Die meisten der 23 Kaderplätze sind bereits fest vergeben, doch einige Baustellen muss Joachim Löw noch schließen. Wer wird nominiert? Wer kommt überraschend mit? Wer bleibt zuhause?
Manuel Neuer
Vor zwei Jahren schien es, als müsste Neuer ernsthaft beweisen, dass er die beste Option ist bei der Wahl eines Rückhalts für die Nationalmannschaft. Nicht nur der Champions-League-Triumph im Sommer hat dafür gesorgt, dass an Neuer kein Weg vorbeiführen wird – daran ändern auch kroatische Lieder nichts mehr.
Serge Gnabry
Er rührt und rührt und rührt. Serge Gnabry ist aktuell vielleicht nicht der aufregendste Offensivspieler bei der Nationalmannschaft, sehr wahrscheinlich aber der beste. Mit dem 1:0 gegen Rumänien erzielte er sein 15. Länderspieltor im 19 Spiel. Nur sechs Spieler waren in der DFB-Historie schneller.
Antonio Rüdiger
Im Winter stand Rüdiger vor einem Wechsel zu Tottenham Hotspur. Nachdem Thomas Tuchel Trainer bei Chelsea wurde und der Innenverteidiger von der Bank in die Startelf rotierte, ist das Geschichte. In den Spielen gegen Island und Rumänien avancierte er zum Abwehrchef. Eine Nationalmannschaft ohne ihn ist – überraschenderweise – aktuell undenkbar.
Leon Goretzka
Treibt das Spiel der deutschen Nationalmannschaft an, ist sowohl der Chef vor der Abwehr als auch im Abschluss stark. In seiner aktuellen Form sticht Goretzka sogar im eng besetzten DFB-Mittelfeld hervor.
Ilkay Gündoğan
Die absurde Situation im zentralen Mittelfeld der Nationalmannschaft wird besonders gut deutlich bei Ilkay Gündoğan. Der spielt bei Manchester City unter Pep Guardiola eine überragende Saison als Spielgestalter, soll die DFB-Elf heute Abend gegen Nordmazedonien als Kapitän aufs Feld führen – und könnte bei der EM auf der Bank sitzen. Mit zum Turnier wird er auf jeden Fall fahren.
Joshua Kimmich
Platz im Mittelfeld würde übrigens dann geschaffen, sollte Joshua Kimmich noch einmal auf die Position des Rechtsverteidigers zurückversetzt werden. Das wäre aufgrund der Alternativen dort zum einen nicht unbedingt nötig, und von Kimmich (absolvierte 18 von 19 Bundesligaspielen im Zentrum) sicher auch nicht gerne gesehen.
Toni Kroos
Apropos absurde Situation im Mittelfeld: Mittlerweile gilt nicht einmal mehr der vierfache Champions-League-Sieger Kroos als unantastbar bei der DFB-Elf. Fraglich ist zumindest, ob Löw, dessen Spiel sich mehr und mehr von Ballbesitz hin zum Warten auf Umschaltmomente entwickelt hat, ausgerechnet den für sichere Querpässe bekannten Kroos benötigt – oder gerade deswegen. Ein Turnier ohne Kroos ist trotzdem undenkbar.
Matthias Ginter
Stand in den vergangenen sieben Pflichtspielen sieben Mal in der Startelf. Spielte bei Gladbach bis zum Rose-Debakel eine herausragend gute Saison. Brennt nach zwei WM-Turnieren auf der Bank auf seine ersten großen internationalen Momente.
Leroy Sané
Es wirkt, als würde Leroy Sané in jedem Länderspiel beweisen wollen, was für ein saudämlicher Fehler es war, ihn bei der Weltmeisterschaft 2018 zuhause zu lassen. Seine Tempodribblings sind einzigartig. Keine Frage, bei diesem Turnier wird Sané nicht vorzeitig heimgeschickt werden.
Kai Havertz
„Es ist eine schwere Saison. Ich weiß, dass nicht alles glatt läuft“, sagt Havertz über sein erstes Jahr beim FC Chelsea. Immerhin: Bei der Nationalelf präsentierte sich der 21-Jährige in altbekannter Form. Der 100-Millionen-Transfer wird in jedem Fall mit zur EM fahren.
Timo Werner
Gegen Island und Rumänien musste Werner bei Anpfiff zuschauen. Sein Vorteil: Er ist aktuell der einzige echte Stürmer im Kader. Ohne ihn wird Löw ganz sicher nicht zur EM fahren.
Niklas Süle
Für die Nationalmannschaft gilt, was für jeden Fußballfan im Sommer auch gilt: Im Hintergrund braucht’s einen verlässlichen Kühlschrank.
Marc-André ter Stegen
Auch wenn an Manuel Neuer aktuell kein Vorbeikommen ist, mit Marc-André ter Stegen als Torwart würde die Nationalmannschaft kaum einen Qualitätsverlust erleiden. Barcelonas Nummer eins fährt als Deutschlands Nummer zwei auf jeden Fall mit – es sei denn, er hat keine Lust.
Emre Can
Wundert uns eigentlich, dass Cans Trikot nicht bei Victorinox verkauft wird. Denn der Mann ist wie ein Schweizer Taschenmesser: Außenverteidiger, Innenverteidiger, Sechser. Dreier‑, Vierer‑, Fünferkette. Can kann alles. Das macht ihn bei einem Turnier so wertvoll.
Lukas Klostermann
Wird mitgenommen, außer jemand hat schon bei Marcel Halstenberg angerufen und ihn dann vergessen.
Marcel Halstenberg
Wird mitgenommen, außer jemand hat schon bei Lukas Klostermann angerufen und ihn dann vergessen.
Florian Neuhaus
Gegen Island spielte er 19 Minuten, gegen Rumänien wurde er in der Schlussminute eingewechselt. Dabei verfügt der Gladbacher über Anlagen, die nur unter der Rubrik Weltklasse zu kategorisieren sind. Dürfte im Kader von Joachim Löw den Platz als fünfter zentraler Mittefeldspieler einnehmen.
Robin Gosens
Der Mann aus Bergamo gilt als Publikumsliebling. Sein Debüt sollte er vor einem Jahr geben, dann kam Corona. Auch sonst waren die Leistungen im Nationaldress eher holprig. Er kämpft mit Philipp Max um einen Posten als Außenverteidiger, sollte diese Position für Joachim Löw nicht bereits durch Emre Can oder Marcel Halstenberg besetzt sein. Für Gosens spricht sein Offensivdrang.
Bernd Leno
Der wahrscheinlich uninteressanteste Posten im EM-Kader: der dritte Torwart. Die Rolle des Edel-Touristen dürfte sich zwischen Leno und Kevin Trapp entscheiden – mit leichten Vorteilen für den Torhüter aus London. Bis hierhin wären 19 von 23 Kaderplätzen belegt.
Kevin Trapp
Es gibt keinen Grund, warum Kevin Trapp nicht als dritter Torhüter zur EM fahren sollte. Außer eben drei andere Torhüter, die ein bisschen besser sind.
Amin Younes
Spielte in den ersten beiden Länderspielen kaum. Trotzdem scheint er das zu erfüllen, was Löw sich erhofft: „Ich bin froh, dass Amin Younes in dieser Woche bei uns dabei ist. Er verursacht im Training viel Wirbel mit seinen Aktionen.“ Der Ballstreichler könnte derjenige sein, den Löw einen Kaderplatz zugesteht, um bei Rückstand ein letztes Ass im Ärmel zu haben.
Robin Koch
2019 galt Koch als die Entdeckung des Länderspieljahres. Es schien, als könne der Verteidiger von Leeds United auch die Rolle eines Abwehrchefs übernehmen. Dann musste sich der 24-Jährige nach einem Meniskuseinriss einer Operation unterziehen und kehrt nun langsam auf den Platz zurück. Seine Nominierung könnte auch davon abhängig sein, ob Löw doch noch auf einen alten Bekannten setzt…
Luca Waldschmidt
Der Mittelstürmer ist seit seinem Wechsel nach Lissabon ein klassischer On-Off-Kandidat beim DFB. Der Torschützenkönig der letzten U21-EM bringt viel mit, was Löw ansonsten fehlen würde.
Julian Brandt
Bei der WM 2018 war Julian Brandt einer der wenigen Lichtblicke. Mittlerweile wird seine Leistung nicht nur bei der Nationalmannschaft, sondern besonders bei Borussia Dortmund kritisch gesehen. Bei der WM kam Brandt von der Bank und brachte neue Impulse – hat Löw für diese Situationen möglicherweise andere im Blick?
Julian Draxler
Vielleicht noch der spannendste Kandidat. Weil Draxler in Paris höchstens Rotationsspieler ist und er in der Nationalmannschaft nur selten überzeugte, spricht wenig für ihn. Andererseits sieht ihn Löw bekanntermaßen als Führungsspieler. An seiner (Nicht-)Nominierung ließe sich möglicherweise die gesamte Ausrichtung der Nationalelf zur EM ablesen.
Philipp Max
Irgendwann hat auch Löw bemerkt, dass er an Max im Nationalteam nicht gänzlich vorbeikommt. Beziehungsweise: Die Spiele gegen Rumänien und Island verfolgte der Mann aus Eindhoven gänzlich von der Bank. Es heißt, gegen Nordmazedonien sei ein Einsatz von Rückkehrer Gosens wahrscheinlicher.
Thilo Kehrer
Zuletzt spielte Kehrer nur eine kleine Rolle beim DFB, aber der Verteidiger von Paris Saint-Germain bringt einige Vorteile mit: Er ist athletisch, technisch veranlagt und kann deshalb – ähnlich wie Can – mehrere Positionen in der Defensive bekleiden. Das Problem: In Paris zählt Kehrer nicht zur Stammelf.
Jonathan Tah
Saß gegen Rumänien und Island ebenfalls nur auf der Bank. In der Liga verzeichnete Tah zuletzt einige individuelle Fehler. Es könnte sein, dass der Leverkusener der erste Streichkandidat wäre, sollte Löw doch noch auf Hummels setzen.
Marco Reus
Immerhin: Nach aktuellem Stand wäre es das erste Turnier, das Marco Reus nicht aufgrund einer Verletzung verpassen würde. Sondern einfach so. Dass ihn Löw nicht für die aktuelle Länderspielpause nominiert hatte, gilt als maximaler Denkzettel. Fraglich, was Reus in der aktuellen Situation beim BVB noch ausrichten kann, um den Bundestrainer zu überzeugen.
Jonas Hofmann
Der Gladbacher erklärte im Interview mit der Bild, er habe daheim ein Teleskop. Nur zu hoffen, dass Hofmann von dort nicht bald die Nationalelf beobachten muss, die ohne ihn spielt. Trotz seiner guten Saison dürfte ihn das Pech der Coronainfektion im Kampf um einen der letzten Kaderplätze zurückgeworfen haben.
Jamal Musiala
Nach seinem Pflichtspieleinsatz ist Musiala, der auch für England hätte auflaufen können, an den DFB gebunden. Der Verband und Joachim Löw haben sich sehr um den 17-Jährigen bemüht. Fraglich, ob Löw ihn trotz eines bereits hochkarätigen Mittefelds nun auch mit zur EM nehmen wird.
Florian Wirtz
Ähnliches gilt für Florian Wirtz. Dem 17-jährigen Leverkusener gehört die Zukunft, die eher noch nicht mit dem EM-Sommer 2021 beginnt.
Nico Schulz
Ist beim BVB nur zweite Wahl, selbiges gilt für die Nationalmannschaft.
Felix Uduokhai
Wurde für die Länderspiele gegen Tschechien, Ukraine und Spanien im vergangenen Jahr erstmals nominiert, kam aber in allen drei Spielen nicht zum Einsatz. Nun wurde der Augsburger Verteidiger nicht mehr nominiert. Daran dürfte sich bis zur EM wenig ändern.
Niklas Stark
Ein bisschen kurios: Ausgerechnet in der persönlich besten Phase seit langer Zeit wird Stark von Bundestrainer Löw, der ihn lange förderte, nicht mehr berücksichtigt. Das mag an der Konkurrenzsituation liegen.
Jerome Boateng
Bei den Forderungen nach Hummels und Müller wird auch der aussortierte Boateng in einem Atemzug genannt. Boateng hat sich wieder als Stammspieler bei den Bayern etabliert, aber an die Form von 2014, gerade im physischen Bereich, reicht er schon länger nicht mehr heran. Kurzum: Boateng bringt wenig mit, was der EM-Kader ohnehin nicht schon hätte.
Suat Serdar
Hat mit Schalke gerade ganz andere Sorgen.
Nadiem Amiri
Hat mit Leverkusen gerade ganz andere Sorgen.
Maximilian Eggestein
Hat mit Werder gerade ganz andere Sorgen.
Mats Hummels
Die Saison mit dem BVB war auch für Hummels persönlich nicht fehlerfrei. Dass er auf der Liste der Überraschungskandidaten ganz oben steht, ist dem Umstand geschuldet, dass die Abwehrkette seit der WM noch immer eine Baustelle ist. Löw könnte mit dem vierfachen Turnierspieler einige Probleme beseitigen.
Thomas Müller
Nach dieser Saison wird schon fast erwartet, dass Löw zum Ende seiner Amtszeit einen großen Fehler eingesteht und Müller zurück zur Nationalelf holt. Die offene Frage: Wo in diesem System ist eigentlich Platz für einen, der normalerweise den Anspruch hat, von Beginn an zu spielen?
Lars Stindl
11 Tore – kein deutscher Stürmer hat in der Bundesliga diese Saison mehr Tore geschossen als Stindl. Das ist ein ziemlich gutes Argument für einen Kaderplatz, solange der Kaderbastler eigentlich noch einen Stürmer sucht.
Mario Götze
Wenn er bei der PSV spielt, spielt er gut. Das Problem in dem Satz ist das „Wenn“. Denn auch in dieser Saison hat Götze immer wieder Probleme mit seinem Körper. Aber: Auch wenn er kein Talent mehr ist, auch wenn er an Explosivität eingebüßt hat in den vergangenen Jahren, seine fußballerischen Qualitäten stehen nach wie vor überhaupt nicht zur Diskussion.
Max Kruse
Zwar hat Kruse nur zehnmal in der Bundesliga getroffen, trotzdem zählt er zu den besten Einzelspielern in dieser Saison. Er ist abschlussstark, erfahren, selbstbewusst, eiskalt. Wenn der DFB 2018 ernsthaft über eine Nominierung von Sandro Wagner nachdachte, führt dieses Jahr an Kruse, abseits aller früheren Skandale, eigentlich kein Weg vorbei.
Christoph Kramer
Ebenfalls ein Weltmeister von 2014. Der – im Vergleich zu Hummels und Müller – sogar noch länger keine Rolle in der Nationalelf spielt. Doch Kramer war 2020 ein wichtiger Faktor für Gladbachs Einzug in die Champions League. Dort übernahm der Sechser dann oftmals mehr Verantwortung als sein Pendant Florian Neuhaus – aber auch für den dürfte es schließlich im deutschen Mittelfeld sehr eng werden.
Fabian Klos
Löw braucht einen richtigen Stürmer? Nun: Kein Spieler gewinnt in der Bundesliga im Schnitt mehr Kopfballduelle als Fabian Klos. Und auch sonst ist Klos genau das, was in den Offensivreihen der Nationalelf sonst niemand ist: Eine Kante.
Julian Gressel
Den MLS-Profi hätten viele einmal gern in der Nationalmannschaft gesehen. Normalerweise dürfte er an die Leistungen der übrigen Kandidaten nicht heranreichen. Aber: Im Gegensatz zu allen anderen profitiert Gressel von einer Saison, die in den USA gerade erst beginnt. Er wäre der einzige, der nicht nach einer langen Saison ohne Verschnaufpausen zum DFB-Team stoßen würde.
Lukas Nmecha
Löw braucht einen richtigen Stürmer? Nun: Lukas Nmecha beweist aktuell bei der U21, dass er ein solcher ist. 1,85 Meter groß, 80 Kilogramm schwer, Nmecha hält Kopf und Körper hin. U21-Trainer Stefan Kuntz meint: „Er hat sich bei uns als Topstürmer etabliert.“