Die Leistungsexplosion des Filip Kostic steht sinnbildlich für den VfB Stuttgart. Schon bald könnte sich seine Begehrlichkeit zu einer Zwickmühle für den Verein entwickeln.
„Filip Kostic the new Gareth Bale?“ – so fragte die Daily Mail im März nach einem Assist des Stuttgarters, der zuvor in Lichtgeschwindigkeit durch den Frankfurter Abwehrflügel marschiert war, um anschließend Alexandru Maxim blitzgescheit zum 3:1‑Endstand zu bedienen. Der neue Gareth Bale? Wohl eher eine Übertreibung des britischen Boulveards. Seine Entwicklung, vor allem im Hinblick auf den Transfermarkt, könnte aber schon bald der des Walisers sehr ähnlich sein.
Schnelle Offensivspieler vom FC Groningen zu holen, ist zumeist keine schlechte Idee für Sportdirektoren. Das muss sich auch Fredi Bobic 2014 gedacht haben, als er Filip Kostic präsentierte. Dušan Tadić, Luis Suarez und natürlich Arjen Robben hatten vor Kostic das Trikot der Niederländer getragen. Mit Kostic hatte der VfB Stuttgart einen ganz ähnlichen Spielertypen verpflichtet. „Er ist ein junger, technisch versierter und vor allem auch torgefährlicher Spieler mit sehr guten Entwicklungsmöglichkeiten“, erkannte Bobic. Die perfekte Verpflichtung für einen durchschnittlichen Bundesliga-Klub.
Breitenreiter als Fanboy
Doch in den Anfangsmonaten schien der Serbe ein erneuter Transferflop der Schwaben zu werden. Unter Armin Veh nur auf der Bank, bei Huub Stevens nicht einmal mehr im Kader. Es brauchte viel Trainingsfleiß und einen überragenden Flankenlauf in Frankfurt, ehe Kostic mitspielen durfte. Er, der neue Gareth Bale? Immerhin ließ sich André Breitenreiter wenige Wochen später während seiner Abschiedsrede in Paderborn, nach dem Abstieg am letzten Spieltag der Saison 2014/15 gegen Stuttgart, zur Aussage hinreißen, dass Kostic der mit Abstand beste Spieler gewesen sei, der in dieser Saison dort aufgelaufen ist.
Doch woran liegt es, dass Kostics Talent erst seit einigen Wochen wieder aufblitzt?
Am vermeintlichen Heilsbringer der Stuttgarter: Alexander Zorniger. Flankenläufe, Solodribblings, das breite Spiel über Außen. Dafür steht Filip Kostic. All das konnte Alexander Zorniger nie gebrauchen. Denn im Sommer verbannte der neue Trainer die Idee von Außenspielern und konzentrierte sich auf das Spiel im Zentrum.
Der entscheidende Pass
Zwar wollte Zorniger einen Hochgeschwindigkeitsfußball sehen, doch durch sein extremes Pressing standen schnelle Spieler wie Kostic oder auch Timo Werner meist zu hoch, um ihre Geschwindigkeit bei eigenem Ballbesitz überhaupt ausspielen zu können. Und ihre Defensivarbeit litt durch immense Räume im Rücken. Nur selten konnte Kostic deshalb seine Stärken im Eins-gegen-eins ausspielen. Ein Spieler, der im Schnitt zu 2,5 Dribblings pro Spiel ansetzt. Nur zwölf Bundesligaspieler erreichen einen höheren Wert (Platz 1: Douglas Costa, 4 Dribblings). Ein Spieler, der mit etwas Platz oft den entscheidenden Schlüsselpass (2,5 pro Spiel – Platz 5 der Liga) spielt.
Wundersam also, dass der VfB Stuttgart seinen Linksaußen nach einem Millionenangebot vom FC Schalke 04, von André Breitenreiter, im Sommer nicht einfach ziehen ließ. Kolportierte 20 Millionen standen im Raum.
Für die Cannstätter hat sich diese Entscheidung längst ausgezahlt. Denn nachdem Zorniger geschasst und Jürgen Kramny an der Seitenlinie installiert wurde, drehte Kostic auf und ist einer der Garanten für die mittlerweile acht Spiele zählende Serie ohne Niederlage. Weil Kramny kontrollierter spielt, das Pressing nur dann anwendend, wenn es sinnig erscheint. „Wir brauchen enge Abstände, das ist jetzt wieder der Fall“, erklärt der serbische Nationalspieler, denn immer müsse jemand helfen können, „wenn ich mal einen Fehler mache oder den Ball verliere“.
Mit Effekt: 1,8 Treffer erzielte die Mannschaft unter Kramny im Schnitt (unter Zorniger 1,2) und kassierte deutlich weniger Gegentore. Drei Mal traf Kostic (unter Zorniger kein Mal). So oft wie in der gesamten letzten Saison. Unter anderem beim 2:0‑Sieg gegen Berlin vor zwei Wochen und in Frankfurt. Natürlich.
Mit Stuttgart international?
Die Erfolgswelle im Schwabenland hat für neue Ansprüche gesorgt. Ungewohnt für den Schwaben, der sonst bekanntlich sein Mantra „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ streng befolgt. Doch rund um das Vereinsgelände des VfB wurden zuletzt Rufe um das internationale Geschäft lauter. Auch der 23-jährige Kostic war davon nicht gefeit: „Wenn wir so weitermachen wie zuletzt, könnten wir auch mit dem VfB nach Europa.“ Andernfalls scheint der Linksaußen einem Vereinswechsel nicht abgeneigt. Zum FC Schalke 04?
Vielleicht. Wahrscheinlicher scheint dann jedoch sein Wechsel in Premier League. Schließlich dürften die 20 Millionen des Vorjahres für jeden englischen Aufsteiger aus der Portokasse zu bezahlen sein. Die perfekte Verpflichtung. Allerdings bräuchte es für Kostic derzeit eine Sondergenehmigung, denn bis zur neuen Saison wird der Serbe nicht die notwendigen Länderspieleinsätze aufweisen können, um eine reguläre Arbeitserlaubnis zu erhalten. Für den VfB Stuttgart wird sich die Frage stellen, ob sie ihren Leistungsträger für diese oder eine ähnlich große Summe abzugeben bereit sind.
Eklatante Schwächen
Schließlich ist Kostic objektiv nicht viel mehr als ein verheißungsvolles Talent, ein Edeljuwel mit offensichtlichen Schwächen. Eine desolate Passquote von 63,4 Prozent laut Whoscored.com belegt das. Ein Beispiel in Reinform, in welchem Dilemma viele Bundesligisten stecken. Viel Geld oder die Aussicht auf eine Jahrhunderentwicklung? Bis zum Vertragsende 2019 könnte Kostic jedoch auch diese Schwächen beseitigt haben und ganz spekulativ der nächste Gareth Bale werden – zumindest wenn es nach dem Boulevard geht.