Jeder kleine Fußballfan der Welt hat einen Lieblingsspieler. Doch je älter wir werden, desto seltener verlieben wir uns bedingungslos und bis über beide Ohren. Umso schöner, wenn es doch mal wieder kribbelt.
Ich hatte als Kind keine Lieblingsfarbe. Ich hatte als Kind keine Lieblingsband (der Wu-Tang Clan ist keine Band im eigentlichen Sinne, oder?). Ich hatte als Kind keinen Lieblingsfilm. Ich hatte als Kind zwar ein Lieblingsessen, aber die Sache war fragil, den einen Tag war es Döner, den anderen wurde daraus Nudeln mit Ketchup und wieder einen Tag später die viereckige Salami-Familienpizza von Aldi, je nach dem, was davon ich am längsten nicht gegessen hatte. Eine klare Nummer Eins gab es nicht. Was ich dafür hatte, war Thomas Häßler. Und fünf Jahre später Marcelinho. Und wieder fünf Jahre später Lukas Podolski. Ich hatte einen Lieblingsspieler. Eine klare Nummer Eins.
Kerle, für die ich lesen lernte (Häßler), für die ich nicht nur ins Stadion sondern manchmal auch zum Training fuhr (Marcelinho) oder für die ich einige Jahre lang sogar Fan der Nationalmannschaft wurde (Podolski). Sie waren für mich wie Findelkinder, sie landeten plötzlich und unerwartet in meinem Leben und vom einen Tag auf den anderen waren sie nicht mehr aus diesem wegzudenken. Ich passte auf sie auf, ich verteidigte sie gegen Kritik, ich ließ ihnen Fehler durchgehen, etwa wenn Marcelinho mal wieder drei Monate zu spät aus dem Urlaub kam oder wenn Lukas Podolski zum FC Bayern wechselte. Und so wie man Häßler nach eigener Aussage um 03:00 Uhr hätte wecken können, um mit ihm kicken zu gehen, so hätte man mein achtjähriges Ich um 03:00 Uhr wecken und nach seinem Lieblingsspieler fragen können. Allerdings wäre man maximal bis Lieblingsspie– gekommen, schon hätte der kleine Freak, der ich war, „Icke Häßler“ geschrien und eine detaillierte Begründung folgen lassen, warum das so ist. Danach hätte der Knirps sich sein Häßler-Trikot übergezogen, das er zu Weihnachten bekommen hatte (und das noch immer bei mir im Schrank liegt) und wäre aufgedreht und mit einem Stoffball ausgestattet durchs Zimmer getobt. Heute würde ich ungern von einer Frage dieser Art geweckt werden. Irgendwann auf der Strecke ist mir die bedingungslose Liebe zu einzelnen Spieler abhanden gekommen.
Je älter wir werden, desto träger werden wir, desto mehr Gepäck schleppen wir mit uns herum. Und desto mehr zerdenken wir den ganzen Zirkus. Wir wissen plötzlich, dass die Typen, denen wir am Wochenende zujubeln, am Saisonende weiterziehen werden, wenn denn die Kohle oder die sportliche Perspektive oder beides stimmt. Wir wissen, dass das ihr gutes Recht ist, weil das Business nun mal so funktioniert, aber wir wissen mittlerweile eben auch, dass es dumm wäre, diesen jungen Typen das eigene Herz zu schenken. Wir wissen, dass ihr Leben mit unserem kaum noch Überschneidungen hat, und von dem, was sie uns im Internet von sich präsentieren, bekommt man nicht unbedingt Lust, sie näher kennenzulernen. Gibt es aktuell überhaupt einen Spieler, mit dem man gerne mal auf Sauftour gehen würde? Mir fällt keiner ein. Zumindest nicht auf Anhieb.
Für Podolski fand ich lange Zeit keinen Nachfolger. Natürlich, es gab kleine Romanzen, Ronaldinho war eine Stimmungskanone, Özils Pässe lassen mich bis heute schmachten, Marko Pantelics Außenrist hätte ich mir vielleicht sogar als Poster ins Zimmer gehangen und Raffael konnte man gar nicht nicht mögen, allein schon, weil er sich so elegant bewegte und dabei immer so traurig schaute. Aber echte Begeisterung? Liebe? Ein Pfeil, der aus dem Nichts kommend mitten ins Herz trifft? Fehlanzeige. Irgendwann hatte ich diesen Zustand akzeptiert. So ist das eben, so wird man zumindest nicht enttäuscht, es gibt ja außerdem immer noch die irrationale Liebe zum Lieblingsverein, die kräftezehrend genug ist. Mir fehlte nichts. Und dann kam der 15.02.2020.