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Zu seiner eigenen Trau­er­feier erschien Steven Ger­rard in kurzer Hose. Wie die Trai­nings­jacke war sie, dem Anlass ange­messen, ganz in Schwarz gehalten, der auf­ge­stickte Liver Bird, das Wap­pen­tier des Liver­pool FC, schien vor lauter Nie­der­ge­schla­gen­heit die Flügel hängen zu lassen.

Er schätze sich glück­lich, sagte Ger­rard an diesem 3. Januar 2015, dem Tag, da er seinen Abschied nach 26 Jahren ver­kün­dete, dass er so lange für diesen glor­rei­chen Klub habe spielen dürfen. Tränen ver­gießen werde er jedoch erst nach seinem letzten Spiel in sechs Monaten, noch nicht jetzt. Er sagte das mit durchaus feuchten Augen. Sein Kinn neigte sich zur Brust, seine Stirn lag in Falten, die Stimme brach. Es ist aber auch wirk­lich eine schwere Prü­fung für einen Ver­blei­chenden, wenn er seinen Nachruf selbst halten muss. Tough“ sei das, sagte Ger­rard – was in Liver­pooler Mundart in etwa so klingt wie das Geräusch eines auf dem Erd­boden auf­schla­genden Liver Birds: tuff.

Das Jen­seits der Ex-Profis

Große Fuß­baller, wie Ger­rard einer war, zahlen einen hohen Preis für ihren Ruhm: Sie gehen zwei Mal von uns. Die end­gül­tige Abbe­ru­fung in hof­fent­lich hohem Alter haben sie mit uns Ama­teuren gemein. Doch schon lange zuvor, mit Mitte 30, betreten sie ein anderes Jen­seits: das Jen­seits der Ex-Profis.

Wirft dieser Tag seinen Schatten voraus, greifen sie zur schwarzen Bal­lon­seide und nehmen in meh­reren Trau­er­zy­klen Abschied. Von ihrer Mann­schaft und dem Trainer, von den guten Seelen des Ver­eins, den Mas­seuren, Zeug­warten, Bus­fah­rern. Von man­chen Geg­nern, die zu hassen ihnen unge­mein fehlen wird – lebe wohl, John Terry! Auch von ihrer Familie, die fortan nicht mehr die Familie eines großen Fuß­bal­lers, son­dern nur mehr die eines Ex-Profis sein wird, man sieht ein­ander dann womög­lich mit anderen Augen. Ger­rard erzählte an dem Freitag, seine drei Töchter hätten sich bis­lang nicht son­der­lich für seinen Beruf inter­es­siert. Als er ihnen seinen Ent­schluss, Liver­pool zu ver­lassen, mit­ge­teilt habe, seien sie aller­dings zusam­men­ge­bro­chen. Dreimal tuff.

Es zer­reißt mich.“

Von ihren Fans nehmen die großen Fuß­baller Abschied, und das ist beson­ders hart. Bei You­tube sieht man die Ger­rard-Ver­eh­rerin Haley Mas­terson aus dem nord­iri­schen Lisburn in dem Moment, da sie die Schre­ckens­nach­richt erhält, ihre Tochter hat sie in der hei­mi­schen Küche gefilmt: Sie bricht in Kla­ge­laute aus, ihr Kopf prallt wieder und wieder auf die Tisch­platte. Warum?“, greint sie. Warum?“ Als eine Fern­seh­jour­na­listin, die Ger­rard zu seinem Abschied befragte, ihm die gesam­melten Reak­tionen seiner Anhänger vor­lesen wollte, hob er abweh­rend die Hand: Tun Sie es nicht. Das zer­reißt mich.“

Und nicht zuletzt nehmen die großen Fuß­baller Abschied von sich selbst als den jungen Män­nern, die sie einmal waren, deren Kraft nie­mals zu ver­siegen schien und schließ­lich den boden­losen Verrat beging, genau dies doch zu tun. Es ist eine bio­lo­gi­sche Krän­kung: Nach hun­derten Schlachten mit einer Erfah­rung ver­sehen, die die Biblio­thek von Alex­an­dria hätte füllen können, sind die großen Fuß­baller in der Lage, noch vor dem Ball zu wissen, wohin er zu rollen gedenkt, doch sie gelangen nicht mehr recht­zeitig an diesen Ort. Ihre Mus­keln, Sehnen, Bänder ver­sagen ihnen den Dienst. Phy­sio­the­ra­peuten beugen sich über sie und schüt­teln den Kopf wie Auto­me­cha­niker ange­sichts eines maroden Motors. Es geht nicht mehr, alter Knabe. Wie viele abtre­tende Super­stars sich wohl eine Kör­per­trans­plan­ta­tion gewünscht haben?

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Ger­rard mit seinem Jugend­freund Michael Owen, der den LFC jedoch 2004 in Rich­tung Madrid ver­ließ.

Ger­rard, 34 Jahre alt, wird diesen Ver­schleiß selbst erkannt haben, dia­gnos­ti­ziert hat ihn ein anderer: Anfang Dezember letzten Jahres rief Liver­pools Trainer Brendan Rod­gers seinen Kapitän zu sich ins Büro. Er muss sich gefühlt haben wie ein Mann, der eine lange Bezie­hung beendet, ein biss­chen auch wie einer, der dem Groß­vater bei­zu­bringen hat, dass es wohl besser wäre, dem­nächst ins Heim umzu­ziehen. Dieses Gespräch fand eher statt, als ich ange­nommen hatte“, sagte Ger­rard hin­terher. So wie alles, von dem man sich wünscht, dass es nie­mals kommen möge, nun mal noto­risch zu früh an der Türe klin­gelt.

Ger­rard hatte nach der Welt­meis­ter­schaft im Sommer seine Natio­nal­mann­schafts­kar­riere eigent­lich in der Absicht beendet, sich noch mehr auf seinen Klub zu kon­zen­trieren. Nun bekam er von seinem Trainer zu hören, er könne ihm nicht mehr garan­tieren, dass er in Zukunft stets von Anfang an spielen werde. Keine Option für Ger­rard: Seit ich 16 bin, gehe ich jeden Morgen zur Arbeit und bereite mich darauf vor, am Wochen­ende 90 Minuten zu spielen. Ich bin kein Bank­drü­cker.“ Den Ein­jah­res­ver­trag, der ihm nach der Unter­re­dung mit Rod­gers noch ange­boten wurde, unter­schrieb er nicht mehr. Er wird zur kom­menden Saison in die nord­ame­ri­ka­ni­sche Fuß­ball­liga zu LA Galaxy wech­seln.

Der Uner­müd­liche ist müde geworden.

Von Jamie Car­ragher, einem lang­jäh­rigen Weg­ge­fährten Ger­rards, musste sich Rod­gers hin­terher anhören, er habe den Kapitän um die Mög­lich­keit betrogen, seine Lauf­bahn daheim, bei seinem Liver­pool FC, zu beenden. Tat­säch­lich aber war der Trainer bloß mutig genug, ihn davor zu bewahren, dass seine Fans ihm beim Ver­greisen zuschauen, bis sie ihn eigen­händig vom Platz tragen müssen. Seit geraumer Zeit schon ver­schlossen sie ihre Augen geflis­sent­lich vor dem sich ein­schlei­chenden Alters­phlegma. Der einst Uner­müd­liche ist müde geworden. Ken Early, Chro­nist der Kar­riere Ger­rards, twit­terte noch am 3. Januar ein Stand­bild aus dem Trick­film Animal Farm“ nach George Orwell. Es zeigt das treue Arbeits­pferd Boxer, wie es an Erschöp­fung ster­bend am Boden liegt, umringt von wei­nenden Tieren. Es ist vorbei“, schrieb Early dazu, für Steve und den LFC.“

In der Tat geht nicht nur die Kar­riere eines großen Fuß­bal­lers zu Ende, son­dern die Geschichte eines Ver­eins, wie man ihn kannte. Steven Ger­rard war der letzte Lokal­held des Liver­pool FC, an dem seit Jahren die Inves­toren zerren, der nun end­gültig zu einem Fran­chise­nehmer zu ver­kommen droht, mit jähr­lich wech­selndem Per­sonal das Geschäfts­kon­zept der FA umsetzt und über dessen glo­ba­li­sierte Mit­tel­mä­ßig­keit jetzt keine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur mehr hin­weg­täu­schen kann.