Mit Peter Stöger, Jörg Schmadtke, Toni Schumacher und Werner Spinner ist die Zuversicht zum 1. FC Köln zurückgekehrt. Das Quartett an der Spitze hat einen ambitionierten Plan: Nach Jahren des Niedergangs will sich der Klub von seinem Chaosimage befreien.
Sehnsuchtsort des deutschen Fußballs, das war einmal. Das Geißbockheim hat Patina angesetzt. In der Gaststube mit dem funktionalen Biermobiliar werkeln die Maurer. Das Tribünendach des Franz-Cremer-Stadions bedecken grüne Ablaufstreifen. Der 1. FC Köln ist eine Baustelle. Doch die Renovierung ist in vollem Gange. Nicht nur in der Kneipe wird umgebaut, auch am Trainingsplatz und in den Büros der Geschäftsstelle hat sich seit zwei Jahren viel verändert.
Ein Protagonist des Umbruchs klopft an die verglaste Tür der Geschäftsstelle: Werner Spinner steht mit einem Handkoffer am Hintereingang. Der Präsident ist spät dran, der Papierkram hat länger gedauert, Spinner hat gerade seinen Porsche verkauft. Die neue Bescheidenheit, die der langjährige Manager der Bayer AG dem Klub verordnet, scheint er sich auch selbst auferlegt zu haben.
„Das ist der Super-GAU“
Als Spinner die Amtsgeschäfte im April 2012 nach der siebenjährigen Regentschaft des glücklosen Wolfgang Overath übernahm, konnte er nicht ahnen, dass der FC vor den schwärzesten Wochen seiner Vereinsgeschichte stand. Im Mai stieg der Klub trotz eines veritablen 35-Millionen-Etats zum fünften Mal in seiner Geschichte ab. Einige Spieler hatten im Laufe der turbulenten Saison – nach dem Rücktritt des Präsidiums, der Demission von Trainer Ståle Solbakken und der Beurlaubung von Sportdirektor Volker Finke – wohl die Orientierung verloren. Die 1:4‑Niederlage am letzten Spieltag gegen den FC Bayern wurde begleitet von schweren Fanausschreitungen.
Werner Spinner stand fassungslos auf der Tribüne und hörte die Leute neben ihm sagen: „Das ist der Super-GAU.“ Er wusste nur zu gut, dass sie recht hatten. Beim Studium der Bücher hatte er erschrocken festgestellt, dass der FC kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Nur durch eine Anleihe konnte das Präsidium nach Saisonende kurzfristig die Liquidität sichern und auf die Schnelle 12,5 Millionen Euro flüssigmachen. Der Präsident kennt sich aus mit Zahlen, aber er versteht sich auch als Macher. „Ich habe keine Ahnung von Fußball“, gibt er zu, „aber ich habe ein gutes Gespür für die richtige Auswahl von Menschen.“ Schon bei seiner Kandidatur war ihm klar, dass er allein einen überemotionalisierten Klub wie den 1. FC Köln, bei dem das Drama ebenso systemimmanent ist wie der latente Größenwahn und die Affenliebe seiner Fans und Mitglieder, nicht allein auf seine Seite ziehen kann. Spinners Anruf bei Toni Schumacher war so gesehen der Beginn eines Boy-Group-Castings der etwas anderen Art. Er plante nicht weniger als den FC der Zukunft – und dafür brauchte er Gesichter, die das Projekt repräsentieren.
Einen Nestbeschmutzer duldete der Klüngel nicht
Schumacher war 1987 nach Veröffentlichung seines Buches „Anpfiff“ gekündigt worden. Dabei schrieb er nicht nur von Doping und Saufexzessen im Lager der Nationalelf, sondern auch über seine innige Liebe zum 1. FC Köln. Seine Mutter hatte, als er noch daheim in Düren lebte, immer gesagt: „Harald, geh zum FC, das ist ein feiner Verein.“ Sein größter Traum sei es, so formulierte das Torwartdenkmal schon 1987, einst FC-Präsident zu werden.
Als Schumacher nach der damaligen Entlassung mit dem ausgefüllten Mitgliedsantrag in die Geschäftsstelle kam, um zumindest auf dem Papier dem Verein nahe zu bleiben, wies man ihn brüsk ab. Einen Nestbeschmutzer duldete der Klüngel nicht. Und so blieb er ein Vierteljahrhundert lang ein Satellit im FC-Kosmos. Für die Öffentlichkeit das Monument „Tünn“, intern aber ein Gebrandmarkter, ein machtloses Faktotum, das als Zaungast miterleben musste, wie seine einstigen Teamkollegen Overath und Jürgen Glowacz die Geschicke des Klubs lenkten.
„Der Werner ist ein Menschenfänger“
Ausgerechnet an ihn, den Querulanten, erinnerte sich Werner Spinner im Frühjahr 2012. Als der Geschäftsmann anrief und um ein Gespräch bat, fragte der Ex-Keeper nur: „Wann?“ Spinner antwortete: „Jetzt?!“ – und saß eine halbe Stunde später beim Rotwein auf der Couch des zweimaligen Vizeweltmeisters. „Der Werner“, so Toni Schumacher heute, „ist im positiven Sinne ein Menschenfänger.“
Als Schumacher an der Seite von Spinner kurz darauf zum Vizepräsident gewählt wurde, schloss sich der Kreis. Als er bei der Hauptversammlung auf der Bühne stand, um ihn herum der tosende Applaus der FC-Mitglieder, war dies für ihn ein Augenblick tiefempfundenen Glücks. Wer den 59-jährigen Veteran in seinem Klubanzug mit dem glänzenden Geißbockemblem heute auf dem Vereinsgelände erlebt, spürt den Stolz, mit dem er sein Ehrenamt ausübt. Auch wenn er weiß, dass von dem edlen Sportverein, zu dem ihn seine Mutter schickte, diesem „Real Madrid des Westens“, nicht mehr viel übrig ist.
Schumacher und Spinner waren sich einig, dass der Klub schleunigst eine neue sportliche Philosophie benötigte. Beim Bankett mit den FC-Bayern-Verantwortlichen nach dem skandalösen Saisonabschluss 2011/12 ging der Präsident auf Uli Hoeneß zu und sagte: „Ich bin ein Grundschüler in Sachen Fußball. Geben Sie mir einen Rat, wen soll ich als Geschäftsführer Sport einstellen?“ Hoeneß antwortete: „Es gibt nur drei oder vier gute Manager. Einer davon heißt Jörg Schmadtke.“
Schmadtke aber stand noch bei Hannover 96 in Lohn und Brot. Martin Kind dachte nicht im Traum daran, den Manager vor 2014 aus dem Vertrag zu lassen. Allerdings befand sich dessen langjähriger Wegbegleiter, Jörg Jakobs, auf dem Absprung. Der promovierte Sportwissenschaftler hatte schon bei Alemannia Aachen mit Schmadtke gearbeitet und als Chefscout in Hannover mit ihm Transfertreffer am Fließband gelandet. Spinner und Schumacher waren also glücklich, zumindest einen Teil des hannoverschen Erfolgsmodells verpflichten zu können. Vor Jakobs lag eine Herkulesaufgabe: Viele FC-Abteilungen werkelten seit Jahren ohne Korrektiv vor sich hin, etliche Positionen bedurften zudem einer Neubesetzung. „Das Wichtigste war, Leute zu finden“, erklärt Jakobs, „die wissen, was zu tun ist, denen man ihre Aufgabe nicht erklären muss.“ Besonders strapaziös war die Korrektur der Kaderstruktur, die nun den wirtschaftlichen Möglichkeiten der zweiten Liga angepasst werden musste: Epochale 41 Transferbewegungen vollzog der 1. FC Köln in der Saison 2012/13. Teure Spieler wurden verliehen, verkauft oder über Abfindungen von der Gehaltsliste eliminiert, junge, kostengünstige Spieler sukzessive integriert.
Trainercasting auf die kölsche Art
Die Spielzeit wurde ein atemloses Jahr des Umbruchs, an dessen Ende Coach Holger Stanislawski, aufgerieben von Grabenkämpfen mit der Kölner Presse, dem täglichen Kleinklein auf der Reformbaustelle und enttäuscht vom verpassten Aufstieg, mit den Nerven sichtlich runter um Auflösung seines Vertrages bat. Nur Tage bevor „Stani“ seine Entscheidung dem Präsidium mitteilte, hatte Jörg Jakobs für den Fall der Fälle schon eine Shortlist mit Traineralternativen aufgestellt. Ganz oben zwei Namen aus der österreichischen Liga: Roger Schmidt, der Coach von RB Salzburg, und dessen ärgster Widersacher im Rennen um die Meisterschaft, Austria-Trainer Peter Stöger.
Nachdem Schmidt den Kölnern eine Absage erteilt hatte, flogen Schumacher und Jakobs nach Wien. Im Sommer 1992 hatte Stöger als Aktiver ein Angebot von Eintracht Frankfurt ausgeschlagen. Er sollte Andreas Möller im Mittelfeld der „Fußball 2000“-Eintracht beerben. Doch das Angebot der Hessen schien ihm – verglichen mit dem Geld, das sein Kumpel Andreas Herzog in Bremen verdiente – nicht genug. Die deutsche Bundesliga aber blieb sein heimlicher Traum. Der Zeitpunkt der Kölner Anfrage war jedoch alles andere als ideal. Soeben hatte Stöger mit der Austria den großen Rivalen RB Salzburg im Titelrennen düpiert. Obwohl der Limonadenklub einen vereinsinternen Punkterekord einfuhr, gewann Stögers Team aus Namenlosen den Titel. Die Art, wie er Spieler entwickelt und den Kader über die gesamte Spielzeit so eingestellt hatte, dass die Konzentration nie nachließ, imponierte den Kölner Bossen. Das Duo traf in Wien einen Mann, der sich die Chance erarbeitet hatte, Champions League zu spielen, diesen taktischen Verhandlungsvorteil seine Gäste aber nicht mal ansatzweise spüren ließ. Im Gegenteil: Stöger machte deutlich, wie sehr ihm das Angebot schmeichelte. Darüber hinaus präsentierte der Coach nicht – wie sonst in Gesprächen dieser Art üblich – einen Bauplan seiner Trainerphilosophie, sondern zeigte sich offen, was das Spielsystem anbelangt, weil er der Meinung war und ist, dass die Taktik stets von den Spielern abhängt, die ein Trainer zur Verfügung hat. Diese Flexibilität, gepaart mit einem gesunden Understatement, ob er der Aufgabe beim FC mit den traditionell überbordenden Erwartungen überhaupt gewachsen wäre, faszinierte die Kölner Abordnung.
Dank an den Hamburger SV
Stöger schien perfekt in das Profil der neuen Bescheidenheit am Rhein zu passen. Die Austria-Verantwortlichen versuchten ihrem Coach noch ins Gewissen zu reden, am Ende aber zahlte der FC 700.000 Euro Ablöse und bekam den Mann aus Favoriten. Der gibt zu: „In der zweiten deutschen Liga hätte es wohl keinen anderen Klub gegeben, für den ich die Austria aufgegeben hätte.“
Werner Spinner hatte Jörg Jakobs inständig gebeten, zur Saison 2013/14 das Amt des Sportdirektors offiziell zu übernehmen. „Achtzig Prozent dessen, was jetzt für den 1. FC Köln auf dem Platz steht“, so die Überzeugung des Präses, „ist das Werk von ihm.“ Doch Jakobs sieht seinen Platz seit jeher eher im Hintergrund. Die besondere Form von Öffentlichkeitsarbeit, die ein Manager in Köln zu leisten hat, widerspricht seiner Jobauffassung. Ende April teilte er dem Vorstand mit, dass er nicht zur Verfügung stehe.
In dieser Situation erwies ein anderer kriselnder Traditionsklub den Geißböcken einen Dienst. Jörg Schmadtke hatte sich beim Hamburger SV als Sportdirektor beworben. Ein Zusammentreffen mit dem vielköpfigen Aufsichtsrat, das wohl eher einem Tribunal als einem lockeren Informationsabgleich ähnelte, ließ in ihm jedoch die Überzeugung reifen, dass längerfristiges Arbeiten an der Elbe für ihn unmöglich sei. Durch Jakobs war er über die Neuausrichtung beim FC auf dem Laufenden. Und der machte jetzt Druck. Für den Kölner Kaderplaner stand völlig außer Frage, dass Schmadtke mit seinem Know-how und seinen Qualitäten als verdrängungsstarker Prellbock für die stetig hyperventilierende Medienlandschaft die perfekte Ergänzung für den neuen Weg des FC sein würde.
Anfangs hatte Schmadtke die wachsende Begeisterung seines Kumpels für den Klub seltsam gefunden und mitunter ironisch kommentiert. Nach seiner Inthronisierung Ende Juni 2013 aber wirkte sich die Sogkraft des 1. FC Köln bald auch auf ihn aus. Zumal Schmadtke aufgrund der Vorarbeit nur noch punktuell an Stellschrauben ziehen musste und ausreichend Zeit hatte, die DNA des Vereins auf sich wirken zu lassen.
„Ich habe schnell festgestellt, dass der Klub strukturierter ist als erwartet“, sagt der Manager, „so war erst mal wichtig, dass ich hier nichts durcheinanderbringe.“ Mit seinem mantraartigen Videoappell, „Liebe FC-Fans, ruhig, gaanz ruhig bleiben“, nach dem Sieg im DFB-Pokal gegen Mainz 05 Ende September 2013 sorgte er für ein cooles Statement, das auch über die Stadtgrenzen hinaus deutlich machte, dass am Geißbockheim ein neuer Geist eingekehrt war. Toni Schumacher, der sein Ohr nah am Kölschen Klüngel hat und bei Abendessen mit den FC-Veteranen wie Carl-Heinz Thielen, Hennes Löhr und Bernd Cullmann regelmäßig abfragt, wie die Arbeit der neuen Führung ankommt, stellt zufrieden fest: „So eine Aktion wie vom Schmaddi hätte es früher hier nie gegeben.“
Stöger traut dem Braten nicht
Der Melancholiker Stöger indes traut trotz Herbstmeisterschaft dem Braten noch nicht recht. Er besitzt einen Zweijahresvertrag, aber das flink rotierende Trainerkarussell in der zweiten Liga, wo bis zur Winterpause sieben Kollegen ihren Job verloren, stimmt ihn nachdenklich. „Ich hätte schon Ideen, was ich machen würde, wenn ich über vier Transferperioden hinaus planen könnte“, sagt Stöger, „aber als Trainer kann man nicht automatisch davon ausgehen, diese Zeit zu haben.“ Dabei hat er das Team auf einen guten Weg gebracht: Am Anfang der Saison erlebte er, wie sich die mangelnde Zuversicht noch in der Körperhaltung einiger widerspiegelte. Doch er gab seinen Jungs den Spaß zurück und mit Timo Horn, Jonas Hector und Yannick Gerhardt sind gleich drei Youngster zu echten Stammkräften gewachsen.
Es hängt nun davon ab, wie der Führungszirkel Phasen des Misserfolgs kompensiert. Ob die ruhige Hand, die sich diese seltsame Fab Four und ihr Spin Doctor Jörg Jakobs verordnet haben, auch bei Medien-Tsunamis nicht zu zittern beginnt. Mit einiger Genugtuung hat Peter Stöger erlebt, wie unaufgeregt er mit Schmadtke die beiden 0:1‑Niederlagen im November analysieren konnte. Der kokette Schmäh des Wieners passt irgendwie zur Aura der Sportdirektor-Rampensau, die in Köln einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat.
„Eine ungeheure Wucht entfalten“
Ein klares Signal, dass Schmadtke gewillt ist, beim FC eine neue Ära zu begründen – trotz mehr als 30 Millionen Euro Verbindlichkeiten. Schmadtke und Stöger eint, dass sie nicht auf die rasante Karriere schielen, sondern Interesse an interessanten Aufgabenstellungen haben. Es könnte also klappen. Nicht zuletzt, weil ein Verein wie der 1. FC Köln eine ungeheure Wucht entfalten kann, wenn er zurück in die Erfolgsspur findet. „In der Bundesliga kann der FC“, so Schmadtke, „an die 100 Millionen Euro umsetzen.“
Toni Schumacher stolziert in spitzen Galaschuhen im Nieselregen über den Parkplatz am Geißbockheim. Ein Mitarbeiter muss in die Gaststube, der Ex-Keeper zeigt ihm fröhlich einen Schleichweg: „Da bin ich schon vor fast vierzig Jahren die Treppe hochgegangen.“ Schumachers Blick fällt auf die dunkelgrünen Ablaufstreifen auf dem gegenüberliegenden Tribünendach. Das sieht doch nicht schön aus, da muss doch was passieren, denkt er. Dann sagt Toni Schumacher leise: „Ich will, dass der 1. FC Köln wieder ein feiner Verein wird.“
HINWEIS: Die Reportage erschien bereits in 11FREUNDE #147