams­tags dem unter­halt­samen Spiel­be­trieb.

Scheinbar gleich­ge­sinnt sind sie nur des­halb, weil mich etwas unter­scheidet: Ich will keine Ergeb­nisse von anderen Spielen wissen. Ich will mir schließ­lich noch in aller Ruhe die Sport­schau zu Gemüte führen. Und damit diese span­nend bleibt, ent­ferne ich mich in der Halb­zeit soweit von der Kneipe, dass ich außer Hör­weite bin. Kein Fuß­ball­ergebnis soll meinen Gehör­gang pene­trieren.

Wird das Spiel nach 90 Minuten abge­pfiffen, bin ich keine zehn Sekunden später schon aus dem Lokal geflohen, denn nach dem Schluss­pfiff wird schnell auf die Kon­fe­renz umge­schaltet – eine Erfin­dung von Sky, die dafür sorgt, dass der geneigte Fuß­ball­gu­cker auf jeden Fall alles in Echt­zeit ver­passt.

Jeder weiß sofort alles

Sitz ich erst in der Kneipe und läuft das Spiel, beginnt der eigent­liche Spieß­ru­ten­lauf. Selbst unbe­ab­sich­tigte soziale Inter­ak­tionen wie scheue Blick­kon­takte werden für mich zur Tortur, ziehen sie doch oft unge­wollte Gespräche über die Gescheh­nisse auf den anderen Plätzen nach sich. Mein Dilemma ist, dass alle sofort alles wissen. Ver­meint­lich smarte Tele­fone und andere Unheils­bringer wie das Ber­liner Fenster (U‑Bahn-TV) machen mir mein Leben mit Regel­mä­ßig­keit zur Hölle.

Es ist, als hätten sich alle mit­tei­lungs­be­dürf­tigen Web 2.0‑Opfer gegen mein selbst­auf­er­legtes Infor­ma­ti­ons­em­bargo am Samstag zwi­schen 15.30 Uhr und 18.00 Uhr ver­schworen: Sie twit­tern wild durch­ein­ander, face­booken sich gegen­seitig, sind am rum­goo­geln und, als wäre die dabei ent­stan­dene Daten­halde nicht schon groß genug, wollen sie mir ihre Infor­miert­heit noch unter die Nase reiben.

In unserer Bil­der­ga­lerie: Die iPho­ni­sie­rung der Fan­kultur »

Ich will keine Ergeb­nisse wissen“, ließ ich einmal in meiner Kneipe einen Tisch­nach­barn mit Smart­phone wissen, der gerade Luft holte, um seine Live-Ticker-Ergebnis-Pre­digt her­un­ter­zu­beten. Er erwi­derte: Bayern liegt hinten!“ Obschon diese Nach­richt grund­sätz­lich sehr erfreu­lich war, war ich nicht erfreut. Glad­bach führ…“, wollte er erneut ansetzen, aber ich unter­brach ihn diesmal unmiss­ver­ständ­lich: NEIN, ich will nix wissen!“ Er plap­perte ein­fach weiter: Stutt­gart hat gerade den Aus­gleich gemacht.“ Es war, als wenn meine Infor­ma­tion in seinem Hirn ein­fach keinen Sinn ergab. Danke“, knurrte ich und hielt mir die Ohren zu.

Scho­ckiert von dem Gesche­henen ver­folgte ich wie in Watte gepackt den Rest der zweiten Halb­zeit und suchte nach dem Abpfiff augen­blick­lich das Weite. In Panik riss ich beim stür­mi­schen Ver­lassen des über­füllten Lokals einen Tisch mit zahl­rei­chen Bieren, Aschen­be­chern und Tabak­waren um. Nor­ma­ler­weise hätte ich den armen Leuten geholfen, ihre Besitz­tümer zusammen zu klauben, viel­leicht würde ich sogar ein ver­schüt­tetes Bier durch ein neues ersetzen. Aber plötz­lich ver­nahm ich: TOOR in Mün­chen!“, ohne mich auch nur einmal reuig umzu­drehen, ver­ließ ich unter hef­tigem Kopf­schüt­teln der übrigen Gäste das Lokal.

Kein deut­sches Pen­dant zum Begriff Spoiler“

Offenbar hatte keiner in der Kneipe Ver­ständnis für mein Dilemma. Nicht von unge­fähr gibt es kein Wort, dass die miss­liche Lage, keine Ergeb­nisse wissen zu wollen, griffig beschreibt. Ganz anders sieht es im Her­kunfts­land des Fuß­balls aus. Im Eng­li­schen kennt man die Angst, dass einem der Spaß an Fuß­ball­be­richt­erstat­tung vor­zeitig genommen wird: Der­je­nige, der den Film rui­niert, indem er das Ende verrät, einem das auf­ge­zeich­nete Spiel ver­saut, weil er laut das Ergebnis ver­kündet, oder auch nur eine Geburts­tags­über­ra­schung ver­ei­telt, wird kurz Spoiler“ genannt.

Mir ist rät­sel­haft, warum es kein deut­sches Pen­dant gibt. Man kann schließ­lich nur das denken oder über das reden, wofür es auch einen Begriff gibt. In diesem Sinne plä­diere ich für eine simple Über­nahme des eng­li­schen Ter­minus´ – auf einen Angli­zismus mehr kommt es jetzt auch nicht mehr an. Haupt­sache keiner spoilt mir die Ergeb­nisse!

Solange mein Kampf gegen Kon­fe­renzen und Live-Ticker nicht erfolg­reich ist, bleibt der ein­zige Mensch, mit dem ich sams­tags zwi­schen 15:30 Uhr und 18:00 Uhr in Kon­takt treten kann, mein Vater. Rufe ich ihn sams­tags an, meldet er sich so am Telefon: NIX VER­RATEN! Ich weiß nix.“ Ich seufze erleich­tert und ant­worte: Keine Angst, Papa, ich auch nicht.“ Schön, dass wir uns so gut ver­stehen.