Roberto Carlos wird heute 50 Jahre alt. Über seinen Freistoß gegen Frankreich kann man eine wissenschaftliche Abhandlungen schreiben.
Dieser Text erschien erstmals im April 2018.
Roberto Carlos nahm sich ein bisschen mehr Zeit als sonst. Er legte den Ball auf die Stelle, an der Romario gefoult worden war, und blickte auf das Tor, das sich 35, vielleicht 37 Meter entfernt befand. Dann trat er den Ball mit dem linken Außenrist rechts an der Mauer vorbei. Der Ball flog, und es sah so aus, als lande er einige Meter neben dem Tor. Ein Fotograf, der links neben dem Tor postiert war, duckte sich.
Und dann knallte der Ball vom Innenpfosten ins Tor. Keeper Fabien Barthez bewegte sich nicht, er realisierte die Situation erst, als der Ball im Netz lag.
Es war der 3. Juni 1997, ein Spiel zwischen Brasilien Frankreich, Mini-WM nannte sich die Veranstaltung, keine große Sache, eher ein Test-Event ein Jahr vor der WM 1998. Doch dieses Tor brachte die Welt in Wallung.
„Physiker werden verzweifeln“
Die „Sunday Times“ brachte eine Woche später unter dem Titel „How did he do that?“ eine dreiseitige Reportage über Carlos’ Schuss. Darin kamen allerhand Physiker und Fußballexperten zu Wort, unter anderem wurde Robert Romer vom „American Journal of Physics“ zitiert. Er sagte: „Es interessieren mich eigentlich nur noch zwei Dinge: Zum einen die einheitliche Feldtheorie oder Weltformel. Zum anderen die Frage, warum ein Ball eine Kurve nehmen kann. Ich denke, zu meinen Lebzeiten werden Physiker die erste Frage klären, aber an der zweiten verzweifeln.“
Der ehemalige Fußballprofi John Barnes glaubte indes nicht an Können. Er erzählte davon, wie er Roberto Carlos unzählige Male in der Primera Division bei eben solchen Freistoß-Versuchen erlebt hatte. „Sie landeten an der Eckfahne oder bestenfalls am Pfosten. Nun hat er eben mal Glück gehabt“, sagte Barnes. Und so schließt auch der Artikel mit den Worten: „Neben all den wissenschaftlichen Erklärungen, den Theorien und Technologien, braucht man vor allem eines: Glück.“
„Das Ventil muss zu mir zeigen“
Roberto Carlos war plötzlich in Erklärungsnot, schließlich hatte er, so hieß es jedenfalls zunächst, den Fußballfreistoß revolutioniert. Also stellte er sich hin und erzählte der Welt, was er da genau tat: „Ich lege den Ball so hin, dass das Ventil zu mir zeigt. Das Ventil ist der schwerste Teil des Balles.“ Dann nimmt er sechs bis acht Meter Anlauf und versucht, den Ball in der Mitte zu treffen. „Wenn ich dann noch mit drei Zehen und dem Außenrist treffe, bekommt der Ball den gefährlichen Drall.“
Alles ganz einfach also? Nun, das nicht, schließlich sollte man zudem eine besondere Statur haben. Die Statur des Roberto Carlos, der nicht aussah wie all die anderen Superathleten, wie David Beckham, Ronaldo oder Michael Owen. Roberto Carlos’ Körper glich einem Tetris-Stein: 1,68 Meter groß, 70 Kilogramm schwer, Oberschenkelumfang 60 Zentimeter. So viel hatte auch Muhammad Ali zu seiner Zeit als Schwergewichtsweltmeister.
Sie nannten Carlos in Brasilien „El hombre balla“, den „Kugelmann“, der die 100 Meter in 10,6 Sekunden laufen konnte, der einen Ball mal auf 202 Stundenkilometer beschleunigt hatte. Und der Bälle um die Ecke schießen konnte.