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Manchmal rum­pelt der weiße Truck so sehr über die stau­bige Straße, dass das jüngste der Mäd­chen fast von der Lade­fläche fliegt. Ziel des Trucks ist der Flug­hafen von Bat­tam­bang, der zweit­größten Stadt Kam­bo­dschas. Dreimal die Woche klam­mern sich die Mäd­chen an die Lade­fläche, fahren über die rie­sige Beton­fläche, von der seit Jahren kein Flug­zeug mehr abhebt. Am Ende der Beton­fläche stehen drei alte Flug­zeug­han­gars, ein paar Tore ohne Netz und ein Baum. Der Baum dient als Umklei­de­ka­bine und ist ein Glücks­fall, denn obwohl die Mighty Girls die Hitze der Tro­cken­zeit gewöhnt sind, tut der Schatten nach dem 90-minü­tigen Fuß­ball­trai­ning gut. Wieder 90 Minuten, in denen die Mäd­chen die Ver­gan­gen­heit ver­gessen können.

Die Mighty Girls werden das erste kam­bo­dscha­ni­sche Natio­nal­team der Frauen sein. Das ist jeden­falls eines der Ziele des Schwei­zers Samuel Schwein­gruber, 33, der 2006 die SALT-Aca­demy (Sports and Lea­der­ship Trai­ning) gegründet hat. SALT richtet sich mitt­ler­weile an über 2000 Mäd­chen und Jungen in den drei nord­west­li­chen Pro­vinzen Kam­bo­dschas, es gibt gere­gelten Ligen­be­trieb, natio­nale und inter­na­tio­nale Tur­niere und Trai­ner­kurse. Die Mighty Girls, Mäd­chen zwi­schen 14 und 19 Jahren, sind mitt­ler­weile so gut, dass sie in der Liga der Jungen mit­spielen. Aber so viel Spaß und Ehr­geiz die Mäd­chen in ihrem Sport auch ent­wi­ckelt haben – Fuß­ball ist nur das Mittel, sich der kam­bo­dscha­ni­schen Gegen­wart zu stellen. Hil­fe­stel­lung und Rüst­zeug für das, was das Leben bereit­hält. Viele Fami­lien haben kein Geld für die Aus­bil­dung ihrer Kinder. Die Schule ist eigent­lich kos­tenlos, doch weil Lehrer nur etwa 60 bis 70 Euro im Monat ver­dienen, bes­sern sie ihr Gehalt auf, indem sie sich das Kor­ri­gieren der Haus­auf­gaben bezahlen lassen.

Lindas Vater ist auf eine Land­mine getreten. Ohne Beinen kann er nicht arbeiten

Das sind zwar oft nur wenige Cent pro Tag, aber in Lindas Fall macht das einen großen Unter­schied. Linda ist 17, Ver­tei­di­gerin bei den Mighty Girls und stammt aus der Region Pailin an der Grenze zu Thai­land. Seitdem ihr Vater auf eine Land­mine getreten ist, die noch immer zu Tau­senden im Land liegen, hat er keine Beine mehr und kann des­halb nicht arbeiten. An Geld für den Eng­lisch­un­ter­richt war nicht zu denken. Ich habe nur Khmer gelernt, sonst nichts. Nach der Schule bin ich schnell nach Hause gegangen und habe meinen Eltern geholfen.“ Trotzdem habe sie es gut gehabt, sagt Linda, immerhin konnte ab und zu das tun, was sie am liebsten mag: Fuß­ball spielen.

So wurde das SALT-Team um Samuel Schwein­gruber auf sie auf­merksam und holte Linda ins Mäd­chen­wohn­heim nach Bat­tam­bang, ein grün gefliestes zwei­stö­ckiges Haus nicht weit von der Uni­ver­sität. Von hier startet dreimal wöchent­lich der weiße Truck in Rich­tung des alten Flug­ha­fens, ihrem Trai­nings­platz. Im Wohn­heim bekommt sie mit elf anderen Mäd­chen kos­ten­losen Eng­lisch­un­ter­richt, teilt sich mit ihnen drei Zimmer, den Hof mit den ein­fa­chen Stein­bänken und den wöchent­li­chen Spül­dienst. Sonn­tags kochen die Mäd­chen gemeinsam. Im Wohn­heim und durch das gemein­same Fuß­ball­spielen sollen Linda, ihre beste Freundin Socheata und die anderen die wirk­lich wich­tigen Dinge lernen: Welche Kraft ein festes soziales Gefüge gibt. Wie die Mäd­chen eine Vor­stel­lung von ihren eigenen Zielen ent­wi­ckeln. Wie sie mutig genug werden können, um Vor­bilder für andere Jugend­liche zu sein. Und wie man selbst­be­wusst nein“ sagt.

Die Mäd­chen müssen vor ihren Fami­lien geschützt werden

Denn die Rea­lität in Kam­bo­dscha bedeutet manchmal auch, dass Mäd­chen vor ihren eigenen Müt­tern und Vätern, Onkeln und Tanten geschützt werden müssen. Einige der Fami­lien sind so arm, dass sie auf die Unter­stüt­zung ihrer Töchter ange­wiesen sind, sobald diese kör­per­lich arbeiten können. Wenn es reicht, auf dem Feld oder auf dem Markt. Wenn nicht, werden manche Mäd­chen auch an Men­schen­händler ver­kauft, die sie dann häufig in die Haupt­stadt Phnom Penh oder nach Thai­land wei­ter­ver­mit­teln, wie Shannon Hiller erklärt, eine 26-jäh­rige SALT-Mit­ar­bei­terin aus den USA: Meis­tens heißt es dann, sie würden in der Klei­der­fa­brik arbeiten. Das kann sein. Es kann aber auch alles andere bedeuten.“

Alles andere, das schließt auch Kin­der­pro­sti­tu­tion mit ein. In Kam­bo­dscha sind Pro­sti­tu­tion und Men­schen­handel zwar ver­boten, doch auch ein Poli­zist ver­dient so wenig, etwa 60 Euro im Monat, dass er gegen eine genü­gend hohe Summe womög­lich nichts sehen will. Die eigent­liche Frage ist: Wie kann es einer Mutter so schlecht gehen, dass sie über­haupt in Erwä­gung zieht, ihr eigenes Kind zu ver­kaufen?

Zunächst fehle oft ein­fach die Bil­dung, erklärt Hiller, die seit zwei­ein­halb Jahren in dem süd­ost­asia­ti­schen Land arbeitet, und nicht nur die Bil­dung selbst, son­dern auch das grund­le­gende Ver­ständnis dafür: Wir haben von Dör­fern gehört, in denen der Lehrer einem Mäd­chen, das nicht sehr gut in der Schule war, geraten hat, es solle viel­leicht besser nach Thai­land arbeiten gehen.“ Aus sol­chen ille­galen Abhän­gig­keits­ver­hält­nissen kämen die Kinder nur äußerst schwer wieder heraus. Es gebe aller­dings auch Mäd­chen, die eines Tages ver­schwinden und Monate später wieder mit viel Geld für die Familie nach Hause kommen. Dabei beschö­nigen manche ihre Erleb­nisse so sehr, dass die Freun­dinnen oder die jün­geren Geschwister viel­leicht denken, dass das doch ganz attraktiv klingt“, sagt Hiller. Zudem gilt in ganz Süd­ost­asien: Geht es der Familie schlecht, muss jeder ver­su­chen, zu helfen.

Die 13-jäh­rige Lee kam plötz­lich nicht mehr zum Trai­ning

Wann immer die SALT-Mit­ar­beiter davon hören, dass eines der Mäd­chen Pro­bleme mit der Familie hat oder davon spricht, weg­zu­gehen, ver­su­chen sie, mit ihm über Alter­na­tiven zu spre­chen. Manchmal kommen sie dabei zu spät, wie im Falle der damals 13-jäh­rigen Lee, die von einem auf den anderen Tag nicht mehr zum Trai­ning kam. Shannon Hiller fragte nach, aber weil die Familie kein Telefon besaß, musste der Kon­takt über die Nach­barn orga­ni­siert werden. Da war Lee schon in Phnom Penh, in einer Klei­der­fa­brik. Hiller fuhr in die Haupt­stadt und ver­suchte, sie zu finden – ver­geb­lich. Die Familie blockte ab, sie rech­neten mit dem guten Geld, das ihre junge Tochter schon heim­bringen werde. Nach einigem Hin und Her wil­ligten die Eltern ein, Lee wieder nach Bat­tam­bang zu holen – wenn SALT ihr die Schul­kosten und den zusätz­li­chen Eng­lisch­un­ter­richt bezahle. Das waren nur einige Dollar im Monat, natür­lich haben wir das gemacht“, sagt Hiller. So kann sie noch ein biss­chen länger Kind sein. Aber die Fami­lien dürfen natür­lich nicht ver­su­chen, auf diesem Umweg an Geld zu kommen.“ SALT lebt von Spenden, wobei Samuel Schwein­gruber, der Gründer, in der Ver­gan­gen­heit auch schon mit seinem eigenen Geld ein­springen musste.

Die meisten der Mighty Girls von Kam­bo­dscha haben zum Glück klei­nere Pro­bleme. Aber dafür große Träume: Die 18-jäh­rige Socheata zum Bei­spiel möchte Jura stu­dieren. Und später Pre­mier­mi­nis­terin werden!“ Wie ihre Freundin Linda ist Socheata Ver­tei­di­gerin. Sie hat schon einen Trai­ner­schein gemacht und darf die jün­geren Mäd­chen trai­nieren. Darauf ist sie ziem­lich stolz – und Linda ein wenig nei­disch. Doch auf dem grauen Beton­platz draußen am Flug­hafen ist das ver­gessen. Das Abschluss­spiel steht an, der Teil des Trai­nings, worauf sich jeder fuß­ball­be­geis­terte junge Mensch am meisten freut. Egal ob in Kam­bo­dscha oder in Deutsch­land. Die Mäd­chen schleppen das zweite Metalltor auf den Platz, ein Schuh dient als Mar­kie­rung für die Außen­linie.

Bald sind die 90 Minuten Trai­nings­zeit vorbei, doch die Mäd­chen, die als Mighty Girls gemeinsam Fuß­ball spielen, haben das Glück, in einen alters­ge­rechten Alltag zurück­zu­kehren. Sie müssen keinen Müll sam­meln, nicht alleine in fremden Städten arbeiten. Viele andere Kam­bo­dscha­ne­rinnen haben dieses Glück nicht.