Am 18. April 2009 gewinnt der FC Bayern 1:0 gegen Arminia Bielefeld – eine Woche später musst Trainer Jürgen Klinsmann gehen. Erinnerungen an die letzten Tagen einer neuen Ära, die keine wurde.
In jeder Bayern-Krise überbieten sich die Experten und Analytiker mit Superlativen. Meistens schwingt der Subtext mit, dass es so schlimm noch nie gewesen sei, und so war es auch im April 2009. Franz Beckenbauer jammerte nach dem 0:4 gegen Barcelona: „Eine Katastrophe, die erste Halbzeit war das Fürchterlichste, was ich je vom FC Bayern gesehen habe.“ Dazu muss man wissen, dass der Mann seine letzte Bayern-Saison 1976/77 absolvierte, als die Mannschaft 0:7 gegen Schalke verlor, 1:3 gegen Tebe Berlin und 1:6 gegen Saarbrücken. Auch die Saison 1991/92 war vermutlich fürchterlicher, damals wurden die Bayern mit Spielern wie Ronald Grahammer und Jan Wouters Zehnter. Zehnter! Der FC Bayern! Es klingt bizarrer als der Satz: „Union Solingen hat die Champions League gewonnen.“
Und dann gab es ja noch die FC-Hollywood-Phase, 1996/97 war das. Protagonisten: Jürgen Klinsmann, damals noch Spieler, und sein Intimfeind Lothar Matthäus. Jede Woche krachte es, jeden Tag konnte man darüber in der „Bild“ lesen. Sinnbild der Saison: Klinsmanns Tritt in die Werbetonne. Höhepunkt der Saison: Eine Wette, die Matthäus Manager Uli Hoeneß angeboten hatte. „Klinsmann schießt keine 15 Tore“, sagte Matthäus, „sonst zahle ich 10.000 Mark.“ Hoeneß schlug ein, Klinsmann machte am letzten Spieltag sein 15. Tor.
Trotzdem: Der April 2009 war tatsächlich besonders beschissen, denn Jürgen Klinsmann war mit viel Bohei zu den Bayern gekommen. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge hatten an eine kleine Revolution geglaubt. Klinsi galt, obwohl er nie eine Vereinsmannschaft trainiert hatte, als eine Art Visionär und Wir-müssen-jeden-Stein-umdrehen-Trainer. Er wirkte jung und dynamisch und amerikanisch und ganz anders als biedere deutsche Übungsleiter wie Erich Ribbeck, Otto Rehhagel oder damals auch Jupp Heynckes. Klinsmann brachte sogar ein hübsches Versprechen mit: „Ich will jeden Spieler jeden Tag ein Stück besser machen.“
Anfang April 2009 mussten die Großkopferten konstatieren, dass er (nahezu) jeden Spieler jede Woche ein Stück schlechter gemacht hatte. Vor der Partie gegen Bielefeld äußerte sich zur Personalie jeder Hobby-Experte, der zufällig an einem Mikrofon vorbeikam. Der ehemalige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber sagte in der Bunten, dass ihm doch etwas das Bayrische fehle: „Es ist doch sehr ernüchternd und sehr amerikanisch, das hat für mich wenig mit Fußball zu tun.“
Um die Qualität jener Bayern-Elf einschätzen zu können, reicht ein Blick auf die Startelf, in der Christian Lell, Andreas Ottl und Jose Sosa standen. Das Spiel war zerfahren, Arminia hatte einige gute Chancen, einen Kopfball von Robert Tesche lenkte Butt über die Latte, und die mitgeereisten Bayern-Fans stimmten Klinsmann-raus-Rufe an. Luca Toni köpfte das 1:0, und Hans-Jörg Butt resümierte oldenburgisch nüchtern: „Hauptsache, drei Punkte.“
Aber im Grunde glaubten wieder nur Hoeneß und Klinsmann daran, dass alles gut würde: „Man könnte denken, dass wir im Chaos stecken, wenn man sich so umhört. Aber wir sind in der Champions League ins Viertelfinale gekommen und spielen um die Meisterschaft mit. Viele Vereine auf der Welt wären überglücklich, in unserer Situation zu sein“, sagte der Manager, und der Trainer ergänzte: „Irgendwann werden wir auf Platz eins stehen – und zwar noch in dieser Saison.“
Es kam anders, Wolfsburg gewann die Meisterschaft, und Klinsmann wurde exakt eine Woche später nach einer Niederlage gegen Schalke entlassen. Für Klinsmann kam ein Trainer, der bereits Anfang der Neunziger bei den Bayern gearbeitet hatte. Genauer gesagt: 1991/92, damals, in der Horrorsaison, als die Bayern nur Zehnter wurden. Sein Name: Jupp Heynckes.