Rund um den DFB macht mal wieder das Wort „Nachwuchsproblem“ die Runde. Was aber sagen Kai Havertz, Thilo Kehrer und Co. zu dieser Kritik? Wir haben die größten deutschen Talente besucht.
Sternschnuppen gibt es im Fußball genug, doch in Berlin zweifeln nur wenige an Arne Maier, er selbst erst recht nicht. „Manches, was er hat, kann man nicht lernen. Dieses Selbstbewusstsein, die Ausstrahlung. Wenn er gesund bleibt, wird er sehr erfolgreich werden“, sagt Herthas U19-Trainer Michael Hartmann über Arne Maier. „Er hat auf dem Platz keine Angst, deswegen kann er eine Mannschaft Fußball spielen lassen“, sagt Teamkollege Salomon Kalou über Arne Maier. „Ich habe immer gerne den Ball, ich will mich nicht verstecken. Ich suche, wann immer es geht, den Ball in die Tiefe“, sagt Arne Maier über Arne Maier.
Wenn er über sich selbst spricht, dann macht er das souverän wie ein erfahrener Spieler. Die Fragen arbeitet er Stück für Stück weg, weder unhöflich noch ausufernd, er weiß, wie man etwas sagen kann, ohne zu viel zu verraten. Ob er gegen die Platzhirsche auch mal die Ellbogen ausfahren müsse, um sich Respekt zu verschaffen? Quatsch, sagt er, jeder helfe jedem, man sei schließlich ein Team und kämpfe für die gleichen Ziele.
Auch bei den Fotos ist er längst Profi. Er posiert geduldig, er setzt die Regieanweisungen um – einer Kamera zwanzig Minuten in die Linse zu starren, verunsichert ihn nicht. Er wirkt, wie sein Freund Kai Havertz, erschreckend erwachsen, nicht wie ein 19-Jähriger. Auch das ist ein Produkt der Nachwuchsleistungszentren: Die Spieler bekommen in der Jugend nicht nur Fußball‑, sondern auch Medientraining. In beiden Fällen lautet das Ziel: Risikominimierung.
„Dieses Team bedeutet mir viel“
Alle Wegbegleiter von Maier sind sich einig: Seine Einstellung ist herausragend. Da gibt es beispielsweise die Geschichte von der U19-Meisterschaft. Maier, längst Stammspieler im Bundesliga-Team, fiel im Frühjahr 2018 wochenlang krank aus. Pfeiffersches Drüsenfieber. Eines Abends, kurz vor dem Halbfinalrückspiel in Dortmund, vibrierte das Handy von U19-Trainer Hartmann. Eine Nachricht von Maier.
„Er schrieb: Egal, ob ich nur fünf Minuten spielen kann oder komplett auf der Bank sitzen werde. Ich will unbedingt mitfahren. Dieses Team bedeutet mir viel.“ Hartmann nahm Maier mit, setzte ihn auf die Bank, und als das Team den Vorsprung aus dem Hinspiel zu verspielen drohte, wechselte er Maier ein. Fünf Minuten später bereitete der das erlösende Tor vor. Eine Woche danach war Herthas U19 zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Deutscher Meister.
„Ich appelliere an die Verantwortlichen, den jungen Torhütern Spielpraxis zu geben“
Von der Talentschmiede profitiert der Klub schon jetzt. Hertha BSC setzt vermehrt auf den Nachwuchs. Dieses Credo lassen auch alle anderen Vereine verlauten, in der Realität aber werden hoffnungsvollen Talenten zu oft etablierte Kräfte vor die Nase gesetzt. Beim FC Bayern hat mit David Alaba im Jahr 2012 das letzte Talent den Durchbruch geschafft.
Eintracht Frankfurt stand in diesem Sommer vor dem Problem, dass zeitweise nur zehn deutsche Spieler im Kader standen, die DFL allerdings zwölf vorschreibt. Im weltweiten Transfermarkt suchen die deutschen Klubs derzeit nicht nur nach gestandenen Spielern aus dem Ausland, sondern auch nach dortigen Nachwuchskräften. Der BVB beispielsweise holte Christian Pulisic im Alter von 15 Jahren aus den USA nach Dortmund. Deutsche Nachwuchstalente bekommen also seit einigen Jahren auch Konkurrenz aus der ganzen Welt.
[[{„type“:„media“,„view_mode“:„media_large“,„fid“:„233119“,„attributes“:{„alt“:““,„class“:„media-image“,„height“:„480“,„typeof“:„foaf:Image“,„width“:„320“}}]]
Der erhöhte Druck kann mitunter zu einer verblüffenden Nachricht führen: Deutschland hat keinen Torhüternachwuchs mehr! Dieser Satz schien lange ähnlich unrealistisch wie „England hat kein Bier mehr in den Pubs“ oder „Italien hat keine Strände mehr“. Doch im Unterbau der Nationalmannschaft kommt kein Torhüter auf regelmäßige Einsatzzeiten in den ersten Ligen. Vor nicht allzu langer Zeit balgten sich Bundesliga-Keeper wie Marc-André ter Stegen, Bernd Leno oder Timo Horn um die Plätze, heute muss Klaus Thomforde, der Torwarttrainer der deutschen U20, öffentlich bitten: „Ich appelliere an die Verantwortlichen, den jungen Torhütern Spielpraxis zu geben.“ Der Coach sieht seine Schützlinge am Wochenende meist nur auf der Bank sitzen. U21-Stammkeeper Alex Nübel ist nur die Nummer zwei auf Schalke.