Die deutsche Nationalmannschaft verspielt gegen England den eigentlich sicheren Sieg. Davon aber will sie sich in ihrem Optimismus auf den WM-Titel nicht beeinflussen lassen.
In Zeiten, in denen sich die Dinge massiv verändern, wissen die Menschen das Bewährte umso mehr zu schätzen. Das gilt nicht nur für das große gesellschaftliche Ganze. Das gilt auch für scheinbare Nebensächlichkeiten wie ein Fußballspiel.
Am Montagabend, beim Nations-League-Duell zwischen England und Deutschland, tanzten die Verhältnisse in der zweiten Halbzeit Polka. Sämtliche Gewissheiten wurden im Wembley-Stadion über den Haufen geworfen.
Erst verspielten die Deutschen ihren eigentlich schon sicheren Sieg, dann taten die Engländer es ihnen nach. Wenigstens auf eines aber war wieder einmal Verlass: auf die Performance der englischen Torhüter.
Drei Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit versuchte es Serge Gnabry in einem Akt der Verzweiflung mit einem Schuss aus der Distanz. Der Ball flog weder besonders hart noch besonders platziert auf Nick Pope im englischen Tor zu. Doch der Torhüter von Newcastle United ließ den Ball nach vorne abprallen, genau vor die Füße von Kai Havertz, der mit seinem zweiten Treffer den 3:3 (0:0)-Endstand in einem aberwitzigen Spiel erzielte.
Für deutsche Fußballfans sind englische Torhüter seit jeher so etwas wie ein Running Gag, ein Quell steter Heiterkeit. Am Montagabend waren sie in Person von Nick Pope mehr als das. Sie waren den Deutschen: ein großer Trost.
Ich nehme viele positive Dinge mit, aber auch ein paar negative“
Die Nationalmannschaft hatte in Wembley gewissermaßen den Papst in der Tasche. Nicht auszudenken, Pope hätte bei Gnabrys Schuss einfach kraftvoll zugepackt und seiner Mannschaft den 3:2‑Erfolg gesichert. Die Deutschen hätten anschließend die zweite Niederlage innerhalb von drei Tagen erklären müssen.
So konnte Bundestrainer Hansi Flick im Interview bei RTL kurz nach dem Abpfiff behaupten, dass seine Mannschaft ihn in vielem positiv überrascht habe. „Ich nehme viele positive Dinge mit“, sagte er, „aber auch ein paar negative.“
Nun ja. In der allgemeinen Betrachtung lagen die Dinge wohl eher andersherum. Aber das ist womöglich der Unterschied zwischen Binnen- und Außensicht. Und ein wenig Autosuggestion war wohl auch dabei. „Wir sind alle heiß“, sagte Flick. „Ich bin mir sicher, dass wir eine richtig gute WM spielen.“
Knapp acht Wochen sind es noch, bis die Nationalmannschaft gegen Japan ihr erstes Gruppenspiel bestreitet. Bis dahin sind Flicks Spieler ausschließlich in ihren Vereinen beschäftigt, sieht man einmal von einem Kurztrainingslager inklusive eines Testspiels gegen Oman unmittelbar vor dem Turnier ab.