Timo Mertesacker, der Bruder des Nationalspielers, erlebt die WM in Brasilien als Fan im Camp des „Fanclub Nationalmannschaft“. Ein Gespräch über Heiserkeit und Sprachbarrieren.
Timo Mertesacker, Mitglieder des „Fanclub Nationalmannschaft“ kommen leichter an Länderspieltickets. War das auch Ihr Beweggrund dem Club beizutreten?
Nein, wir bekommen unsere WM-Tickets über Per. Trotzdem sind wir beigetreten um den Fanclub zu unterstützen.
Die Nationalspieler bekommen Freikarten für Ihre Freunde?
Nein, Per muss die Karten natürlich auch bezahlen. Wir haben es so geregelt, dass wir das Geld nicht persönlich an ihn zurückzahlen, sondern den Betrag an die „Per Mertesacker Stiftung“ weiterleiten, die sich für sozial benachteiligte Kinder im Raum Hannover einsetzt. So kommt das Ganze einem guten Zweck zugute.
Sie haben sich also aus Jux und Dollerei entschieden, im Pulk der deutschen Fans zu reisen.
Die Mitgliedschaft im Fanclub ist das Ergebnis einer einjährigen Planungsphase, in der wir überlegt haben, wie wir Per bei seinem vielleicht letzten großen Turnier begleiten können.
Aber er ist doch erst 29.
Man weiß ja nie, macht das Knie schlapp oder rückt doch mal ein Jüngerer auf seiner Position nach. Er hat schließlich schon 10 Jahre Profifußball auf sehr hohem Level auf dem Konto. Okay, er hat noch bis 2017 Vertrag in London, das Niveau bei Arsenal stimmt, vielleicht spielt er auch noch die nächste EM. Wie auch immer, wir haben entschieden, diesen Urlaub in Brasilien zu machen.
Und da war der Fanclub die beste Alternative?
Die Reise ist so angelegt, dass wir so lange hier sind, wie die Deutschen im Turnier sind. Sollte die Mannschaft ausscheiden, endet die Reise automatisch und wir fliegen nach Hause. Hier im Camp können wir das Turnier in vollen Zügen genießen, mal in Ruhe ein Bier trinken, mit Fans quatschen, ein bisschen Beachsoccer spielen und müssen uns sonst um nichts kümmern, da uns die Organisation komplett vom Fanclub und dem DFB-Reisebüro abgenommen wird.
Wie ist die Stimmung?
Anders als Sie vielleicht erwarten. Die meiste Zeit ist es recht ruhig, fast wie Cluburlaub. Aber wenn Italien ausscheidet, bricht natürlich auch mal großer Jubel aus.
Wie sind die ewig langen Busreisen mit den Fans?
Wir haben uns ein Jahr vor dem Turnier Flüge zu den Spielen gesichert, die auch noch bezahlbar waren, damit wir etwas mehr Zeit und Ruhe haben.
Wie sind Sie denn so als Fan?
Ich habe im Prinzip drei Profi-Klubs: den FC Arsenal, Werder Bremen und natürlich Hannover 96, wo ich selbst gespielt habe. Ist doch klar, wenn mein Bruder bei einem Verein kickt, baue ich da familiäre Sympathien auf. Aber generell bin ich Roter: bei 96 und bei Arsenal.
Fahren Sie oft auswärts?
Ich war als 16-Jähriger auf dem Weg zum Profi, doch ich bekam Wachstumsprobleme und durch ein Rückenleiden konnte ich fast zwei Jahre nicht spielen. In der Zeit bin ich 96 ständig hinterhergereist. Ich weiß, wie die Fanseele tickt. Heute sehe ich zu, möglichst oft mit den Arsenal-Fans unterwegs zu sein. Die sind unglaublich. Hat übrigens den netten Nebeneffekt, dass mein Englisch inzwischen super ist, was mir in einigen Geschäftsterminen schon geholfen hat.
Wie stehen Sie zur Nationalelf?
Wo Per dabei ist, da schlägt mein Herz. Im Gegensatz zu ihm, fällt es mir allerdings schwer bei Spielen ruhig zu bleiben. Hören Sie meine Stimme? Die ist immer noch etwas heiser, weil ich mir beim letzten Deutschlandmatch etwas zu lautstark mitgesungen habe.
Klingt nach der legendären Mixtur: Fangesang in Verbindung mit Alkoholkonsum.
Ich feuere die Mannschaft lautstark an, das stimmt. Und natürlich trinken wir auch mal ein, zwei Biere, wir haben schließlich unseren Jahresurlaub für die Reise genommen. Aber wenn es am nächsten Morgen zu einem Ausflug ins SOS Kinderdorf geht, stehen wir auch wieder auf der Matte und versuchen eine ordentliche Botschafterrolle abzugeben.
Wer sind wir?
Ich und zwei sehr gute Freunde, die ich noch aus der Schule kenne.
Wie haben Sie sich auf Brasilien vorbereitet?
Seit der Ankunft im Lager in Itamaraca nördlich von Recife laufe ich mit dem Wörterbuch rum, damit ich in der Landesprache zumindest mal einen Smalltalk halten kann. Mir war bewusst, dass Englisch nicht überall gesprochen wird. Und das Wörterbuch hat mir schon einige gute Dienste erwiesen.
Wie sind Sie während des Turniers mit Ihrem Bruder in Kontakt?
Wir schreiben uns ständig Nachrichten per What’s App, vorgestern haben wir auch telefoniert. Beim Spiel gegen die USA in Recife wollten wir uns noch kurz treffen. Er hatte offenbar Lust, ein bisschen Unsinn zu quatschen und eine Runde Skat mit uns zu spielen. Aber es war doch zu viel Trubel und die Mannschaft lebt an solchen Tagen im Hochsicherheitstrakt, so dass ich gesagt habe: „Komm, lass weg, das machen wir wann anders“.
Wie gefällt es Ihrem Bruder in Brasilien?
Sehr gut. Okay, die Bedingungen sind auch für ihn teilweise extrem. Nach dem Spiel in Fortaleza gegen Ghana meinte er, dass sei an die Nieren gegangen. Aber er hat – positiv ausgedrückt – eine sehr ökonomische Art zu spielen. Per kommt deshalb auch mit den brasilianischen Gegebenheiten ganz gut zurecht.
Haben Sie mit ihm vorab viel über den WM-Titel geredet?
Wir wollen hier Weltmeister werden. Ist doch klar. Und Per sagt auch, wir als Fans, wir hätten uns den Titel in jedem Fall verdient. (Lacht.)
Ihr Bruder hat sich ausnahmsweise nach dem Algerien-Spiel aus der Ruhe bringen lassen. Auf die Frage nach dem holprigen Umschaltspiel sagte er, er könne die ganze Fragerei nicht verstehen. Zitat: „ Was wollen Sie jetzt vorn mir. (…) Glauben Sie jetzt unter den letzten 16 ist irgendwie ne Karnevalstruppe oder was?“
Aus meiner Sicht war das ein ganz normale emotionale Reaktion und keinesfalls überzubewerten. Per kann ich absolut verstehen. Nach 120 Minuten ist er nur ehrlich gewesen und hat frei von der Leber weg gesrpochen, was sonst jeder Journalist erwartet. Wir haben unheimlich viele positive Reaktionen erhalten. Jetzt hoffen wir, dass die Eistonne dem Team hilft und wir am Freitag Frankreich besiegen.