Auf dem Weg zum vierten Europa-League-Titel in sechs Jahren trifft der FC Sevilla am Sonntagabend auf Manchester United. Zu verdanken haben sie ihre Erfolge vor allem Sportdirektor Monchi, der dem jährlichen Ausverkauf auf beeindruckende Art und Weise trotzt.
Im Büro von Ramón Rodríguez Verdejo beim FC Sevilla hängt ein Bild an der Wand, das ihn gemeinsam mit Diego Maradona zeigt. In ihrer aktiven Karriere freundeten sich der junge Monchi, wie Verdejo genannt wird, und der Weltstar an. Obwohl Monchi, wie er selbst sagt, in diesem Jahr 1992 die unwichtigste Person in Sevilla gewesen sei: „Der letzte Affe: ein 23-jähriger Ersatztorwart“, so Monchi einst gegenüber dem englischen Guardian. Doch in den vergangenen 20 Jahren entwickelte er sich mehr und mehr zur wichtigsten Person bei den Andalusiern.
Denn der 51-Jährige lenkt als Sportdirektor seit 2000 fast durchgehend – zwei Jahre versuchte Monchi eher erfolglos sein Glück bei der AS Rom – die Geschicke des FC Sevilla. Und auch für die noch laufende Saison hat er wieder einmal einen schlagkräftigen Kader zusammengestellt, der in der Europa League zu überzeugen weiß.
Am Sonntagabend trifft das Team von Trainer Julen Lopetegui im Halbfinale in Köln auf Manchester United. Am vergangenen Dienstag setzten sich die Andalusier knapp aber verdient gegen die Wolverhampton Wanderers durch. Aus den letzten 20 K.o.-Duellen der Europa League, drei Finals eingeschlossen, ging Sevilla 19 Mal als Sieger hervor. Einzig in der vergangenen Saison gegen Slavia Prag schieden die Spanier aus. Mit der Europa League hat der FC Sevilla die perfekte Nische für sich entdeckt – sportlich wie finanziell.
Denn durch die kontinuierlich starken Leistungen im „Cup der Verlierer“, wie Franz Beckenbauer den Wettbewerb einst spöttisch nannte, empfehlen sich die Spieler des FC Sevilla fast schon jährlich für größere Aufgaben. Zwischen 2014 und 2016 gewannen die Blanquirrojos, die Rot-Weißen dreimal hintereinander die Europa League. Und Sportdirektor Monchi fühlt sich wohl in der Rolle des Architekts eines vermeintlichen Aus- und Weiterbildungsvereins. Zumindest legt das ein Blick auf die Aktivitäten auf dem Transfermarkt nahe.
Seit Sommer 2015 nahm der Klub insgesamt 457 Millionen Euro durch Spielerverkäufe ein. Zur weniger schmeichelhaften Wahrheit gehört aber auch, dass Sevilla für keinen Spieler mehr als 40 Millionen Euro bekommen hat. Diesen Rekord stellte im vergangenen Sommer Wissam Ben Yedder auf, der zur AS Monaco wechselte.
Und doch schafft es Monchi Jahr für Jahr, die Abgänge zu kompensieren. Die Tatsache, dass die besten Spieler den Verein immer wieder verlassen, kommentiert er daher gelassen: „Das ist kein Schock mehr für mich. Álvaro Negredo geht und du denkst, es ist das Ende der Welt, aber dann kommt Bacca. Geht er, zeigt Gameiro, wie gut er ist.“ Alleine Álvaro Negredo (für 25 Millionen Euro zu Manchester City), Carlos Bacca (für 33,3 Millionen Euro zu AC Mailand) und Kevin Gameiro (für 30 Millionen zu Atletico Madrid) brachten zusammen 88,3 Millionen Euro ein.
Das Geheimnis hinter dem Scoutingerfolg erklärte Monchi gegenüber dem Guardian so: „Sechzehn Leute schauen sich eine gewisse Anzahl an Ligen an. Die ersten fünf Monate schauen wir viel Fußball ohne ein bestimmtes Ziel, wir sammeln nur Daten. Jeden Monat stellen wir eine Top-Elf aus jeder Liga zusammen. Im Dezember beobachten wir dann Spieler, die in mehreren Punkten auf sich aufmerksam gemacht haben, um ein breites Profil zu erstellen.“
Diese Methode ergebe dann eine Liste mit ungefähr 250 potenziellen Neuzugängen. „Wenn der Trainer sagt, er will einen linken Verteidiger, der im Durchschnitt 11 Kilometer pro Spiel läuft, 800 Meter sprintet und beidfüßig ist, passen von der Liste zehn Spieler in dieses Profil“, erklärt Monchi. Um die Spieler dann von einem Wechsel zu Sevilla zu überzeugen, hat der Verein, seit Monchi seinen Posten im Jahr 2000 antrat, reichlich Argumente gesammelt. Damals war der FC Sevilla gerade in die zweite Liga abgestiegen und geriet in finanzielle Schieflage. Der erste Titel nach 58 Jahren war der UEFA Cup 2006. Es folgten insgesamt acht weitere Titel in den nächsten Jahren.
Die abgelaufene Saison in der Primera Division beendeten die Andalusier auf dem vierten Platz hinter den drei Großen aus Madrid und Barcelona. Monchi hat es erneut geschafft, den Kader mit erfahrenen Spielern wie Luuk de Jong oder jungen Talenten wie Jules Koundé zu spicken. Allesamt von internationaler Klasse, aber keine Superstars. Dafür nahm er im vergangenen Sommer auch viel Geld in die Hand. 177,75 Millionen ließ er sich die 14 Neuzugänge kosten. Vereinsrekord.
Aus dem offensiv ausgerichteten 4 – 3‑3-System sticht kein Spieler so richtig heraus. Einzig Lucas Ocampos erzielte in der abgelaufenen Saison mehr als zehn Treffer. Lopetegui hat seinen Kader zu einer funktionierenden Einheit geformt, die mit taktischer Cleverness agiert und körperbetont auftritt.
„Niemand bringt ein Banner mit ins Stadion, auf dem großartige wirtschaftliche Ergebnisse gefeiert werden“
Gegen die Wolverhampton Wanderers kamen die Blanquirrojos nicht gut in die Partie, arbeiteten sich dann aber kontinuierlich rein, ehe sie im zweiten Durchgang endgültig das Zepter an sich rissen. Kurz vor Schluss traf Ocampos per Kopf zum verdienten 1:0.
Unter den verbleibenden vier Mannschaften zählt der FC Sevilla nicht unbedingt zu den Favoriten. Doch statt tiefzustapeln, zeigt sich Lopetegui selbstbewusst: „Manchester ist eine große Mannschaft, ein guter Verein, aber wir haben die gleichen Ambitionen.“ Oder um es mit den Worten von Monchi zu sagen: „Niemand bringt ein Banner mit ins Stadion, auf dem großartige wirtschaftliche Ergebnisse gefeiert werden.“