Die deutsche Nationalmannschaft verspielt gegen England den eigentlich sicheren Sieg. Davon aber will sie sich in ihrem Optimismus auf den WM-Titel nicht beeinflussen lassen.
„Von einer Vorbereitung kann man eigentlich nicht sprechen“, sagte Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft. Umso mehr komme es daher bei der WM auf die Mentalität des Teams an.
Wenigstens in dieser Hinsicht lieferte der Auftritt in Wembley einige erfreuliche Erkenntnisse. „Positiv ist, dass wir am Ende noch zurückkommen“, sagte Mittelfeldspieler Joshua Kimmich, der auch bei der Körpersprache und der Kontrolle über das Spielgeschehen Fortschritte erkannt hatte im Vergleich zum trägen 0:1 gegen Ungarn drei Tage zuvor.
Dass die Deutschen nach dem 2:0 Mitte der zweiten Halbzeit aber überhaupt noch einmal zurückkommen mussten, das fand Kimmich „eigentlich unerklärlich“.
So etwas dürfe der Mannschaft einfach nicht passieren, klagte auch Bundestrainer Flick. „Wir haben uns von den Engländern den Schneid abkaufen lassen“, sagte er. „Das sind Dinge, die wir einfach angehen müssen. Das müssen wir besser machen, denn wir wollen eine erfolgreiche WM spielen.“
Die Spiele gegen Ungarn und England sollten der Mannschaft eigentlich Mut und Zuversicht für das anstehende Turnier verschaffen. Doch das gelang nur bedingt. Die Zweifel hinsichtlich Standhaftigkeit und Struktur des deutschen Teams bestehen weiterhin.
Und so spielt in den Personalplanungen des Bundestrainers auch weiterhin die Hoffnung eine große Rolle. Die Hoffnung, dass all seine Schlüsselspieler gesund bleiben und sie bis zur WM auch mit ihren Vereinen ausreichende Erfolgserlebnisse feiern können.
Aktuell ist das nicht der Fall, weshalb Flick in seinem Kader ein beachtliches Leistungsgefälle moderieren muss. Vermeintliche Stammkräfte sind derzeit nicht in der Form, dass sie wie selbstverständlich einen Stammplatz bei der WM für sich beanspruchen dürfen.
Das gilt für Timo Werner, der in den Planungen des Bundestrainers eigentlich als Mittelstürmer Nummer eins vorgesehen war. Das gilt für die beiden designierten Außenverteidiger David Raum und Thilo Kehrer. Und das gilt nicht zuletzt für die Bayern-Fraktion mit Leroy Sané, Serge Gnabry und Thomas Müller.
Die Gewinner beim Unentschieden von Wembley und mit Blick auf die WM waren andere: Kai Havertz vom FC Chelsea hat gezeigt, dass er derzeit die bessere Wahl für die Rolle des Mittelstürmers ist als sein früherer Londoner Vereinskollege Werner. Und Jamal Musiala ist aus der Stammelf kaum wegzudenken, egal ob er im defensiven oder im offensiven Mittelfeld spielt. „Jamal hat gezeigt, was ihn auszeichnet“, sagte der Bundestrainer.
Der junge Münchner war an den beiden ersten Toren der Deutschen beteiligt. Harry Maguires Foul an ihm führte zum Elfmeter, den Ilkay Gündogan zum 1:0 verwandelte, und vor dem 2:0 war es Musiala, der Maguire kurz vor dem deutschen Strafraum den Ball stibitzte. „Er ist defensiv und offensiv ein Spieler, der uns sehr guttut“, sagte Flick.
Musialas Unbekümmertheit, seine fußballerische Leichtigkeit, verbunden mit der nötigen Widerstandsfähigkeit: All das werden die Deutschen brauchen, wenn sie in Katar ihr großes Ziel verwirklichen wollen. Für Ilkay Gündogan ist der Traum vom Titel nicht unrealistisch. „Wir haben das Potenzial, um ganz weit zu kommen“, sagte er. „Ich sehe keine Mannschaft meilenweit voraus.“
Das ist nach den jüngsten beiden Spielen in der Nations League vielleicht tatsächlich das größte Plus für die Deutschen. Andere Länder haben auch Probleme. Manche sogar ziemlich große.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.