Der schottische Fußball lebt. Das haben die Glasgow Rangers in ihrer diesjährigen Europa-League-Saison gezeigt. Doch es gab Zeiten, da war der schottische Fußball das Maß aller Dinge. Besser: Celtic Glasgow war es. Heute vor 55 Jahren gewannen sie den Europapokal der Landesmeister.
Zuerst war nur eine Stimme zu hören, dann fiel eine weitere ein, dann noch eine, bis schließlich elf Männer in der Dunkelheit des Tunnels sangen: „Hail, hail, the Celts are here! What the hell do we care now?“ Es war die Hymne dieser Männer, die Hymne von Celtic Glasgow.
Neben ihnen duckten die Spieler von Inter Mailand die Köpfe unter dem Gegröle. Gestriegelt wie Rassepferde waren sie immer noch, doch nun standen sie da wie verschüchterte Schuljungen. Der Weg von den Kabinen ins Estádio Nacional zu Lissabon hatte sie über einen kleinen Innenhof in den dunklen Tunnel geführt. Dort warteten sie nervös darauf, die Treppenstufen vor ihnen erklimmen zu dürfen, um endlich die beruhigende Vertrautheit des Fußballplatzes zu erreichen. Der kurvige, unübersichtliche Weg durch die Dunkelheit hatte sie ihre Nervosität spüren lassen.
Und dann auch noch dieser archaische Gesang! Wie kraftvoll die Glasgower sangen, wie siegesgewiss! „Hail, hail, the Celts are here!“ Mittelfeldspieler Bertie Auld hatte das Lied angestimmt. Die Männer, die ihn umgaben, waren wie seine Familie, alle innerhalb eines Radius von 30 Meilen um Glasgow geboren. Sie waren Celtic – „what the hell do we care now?“
In der laufenden Europapokalsaison hatten sich die Glasgower vom tapferen Debütanten zu einem aufregenden Außenseiter entwickelt. Auf ihrem Weg ins Endspiel von Lissabon hatten sie den FC Zürich und den FC Nantes aus dem Wettbewerb gefegt, bevor sie im Viertelfinale die hoch favorisierten Jugoslawen vom FK Vojvodina in einem harten Kampf nach Hin- und Rückspiel 2:1 bezwangen. Den Halbfinalgegner Dukla Prag deklassierten sie zu Hause im Celtic Park mit atemberaubendem Angiffspiel 3:1 und ertrotzten sich im Rückspiel in Prag ein 0:0. In den Wochen vor dem Finale hatten sie jede Trophäe gewonnen, die es zu gewinnen gab: die nationale Meisterschaft, den nationalen Pokal, den Ligapokal und den Glasgow Cup. Der Erfolg dieser Mannschaft hatte eine solche Eigendynamik erreicht, dass etwa die französische Presse nur noch vom „L’Orage“ schrieb – dem Sturm.
Dieser Sturm, das deutete sich schon in den Katakomben an, sollte nun auch über La Grande Inter kommen.
Nach acht Jahren ohne Titel hatte in den zwei Spielzeiten unter Trainer Jock Stein für Celtic eine neue Ära begonnen. So kam die Mannschaft zwei Tage vor dem Finale voller Elan und Selbstbewusstsein in Lissabon an. „Es gibt ein wunderbares schottisches Wort“, sagt der rechte Außenverteidiger Jim Craig. „Es heißt gallus. Und wenn einer gallus ist, dann ist er sehr von sich überzeugt. Wir sind zwar nicht rumgegangen und haben es jedem auf die Nase gebunden, aber es gab niemanden, mit dem wir es nicht hätten aufnehmen können. Ja, wir waren gallus!“ Von den 63 Spielen, die Craig und seine Kumpels in der Saison bestritten hatten, hatten sie 51 gewonnen, nur vier verloren und dabei 198 Tore geschossen.
Und doch machten ihnen nur wenige Experten Hoffnung. Inter Mailand gehörte zum europäischen Hochadel. In vier Spielzeiten hatte die Mannschaft von Trainer Helenio Herrera durch ihren perfektionierten Catenaccio nur ein einziges Mal im Europapokal verloren. Die Trikots der Nerazzurri waren aus Kaschmir. Sie waren, wie Celtics herausragender Mittelfeldregisseur Bobby Murdoch später stichelte, „Ambre-Solaire-Männer“.
Trainer Jock Stein, ein ehemaliger Minenarbeiter, blieb unbeeindruckt vom vermeintlich überlegenen Gegner. „Pokale werden nicht von Individuen gewonnen“, sagte er bei der Ankunft. „Sie werden von Männern gewonnen, die ein Team sind. Männern, denen ihr Verein wichtiger ist als persönliche Anerkennung. Ich habe Glück, denn ich habe Spieler, auf die genau das zutrifft.“ Diese Vertrauensbekundung erlaubte es Steins Spielern, sich zu entspannen.
Der Kontrast zu Inters Vorbereitung hätte damit krasser nicht sein können: Vollkommen abgeschottet von der Öffentlichkeit, wurden die Italiener vom Erwartungsdruck fast erdrückt.