Im Umgang mit Schocksituationen wie dem Zusammenbruch von Christian Eriksen gibt es für die beteiligten Spieler keine klaren Verhaltensabläufe. Ulf Baranowsky von der Vereinigung deutscher Vertragsfußballspieler (VdV) nimmt die Entscheidungsträger in der Pflicht.
Herr Baranowksy, die Partie zwischen Dänemark und Finnland am vergangenen Samstag wurde nach dem Zusammenbruch von Christian Eriksen noch am selben Abend weitergeführt. Hat Sie das überrascht?
Bei der VDV waren wir sehr verwundert, dass die Begegnung tatsächlich am selben Tag fortgesetzt wurde. Schließlich stand vielen Spielern und Zuschauern der Schreck auf dem Platz noch ins Gesicht geschrieben. Wir haben uns auch gefragt, ob den Entscheidungsträgern bewusst war, welches Zeichen sie damit nach außen senden.
Inwiefern werden Spielergewerkschaften in so einer Situation mit eingebunden? Ist man in Kontakt mit den Spielern?
Unabhängig davon, ob die Kollegen der dänischen Spielergewerkschaft mit den Spielern in Kontakt standen oder nicht, sollte in so einer Extremsituation nicht auf eine schnelle und unüberlegte Entscheidung gedrängt werden. Vielmehr sollte Rücksicht auf die Betroffenen genommen werden. Es braucht Zeit, die Geschehnisse zu verarbeiten und sich mental zu erholen. Und erst danach sollte darüber entschieden werden, wie es weitergeht.
vertritt als Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Vertragsfußballer (VdV) die Interessen von mehr als 1400 Mitglieder*innen. Neben seiner Tätigkeit für die Spielergewerkschaft ist der 46-jährige unter anderem auch ausgebildeter DFB-Trainer und DFB-Vereinsmanager.
Den Berichten nach wurde auf Grundlage eines Face-Time Gespräches des dänischen Teams mit Christian Eriksen aus dem Krankenhaus entschieden, noch am selben Abend weiterzuspielen. Wie kann den Spielern in solchen Ausnahmesituationen die Entscheidung abgenommen werden?
Es ist grundsätzlich gut, die Spieler in bestimmte Entscheidungsprozesse einzubeziehen. In so einer Extremsituation gilt es aber, die Spieler zu schützen und sie nicht noch zusätzlich unter Entscheidungsdruck zu setzen. Es dürfte auch nur wenige Spieler geben, die in so einer Situation einen kühlen Kopf bewahren und gleichzeitig die notwendige Energie aufbringen können, um Entscheidungsträgern in Streitgesprächen die Stirn zu bieten. Darum ist es wichtig, bereits im Vorfeld Handlungsleitfäden für bestimmte Krisensituationen unter Einbeziehung aller Beteiligten zu entwickeln.
Gibt es bereits konkrete Entscheidungsprozesse in der Bewertung solcher Ausnahmesituationen?
In Deutschland haben wir damit schon gute Erfahrungen gemacht. Aktuell wird beispielsweise der Drei-Stufen-Plan gegen diskriminierendes Verhalten in den Stadien weiterentwickelt – unter Einbeziehung der Klubverantwortlichen und der Spielergewerkschaft.
„Andernfalls kann nämlich sehr schnell der Eindruck entstehen, dass den Entscheidungsträgern kommerzielle Interessen wichtiger sind als menschliche Schicksale“
Nun war der Fall Eriksen nicht die erste Extremsituation in den vergangenen Jahren. Wir erinnern uns zum Beispiel an den Angriff auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund vor der Champions League Partie gegen AS Monaco. Gibt es bereits konkrete Bestrebungen von Spielergewerkschaften, etwas zu ändern?
Nach den tödlichen Herzattacken von Profis in den 90er-Jahren (Axel Jüptner, Michael Klein Anm. d. Red.) wurde auf Druck der VDV die jährliche kardiologische Pflichtuntersuchung im deutschen Profifußball eingeführt. Dies war ein wichtiger Schritt, ist aber noch lange nicht das Ende des Weges. Alle Verantwortlichen sind aufgerufen, sowohl den Gesundheitsschutz weiter zu verbessern als auch Kriseninterventionspläne fortlaufend zu optimieren.
Dänemarks Torhüter Kasper Schmeichel hat die UEFA nach der Partie gegen Finnland kritisiert und sagt, das dänische Team sei „nicht fair“ behandelt worden. Wie sehen Sie die Rolle des Verbands in der Situation?
Ganz klar: In so einer Situation sollte es Konsens sein, Druck von den Spielern zu nehmen und sie nicht noch zusätzlichem Stress auszusetzen. Zudem gilt es, deutliche Zeichen des Respekts und des Mitgefühls an die Betroffenen zu senden. Andernfalls kann nämlich sehr schnell der Eindruck entstehen, dass den Entscheidungsträgern kommerzielle Interessen wichtiger sind als menschliche Schicksale.