Schalke 04 trennt sich von der gesamten sportlichen Führungsriege. Es ist der vollständige Zusammenbruch eines Vereins – und kommt doch zu spät.
Christian Gross musste gegen 9 Uhr den Realitäten ins Auge blicken, auch wenn er alles dafür tat, genau das zu vermeiden. Mit heruntergezogener Basecap schritt er ein letztes Mal über das Vereinsgelände an der Arena, dann war seine Ära auf Schalke nach nur acht Wochen vorbei. Mit dem Trainer trennt sich der Verein auch eher als geplant von Sportvorstand Jochen Schneider, der sein Schicksal an das von Gross geknüpft hatte, Teammanager Sascha Riether, Co-Trainer Rainer Widmayer und Athletiktrainer Werner Leuthard. Die Ereignisse kommen einem Zusammenbruch des Vereins gleich. Weil sich in Schalkes größter Krise kaum die Frage beantworten lässt, wer Verantwortung noch übernehmen soll.
Dr. Jens Buchta ist kein Mann der großen Worte, er hält sich lieber im Hintergrund, berät, das hat der Anwalt für Wirtschaftsrecht jahrelang im Beisein von Clemens Tönnies auf Schalke getan. Heute sprach er dann aber doch deutliche Worte: „Wir brauchen nicht Drumherum zu reden: Die sportliche Situation ist eindeutig, deshalb müssen wir bei jeder noch zu treffenden Personalentscheidung auch über die Saison hinausdenken.“ Seit dem Sommer ist Buchta der Vorsitzende des Schalker Aufsichtsrats, formell der stärkste Mann, Nachfolger Tönnies’, der nach der Vielzahl von Skandalen zurücktrat. Unter Buchta wird Schalke höchstwahrscheinlich Zweitligist.
Ihm die Schuld zuzuschreiben, wäre natürlich viel zu einfach. Die Frage nach dem „Where did all go wrong?“ lässt sich kaum beantworten bei einem Verein, der einem Planetensystem gleicht. Wer dreht sich um wen? Wer wird von wem angezogen? Mit dem mehr als nötigen Abgang von Clemens Tönnies jedenfalls verlor Schalke seinen Fixpunkt und die übrigen Personen ihre vorgegebenen Umlaufbahnen. Jochen Schneider, der abseits des Rampenlichts einen vom Missmanagement der Vorjahre geprägten Kader umstrukturieren sollte, konnte sich öffentlichkeitswirksam nie etablieren. Er verpflichtete Trainer, feuerte Spieler wie Vedad Ibisevic, suspendierte und re-integrierte andere wie Nabil Bentaleb und Amin Harit. Er und Michael Reschke überwarfen sich. Dass Schalke fast ein Jahr kein Spiel gewann, wurde zur Begleitmusik eines allgemeinen Chaos. Und der Aufsichtsrat, der einst unter der Führung Tönnies’ die Richtung vorgegeben hatte, geriet mit Buchta zum stillen Beobachter.
Nun implodiert dieses System. Unter der Woche, so heißt es, sollen Führungsspieler die Entlassung von Trainer Christian Gross gefordert haben. Von Vereinsseite wurde dementiert. Teammanager Riether präsentierte sich am Spieltag zermürbt: „Mich nervt im Moment, dass unsere Spielvorbereitung total gestört wird. Wir hatten den ganzen Morgen andere Dinge zu tun als uns auf das Spiel vorzubereiten.“ In der Folge verlor die Mannschaft gegen Stuttgart 1:5. Dass sich der hierfür nicht vorgesehene Nabil Bentaleb vor einem Elfmeter den Ball schnappte, nicht mehr hergab und dann verschoss – auch das nur eine Randnotiz. Am Sonntag handelte der Verein und entließ die sportlichen Führungskräfte Schneider, Gross und Riether sowie die Assistenztrainer Widmayer und Leuthard.
Eine Aktion, die höchstens zur Symbolik nützt, und wirksam schon im Winter hätte erfolgen müssen. Dass Schalke absteigt, wird auch ein neuer Trainer nicht verhindern. Das Transferfenster, das Jochen Schneider nutzte, um große Namen zu holen, die sich als verletzungsanfällig erweisen, ist geschlossen. Die Lage ist aussichtslos. Klar, jetzt den immerheißen Peter Neururer als neuen Trainer vorzustellen, wäre zumindest das Eingeständnis, in einer desperaten Lage über sich selbst lachen zu können.
Aber für den Traditionsverein geht es nicht darum, die Saison erhobenen Hauptes abzuschließen, diese Chance ist längst verstrichen. Es muss es jetzt darum gehen, die Planungen für die zweite Liga voranzutreiben. Am Sonntag schimmerte durch, dass noch unklar ist, wer dieses Projekt anführen soll. Auch nach einem Jahr voller Niederlagen scheint der Klub von den Ereignissen überrumpelt. Dabei ist nach der Implosion auf Schalke ein Machtvakuum entstanden. Buchta hat Recht, wenn er sagt, dass bei jeder Personalentscheidung über die Saison hinausgedacht werden muss.
Für den Übergang einspringen könnte ein Quartett aus den Altgestandenen Mike Büskens, Gerald Asamoah und Mathias Schober sowie NLZ-Direktor Peter Knäbel. Büskens habe ein Engagement als Trainer abgelehnt. Sollten er und Vereinslegende Norbert Elgert wie kolportiert die Kaderplanung übernehmen, wäre es das wichtigste Signal an diesem Sonntag. Denn wer frohlockt, dass heute der Weg frei für einen Neuanfang auf Schalke sei, unterschätzt die Aufgaben in den kommenden Wochen. Spieler und Berater benötigen Ansprechpartner und sichere Perspektiven.
Sollte Schalke nach dem Kollaps diese Strukturen nicht bald installieren, wird dieser Tag nicht als Neubeginn eingehen, sondern als Anfang vom Ende.
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