Wenn die Rumänen heute Abend gegen Deutschland spielen, könnten sie einen wie Gheorghe Hagi gut gebrauchen. Wobei das vermutlich auf jede Mannschaft zutrifft. Der Spielmacher über sein Ballgefühl, den Kommunismus und Diego Maradona.
Die Entwicklung geht allerdings in eine andere Richtung. Derzeit dominieren die defensiven Mannschaften.
Das Spiel ändert sich ständig. Gerade reagieren die Mannschaften auf den dominanten Ballbesitzfußball der vergangenen Jahre, wie ihn die Spanier gespielt haben.
Trotzdem: Stirbt die Zehn aus? Real Madrid baut das Spiel sehr viel weiter hinten auf. Toni Kroos …
(unterbricht) Kroos ist eine Zehn! Klar, viele sagen, er sei eine Acht, aber für mich ist er eine Zehn. Jeder Zehner ist anders. Manche haben ihre Stärken ausschließlich in der Offensive, andere spielen zurückgezogen, sind in Defensive und Offensive beteiligt. Eine große Qualität. Nennen wir ihn den Achter-Zehner, okay? Xavi, Iniesta, Thiago Alcantara. Das sind alles Achter-Zehner mit großen Qualitäten.
Die Nummer Zehn lebt also weiter?
Das Spiel wird schneller, es werden immer mehr Daten ausgewertet, es wird mehr auf Taktik gearbeitet. Aber Taktik kann jeder. Jeder Trainer kann sich irgendetwas ausdenken. Aber letztlich gibt es immer noch die Spieler, die auf dem Platz stehen und den Unterschied machen und den Fans etwas Besonderes zeigen. Ich bin mir sicher: Ein Trainer, der die Zehn nicht versteht, wird nie Erfolg haben. Schauen Sie sich doch mal die größten Mannschaften der Geschichte an, alle hatten einen überragenden Zehner. Wenn du in Erinnerung bleiben willst, brauchst du diesen Spieler.
Anders als in Barcelona oder Madrid waren Sie bei Galatasaray der unumstrittene Anführer. Es scheint so, als wären Sie immer dann am besten gewesen, wenn Sie das Sagen auf dem Platz hatten.
Natürlich ist es einfacher, wenn nur einer in der Offensive das Spiel macht. Aber ganz so einfach ist das auch nicht. Jede Mannschaft braucht eine Achse aus überragenden intelligenten Spielern mit Charakter. Einen für jeden Mannschaftsteil. In Istanbul hatten wir Claudio Taffarel im Tor, in der Abwehr Gheorghe Popescu, im Mittelfeld mich und im Sturm Hakan Sükür. Wir waren die Wirbelsäule der Mannschaft.
Der UEFA-Cup-Sieg 2000 war trotzdem eine Überraschung. Wann hatten Sie das Gefühl, dass der Titel möglich ist?
Nach dem 2:0 im Achtelfinale gegen Dortmund. Da wussten wir, dass wir gewinnen können.
Im Finale wartete Arsenal mit Spielern wie Davor Suker, Thierry Henry, Dennis Bergkamp.
Arsenal hatte ein Wahnsinnsteam. Aber wir gingen voller Selbstvertrauen in das Finale. In der Verlängerung zeigte mir der Schiedsrichter nach einer angeblichen Tätlichkeit die Rote Karte. Aber das war nichts. Tony Adams und ich haben uns im Laufduell geschubst und hätten beide Gelb bekommen sollen.
Hatten Sie Angst, die Mannschaft würde ohne Sie auseinanderfallen?
Nein, ich wusste, wie stark wir sind. Nachdem ich vom Platz flog, hatte Arsenal nicht eine einzige Torchance. Wir haben gewonnen. Das sagt alles.
Ein Jahr nach dem UEFA-Cup-Sieg beendeten Sie Ihre Karriere. 2008 gründeten Sie Ihren eigenen Verein FC Viitorul Constanta, dessen erste Mannschaft Sie auch trainieren. Ich nehme an, Sie spielen mit einer Zehn?
Ich spiele mit vier Zehnern.
Wie kann das funktionieren?
Zwei zentrale offensive Mittelfeldspieler, einer davon ein Achter-Zehner. Und zwei Zehner auf den Außenbahnen.
Das hört sich extrem offensiv an.
Wie spielen ohne Angst, wenn wir deshalb drei Tore kassieren, ist das kein Problem. So wie Holland 1974 gespielt hat. Die beste Mannschaft des Turniers, auch wenn sie das Finale verlor. Nur eine Sache unterscheidet uns: Wir Rumänen spielen mit noch mehr Kreativität.
Auch Ihr Sohn hat die Zehn auf dem Rücken und die Kapitänsbinde am Oberarm. Spielt Ianis genauso wie Gheorghe?
Im Gegensatz zu mir ist er beidfüßig, größer und schlanker. Er ist ein absoluter Playmaker. Er spielt nicht wie Gheorghe Hagi, eher wie Zinedine Zidane. Auch nicht schlecht, oder?