Kevin-Prince Boateng ist uneingelöstes Versprechen und Bad Boy des deutschen Fußballs in einem. Im Pokalfinale könnte seine lange, steinige Reise ein märchenhaftes Ende finden.
Wie sieht eigentlich eine gute Geschichte aus?
Wie wäre es damit: In Berlin gibt es einen jungen Fußballer, der mit mehr Talent gesegnet ist, als sonst jemand in seiner Generation. Er wächst in schwierigen Verhältnissen auf, hat seiner Hautfarbe wegen schon als Kind mit Rassismus zu kämpfen. Im Jugendbereich ist er so dominant, dass manche Gegner gar nicht mehr anreisen wollen. Aber im Profibereich droht er an seinem schwierigen Charakter zu scheitern. Er überwirft sich mit dem Trainer, wechselt überhastet ins Ausland, wo er nicht mehr spielt, sondern zu viel Alkohol trinkt und sein Millionengehalt für Autos und anderen Luxuskram verprasst.
Der Hype steigt ihm zu Kopf, die Partys, das Geld, das schwindelerregende Talent und der Druck, der damit einhergeht. In einem wichtigen Spiel verletzt er den Kapitän seines Heimatlandes schwer, die deutsche Öffentlichkeit zerreißt ihn. Er wird gehasst, von seinem Heimatland verstoßen, für das er so viele Länderspiele hätte machen sollen, und spielt fortan für Ghana, das Land seines Vaters.
Was der Geschichte noch fehlt, ist ein Happy End
Aber er berappelt sich. Trennt sich von falschen Freunden, spielt wieder Fußball. In Italien wird er Meister, tanzt auf der Titelfeier, schießt berückend schöne Tore in der Champions League, und die Menschen erhalten eine Idee davon, was möglich gewesen wäre, wenn. Als er rassistisch beleidigt wird, geht er vom Platz, seine Mitspieler folgen ihm, er spricht vor den Vereinten Nationen, schreibt ein Buch. Er kehrt zurück nach Deutschland, flüchtet erneut, sein Ruf ist ruiniert, die Knie sollen es ebenfalls sein, es will einfach nicht klappen.
Aber er gibt nicht auf. Aus dem Exil auf einer spanischen Insel wagt er sich noch einmal zurück, zu einem darbenden Traditionsklub, dessen frenetische Fans sich nach Stars und schönem Fußball und Erfolgen sehnen. Seine Karriere ist fast vorbei, die Beine von den Jahren zum O gewölbt, aber noch ist er besser als der Rest. Er ist gereift, schießt Tore, führt die Mannschaft an, gibt kluge Interviews. Die Fans lieben ihn, sie drucken sein Gesicht auf T‑Shirts. Er hat nie einen Titel in Deutschland gewonnen, aber am Ende der Saison steht er im Finale des DFB-Pokals. In seiner Heimatstadt, am Ende einer langen Reise.
Das ist die Geschichte von Kevin-Prince Boateng. Und was ihr noch fehlt, ist ein Happy End.
Wie wäre es also damit: Im Finale in seiner Heimatstadt, die er mit 18 Jahren für diese rastlose, unnötige Odyssee verließ, gerät Boateng mit seinem Team schnell in Rückstand. Sein Team ist der klare Außenseiter, der Gegner der haushohe Favorit. Die Fans sind enttäuscht, auch sie warten auf die Einlösung eines Versprechens, dass ihnen ihr Klub einst gab, als er den schönsten Fußball des Landes spielte und Titel nur eine Frage der Zeit waren. Geblieben ist davon nur der Ruf, in entscheidenden Momenten zu versagen.
Aber nicht mit Boateng. Er hat eine Rechnung offen mit der Welt, mit dem Land, mit dem Fußball, mit sich selbst. Er reißt seine Mannschaft mit, führt sie an. Er bäumt sich auf, er kämpft, er hat etwas gut zu machen und nichts mehr zu verlieren, nur noch zu gewinnen. Vielleicht schießt er ein Tor selbst, vielleicht bereitet er eines vor. Vielleicht gewinnt seine Mannschaft überraschend das Finale, er seinen ersten Titel, den er nach dem Spiel gen Tribüne reckt, wo seine Eltern sitzen, bevor ihn die tausenden, tausenden Fans auf ihre Schultern heben, von denen er nie wieder runtergelassen würde. Vielleicht wird aus der guten Geschichte so eine perfekte.