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Es ist der dritte Juni dieses Jahres. Ben­galos wedelnd ziehen tau­sende Fans laut­stark durch den Stadt­teil Kadıköy auf der asia­ti­schen Seite Istan­buls. Die Anhänger des hier ansäs­sigen Klubs Fener­bahçe feiern nicht etwa die Meis­ter­schaft, man lan­dete erneut nur auf Platz zwei, son­dern die Wahl des neuen Ver­eins­prä­si­denten. Dessen Name schallt durch die Straßen: Ali Koç Prä­si­dent – Fener­bahçe Meister!“ Die Formel des Schlacht­rufs ist leicht zu ver­stehen, der neue Mann an der Spitze soll Fener­bahçe wieder zum Erfolg führen.

Fast auf den Tag genau sechs Monate später gas­tiert Fener­bahçe im west­tür­ki­schen Akhisar. In einer nor­malen Spiel­zeit wäre der Verein aus der Pro­vinz Manisa nicht mehr als ein Punk­te­lie­fe­rant für die Istan­buler – doch in diesem Jahr stehen sich die Teams als Tabel­len­nach­barn in einem Kel­ler­duell gegen­über. Sym­pto­ma­tisch für den bis­he­rigen Sai­son­ver­lauf geraten die Blau-Gelben nach einem Tor­wart­fehler in der 26. Minute in Rück­stand. In Halb­zeit zwei folgen unzäh­lige kopf­lose Angriffs­ver­suche und nach haar­sträu­bendem Abwehr­ver­halten zwei wei­tere Tore für die Gast­geber. 0:3. Fener­bahçe rutscht ab auf Platz 17, mit 14 Punkten nach 15 Spiel­tagen ist der schlech­teste Sai­son­start der Ver­eins­ge­schichte per­fekt.

Wie in einer schlechten Bezie­hung

Fragt man nach den Gründen für die Krise, fällt häufig ein Name: Aziz Yıl­dırım. Als Prä­si­dent hielt er über 20 Jahre die Zügel in der Hand. Ein Patri­arch, ein starker Mann alter Schule, unter dessen Ägide Fener­bahçe sich zunächst pro­fes­sio­na­li­sierte und sechs Mal den Meis­ter­titel holte. Sein Name steht aber auch mit der dun­kelsten Stunde der Ver­eins­ge­schichte in Ver­bin­dung: 2011 war der Prä­si­dent im Mit­tel­punkt des bis dato größten publik gewor­denen Mani­pu­la­ti­ons­skan­dals der Süper Lig. In Fener­bahçes Meis­ter­schafts­saison sollen 13 Spiele ver­schoben worden sein. Ein Straf­ge­richt ver­ur­teilte Yıl­dırım schließ­lich zu über sechs Jahren Haft wegen Betrugs und Bil­dung einer kri­mi­nellen Ver­ei­ni­gung. Doch der tür­ki­schen Fuß­ball­ver­band TFF fällte ein anderes Urteil: Aziz Yıl­dırım wurde von allen Vor­würfen frei­ge­spro­chen. Sogar der Meis­ter­titel ver­blieb in Kadıköy.

2012 wurde Yıl­dırım noch im Gefängnis als Ver­eins­prä­si­dent wie­der­ge­wählt. Er ver­kaufte den Skandal als große Ver­schwö­rung gegen seine Person und den Verein und schaffte es, die Fans hinter sich zu bringen. Ohne den Mani­pu­la­ti­ons­skandal wäre Yıl­dırım wahr­schein­lich schon früher abge­wählt worden“, sagt der Istan­buler Gökçen Ceylan, dessen Familie seit Gene­ra­tionen Fener­bahçe unter­stützt. Seit er in Berlin wohnt, geht der Startup-Gründer zum Süper Lig schauen gern in ein Char­lot­ten­burger Wett­büro, in das man sein eigenes Bier mit­bringen kann. Als die Rede erneut auf Yıl­dırım fällt, schüt­telt er nur mit dem Kopf: Das Ver­hältnis zu ihm war wie in einer schlechten Bezie­hung, bei der man anfangs eine schöne Zeit hatte, aber dann ein­fach nicht schafft, Schluss zu machen“.

Für viele Fans und Experte war die Skan­dal­saison der Anfang des Abschwungs. Fener wurde für zwei Jahre von der UEFA von allen Wett­be­werben aus­ge­schlossen und verlor viele Leis­tungs­träger. Statt weit­sich­tiger Pla­nung wurde das Heil in teuren aus­län­di­schen Alt­stars gesucht, Trainer wech­selten nahezu jähr­lich und junge Spieler über­legten sich zweimal, ob sie zum Talent­friedhof Fener­bahçe wech­seln sollten. Die Ver­eins­ver­schul­dung stieg massiv in diesen Jahren und spä­tes­tens als Rekord­spieler und Fan­lieb­ling Alex de Souza im Herbst 2012 unrühm­lich den Verein ver­lassen musste, wurde die Kluft zwi­schen Anhän­gern und Füh­rung immer größer.

Das System Yıl­dırım hatte sich über die Jahre abge­nutzt“, so Alper Kaya, Fuß­ball-Kolum­nist für die tür­ki­sche Zei­tung Evrensel“. Doch der Alt­prä­si­dent und seine Ver­trauten seien nicht ohne Kampf gegangen: Auf dem Papier hat Yıl­dırım zwar ver­loren, aber er ver­fügt noch immer über genü­gend Ver­bün­dete im Verein, die es dem neuen Füh­rungs­team schwer­ma­chen können.“ Der schmut­zige Wahl­kampf Yıl­dırıms stand poli­ti­schen Kam­pa­gnen in nichts nach – schließ­lich ist die Füh­rung Fener­bahçes mit seinen Aber­mil­lionen fana­ti­schen Fans auch eines der ein­fluss­reichsten Ämter des Landes.

Yıl­dırım ver­suchte sich als Bas­tion gegen eine Ver­schwö­rung von außen dar­zu­stellen und sprach seinem Kon­tra­henten die Qua­li­fi­ka­tion für den Job ab. Einige Beob­achter sti­li­sierten das Duell gar zur poli­ti­schen Sys­tem­frage hoch: Yıl­dırım als sich an seiner Macht fest­klam­mernder Allein­herr­scher gegen Koç, dessen Familie und gleich­na­mige Hol­ding­ge­sell­schaft als Symbol für die alte“ kema­lis­ti­sche Türkei gilt.

621 Mil­lionen Euro Schulden

Tat­säch­lich ver­sprach der neue Prä­si­dent in fast jedem Punkt eine 180-Grad-Wende. Sanie­rung der Finanzen statt über­bor­dender Gehälter, Jugend­för­de­rung statt Alt­stars, Trans­pa­renz statt Hin­ter­zimmer. Ali Koç ist elo­quent und Spross der reichsten Familie der Türkei; zudem ein beken­nender Fener-Fan, der bereits für einige Jahre im Auf­sichtsrat saß. Mit 77 Pro­zent der Stimmen war seine Wahl ein deut­li­ches Signal gegen die alte Füh­rung. Und für den ange­kün­digten Reform­kurs.

In der Folge brach eine regel­rechte Euphorie unter den Fans aus, über 39.000 Dau­er­karten wurden ver­kauft. Koç machte schnell klar, dass er keinen Stein auf dem anderen lassen würde: Vize­meis­ter­trainer Aykut Koçaman wurde ent­lassen, der nie­der­län­di­sche Erfolgs­coach Phillip Cocu ver­pflichtet und mit Damien Comolli zusätz­lich ein fran­zö­si­scher Sport­di­rektor mit Pre­mier-League-Erfah­rung instal­liert.

Die Hypo­thek, die der neue Prä­si­dent Ali Koç in seine erste Saison trug, wog jedoch schwer. Fener­bahçes Schul­den­berg war mitt­ler­weile auf 621 Mil­lionen Euro ange­wachsen. Nach eigenen Angaben schoss Koç direkt im Juni 50 Mil­lionen Euro zu, um lau­fende Kosten zu decken – dar­unter auch offene Spie­ler­ge­hälter. Zu dem schon fra­gilen Finanz­kon­strukt kam die kri­selnde tür­ki­sche Wäh­rung hinzu. Die Ver­träge der Spieler werden übli­cher­weise in Euro oder Dollar ver­han­delt, so dass sich mit der dra­ma­ti­schen Abwer­tung der Lira über Nacht die Gehalts­kosten fast ver­dop­pelten. Mit Josef, Fer­nandão und Giu­liano musste der Verein kurz vor Trans­fer­schluss drei Top­ver­diener und Leis­tungs­träger kurz­fristig ziehen lassen. Als Ersatz kamen weniger teure Spieler, teils zur Leihe aus der Pre­mier League und Ligue 1, sowie die tür­ki­schen Talente Berke Özer, Barış Alıcı und Ferdi Kadıoğlu. 

Der mit reich­lich Vor­schuss­lor­beeren aus­ge­stat­tete Cocu ließ den Nach­wuchs jedoch meist auf der Bank und expe­ri­men­tierte viel mit For­ma­tionen, ohne dabei in seiner vier­mo­na­tigen Amts­zeit zu einem sta­bilen Mann­schafts­ge­füge zu finden. Dar­über hinaus ent­täuschten auch die erfah­renen Neu­zu­gänge um Stürmer Islam Sli­mani auf ganzer Linie.

Schnell wuchs der Druck auf Cocu, der viel­leicht auch die Sprach­bar­riere und Anpas­sungs­schwie­rig­keiten in Istanbul unter­schätzt hatte. Selbst ein Total­umbau und ein gedul­diger Prä­si­dent schützen in Kadıköy nicht vor der Erwar­tungs­hal­tung von Mil­lionen von Fans, die spä­tes­tens ab Mitte Oktober einen alten Bekannten for­derten: Ersun Yanal, mit dem Fener 2014 den letzten Meis­ter­titel holte. Nach einigen durch­wach­senen Wochen mit Inte­rims­trainer Erwin Koeman gab Koç schließ­lich nach und die Anhänger bekamen, was sie wollten.

Was wir jetzt brau­chen, ist Ruhe“

Zurück in Char­lot­ten­burg läuft im Wett­büro auf allen Screens end­lich das Top­spiel des Abends: Der Tabel­len­sieb­zehnte Fener­bahçe trifft auf den Tabel­len­sech­zehnten Erzur­um­spor. Drei Tage nach seiner Ver­pflich­tung sitzt Ersun Yanal zum ersten Mal an der Sei­ten­linie. Das Şükrü Sara­coğlu Sta­dion in Kadıköy ist für einen Mon­tag­abend gut gefüllt und die Partie beginnt ver­hei­ßungs­voll mit zwei schnellen Toren für das Heim­team.

Die Kamera zeigt immer wieder in Groß­auf­nahme Yanal, der lei­den­schaft­lich die Mann­schaft anpeitscht. Das ist es, was uns gefehlt hat“, wirft Fener-Fan Ceylan mit einer geht doch!“-Geste ein. Wie bestellt, stimmen auf einmal die Kurven Ersun-Yanal“-Sprechchöre an, wäh­rend das Team ansehn­lich den Ball laufen lässt. Doch direkt nach der Pause fällt nach hane­bü­chenem Defen­siv­ver­halten der Anschluss­treffer, in der Nach­spiel­zeit das 2:2. Fener­bahçe steht weiter auf einem Abstiegs­platz.

Für Ceylan bleibt es indes dabei, Koç war die rich­tige Wahl: Man kann Alis Arbeit nicht nach nur sechs Monaten bewerten. Was wir jetzt brau­chen, ist Ruhe für lang­fris­tige Pla­nung, wie sie Manager in der Pre­mier League gewährt bekommen.“ Ruhe und Weit­sicht – gelingt es dem neuen Prä­si­denten diese Tugenden in den Süper Lig-Alltag ein­zu­führen, wäre es nicht weniger als die erhoffte Revo­lu­tion für den Verein.