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Herr Fröh­lich, Sie haben 2005 mit der Anzeige gegen Robert Hoyzer den Wett­skandal auf­ge­deckt. Wie ist es Ihnen seitdem ergangen?

Das Thema ist für mich abge­hakt. Die lücken­lose Auf­klä­rung des Skan­dals und der Pro­zess gegen Robert Hoyzer haben sicher einiges dazu bei­getragen, dass der Wett­skandal voll­kommen aus meinem Kopf ver­schwunden ist. Wenn ich heute mit dem Thema in Berüh­rung komme, dann aus­schließ­lich über die Medien. Von Hoyzers Straf­an­tritt habe ich bei­spiels­weise erst aus der Zei­tung erfahren. Ich sehe das Ganze mit einer großen Distanz.



Wurde der Ruf der Schieds­richter wirk­lich in dem Maße beschä­digt, wie einige Experten Anfang 2005 ver­mu­teten?

Nein. Es stand ja keine kri­mi­nelle Orga­ni­sa­tion inner­halb der Schieds­richter am Pranger. Die Mani­pu­la­tion war das Werk Ein­zelner. Außerdem durch­lief der deut­sche Fuß­ball hin­terher einen Selbst­rei­ni­gungs­pro­zess, der von den Schieds­rich­tern selbst initi­iert wurde. Daher blieb der Ruf der Unpar­tei­ischen ohne Schaden.

Haben Sie Mit­leid mit Robert Hoyzer?

Mit­leid ist es nicht. Ich sehe jedoch noch das Schieds­richter-Talent Robert Hoyzer vor mir und frage mich: Was hätte der mit seinen 23 Jahren alles errei­chen können? Jeder, der ihn damals hat pfeifen sehen, beschei­nigte ihm eine große Kar­riere, und dann kommt er vom Gleis ab und bringt sich selbst zu Fall. Das ist bedau­er­lich, erzeugt aber kein Mit­leid in mir. In seinem Alter muss man soviel Grips haben, um zu wissen, was man tut.

Der Rad­renn­fahrer Erik Zabel hat auch betrogen und durfte wei­ter­fahren. Hätte Robert Hoyzer eine zweite Chance ver­dient?

Wie soll das funk­tio­nieren? Als Schieds­richter musst du eine weiße Weste haben, gerade was Neu­tra­lität und Unbe­stech­lich­keit angeht. Wenn da ein Kratzer ist, zum Bei­spiel durch nach­ge­wie­sene Spiel­ma­ni­pu­la­tion, dann hast du von vor­ne­herein keine Glaub­wür­dig­keit mehr. Stellen Sie sich vor, Robert Hoyzer müsste heute eine strit­tige Ent­schei­dung fällen. Schon wäre das Thema wieder auf dem Tisch. Nein, das geht nicht!

Aber zumin­dest eine Bewäh­rungs­strafe wäre doch mög­lich gewesen.

Es nur kon­se­quent, dass hier eine Strafe aus­ge­spro­chen wurde. Der Job des Schieds­rich­ters trägt etwas ganz Beson­deres in sich, da kannst du nicht mit Betrü­ge­reien und Mani­pu­la­tionen belastet sein. Mein über alles ste­hender Wunsch wäre gewesen, dass er vorher nach­ge­dacht hätte, was er da tut. Dann wäre es wohl nie­mals dazu gekommen.

Der Zuschau­er­boom schien trotz des Skan­dals unge­bro­chen. Wie erklären Sie sich das?

Ich denke, die Fans haben die lücken­lose Auf­klä­rung hono­riert. Das liegt auch am Wandel der Zeit: Wenn eine Sache erle­digt ist, wird sie schnell ver­gessen, und das nächste Thema kommt auf den Tisch.

Anders gefragt: Ist der sport­liche Aspekt viel­leicht gar nicht mehr aus­schlag­ge­bend für die Attrak­ti­vität der Bun­des­liga?

Die Ten­denz geht schon in Rich­tung Show und Ver­mark­tung. Da kommt der Fuß­ball­sport tat­säch­lich etwas zu kurz. Ich bin häufig im Ber­liner Olym­pia­sta­dion und beob­achte das Wech­sel­spiel zwi­schen den Fans und dem, was auf dem Platz geschieht. Am Anfang wird die Mann­schaft noch ange­feuert, aber im Laufe des Spiels ent­wi­ckelt sich eine ganz dif­fuse Bezie­hung. Man hat das Gefühl, das Publikum nimmt das Spiel nur noch zur Kenntnis. Früher war das anders. Da stand hinter den Spie­lern noch eine geballte Macht. Im Sta­dion herrschte eine rich­tige Atmo­sphäre. Davon spüre ich heut nichts mehr. Die Iden­ti­fi­ka­tion ist dahin. Mir scheint jedoch, dass das ein exklu­sives Pro­blem des Ber­liner Fuß­balls ist.

Ist die Ein­fluss­nahme der Fans auf das Spiel­ge­schehen gesunken?

In Bezug auf die unmit­tel­baren Vor­gänge auf dem Platz, und da schließe ich mal den Schieds­richter mit ein, sicher­lich.

Macht es die zuneh­mende Anony­mi­sie­rung der Fan­blöcke leichter, für Gewalt­täter aktiv zu werden?


Unter Umständen ja. Ich bin der Mei­nung, jeder ein­zelne Sta­di­on­be­su­cher sollte mehr Auf­merk­sam­keit für Kra­wall­täter auf­bringen. Wenn jemand neben mir ver­hal­tens­auf­fällig wird, kann ich mich nicht ein­fach zurück­lehnen und sagen: Das geht mich nichts an. Dafür sind schließ­lich die Ord­nungs­dienste zuständig.“ Sogar die Spieler müssen in sol­chen Situa­tionen Ver­ant­wor­tung über­nehmen. Das ver­stehe ich unter Zivil­cou­rage.

Am letzten Samstag brach ihr Kol­lege Her­bert Fandel nach einer Fan­at­tacke das EM-Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel zwi­schen Schweden und Däne­mark ab. Hätten Sie auch so ent­schieden?

In Kopen­hagen hatte Her­bert Fandel absolut keinen Spiel­raum mehr. Dis­kus­sionen, ob man ein Spiel in der 89. Minute denn abbre­chen muss, man den Straf­stoß hätte noch aus­führen lassen sollen, berück­sich­tigen den Sach­ver­halt nicht. Der Schieds­richter wurde ange­griffen, geschlagen und es befanden sich Zuschauer auf dem Spiel­feld. Da konnte es nur einen Spiel­ab­bruch geben.

Wird das Leben der Schieds­richter immer gefähr­li­cher?

Das könnte man aus den Gescheh­nissen in Kopen­hagen schließen. Aller­dings glaube ich nicht, dass der Job des Schieds­rich­ters tat­säch­lich gefähr­li­cher geworden ist. Viele Ange­le­gen­heiten, vor allem in den unteren Ligen, wurden früher nicht so öffent­lich dis­ku­tiert, weil die unteren Ligen nicht so stark im Fokus der Medien standen. Deren Ent­wick­lung muss man in der Tat mit gewisser Sorge betrachten.

Wer muss han­deln?

Eigent­lich alle. Jeder der in diesem Bereich tätig ist. Ins­be­son­dere natür­lich die Per­sonen, die im Mit­tel­punkt stehen. Dazu gehören die Spieler, die selbst Gewalt­frei­heit vor­leben sollten. Ande­rer­seits die Medien, die den unzäh­ligen Pro­jekten zur Gewalt­prä­ven­tion in den Kreis­ligen noch zu wenig Auf­merk­sam­keit schenken. Die Ver­bände benö­tigen bei ihren Pro­jekten noch viel mehr Unter­stüt­zung, auch durch die Medien.

Emp­fanden Sie die Schmäh­ge­sänge der Fans als Ansporn?

Nicht unbe­dingt. Die Rufe aus dem Fan­block haben mich nicht moti­viert. Die Situa­tion vor dem Anpfiff schon eher: zwei Teams, zwei Inter­essen, beide wollen gewinnen – und mit­ten­drin steht einer, der auf­passen muss, dass die Regeln ein­ge­halten werden. Das ist die große Her­aus­for­de­rung eines Schieds­rich­ters. Die Fans spielen da eine eher unter­ge­ord­nete Rolle.

Ärgert Sie die nicht klein zu krie­gende Sub­jek­ti­vität der Fans manchmal?

Für die Fans habe ich noch am meisten Ver­ständnis. Die defi­nieren sich ja über die fast bedin­gungs­lose Inter­es­sen­ver­tre­tung ihres Ver­eins. Wenn ein Spieler von Hertha BSC bei­spiels­weise im Straf­raum fällt, dann ist das für den Hertha-Fan ein klarer Elf­meter. Ich denke, dafür kann man sogar als Schieds­richter Ver­ständnis auf­bringen. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Da kommen wir wieder zurück zum Thema Zivil­cou­rage: Jeder Fan darf mal laut seinen Unmut kundtun – auch mal gegen den Schieds­richter, aber es muss alles im Rahmen bleiben.

Sie haben im Sommer 2005 ihre Kar­riere beendet und waren seitdem oft als Fan im Sta­dion. Haben Sie mal gegen einen ihrer Kol­legen gepö­belt?

Nein, denn wenn ich mich mal zu einer Fan­schaft hin­reißen lasse, dann zu einem Fan des Schieds­rich­ters. Ich ver­suche jede Ent­schei­dung nach­zu­voll­ziehen und Erklä­rungen für Nicht­ge­lun­genes abzu­leiten, schon um dem Schieds­richter Anre­gungen zu geben, wie Fehler künftig ver­mieden werden können. Das gehört zu meinen Auf­gaben.

In der Saison 2003/04 haben Sie Michael Bal­lack fälsch­li­cher­weise mit Gelb ver­warnt und sich noch wäh­rend des Spiels per­sön­lich bei ihm ent­schul­digt. Muss ein guter Schieds­richter auch mal den Mut haben, fal­sche Ent­schei­dungen zurück­zu­nehmen?

Sicher­lich! Dieser Vor­gang darf jedoch nicht zur Regel werden. Wenn der Schieds­richter in jedem Spiel Ent­schul­di­gungen aus­spre­chen muss, sollte er anfangen, sich selbst zu hin­ter­fragen. Aber letzt­end­lich sind wir alle Men­schen. Der Fehler gehört dazu. Wenn es eine Mög­lich­keit gibt, diese Fehler auf­zu­klären, sollte man das unbe­dingt tun. Nur so kann man sich seine eigene Glaub­wür­dig­keit erhalten. Aber es gehört auch dazu, daran zu arbeiten, damit man die Feh­ler­quote mini­miert.

Warum erleben wir das so selten? Gerade nach Spiel­schluss?

Der Schieds­richter hat einen Echt­zeit-Ein­druck vom Spiel, der bestimmte Situa­tionen häufig völlig anders dar­stellt als im Fern­sehen. Das macht es sehr schwierig, seinen eigenen Stand­punkt zu erklären. Bei­spiel: Ein Spieler geht zu Boden und der Schieds­richter pfeift Elf­meter. Später, in den TV-Bil­dern, stellt sich heraus, dass keine Berüh­rung vorlag. Was soll der Schieds­richter dazu sagen? Allen­falls käme in Betracht Ich habe im Spiel ein Foul gesehen und daher auf Straf­stoß ent­schieden. Die TV-Bilder prä­sen­tieren eine Per­spek­tive, nach der ich nicht auf Straf­stoß ent­schieden hätte. Diese Per­spek­tive hatte ich im Spiel nicht.“

Unter­gräbt die fort­schrei­tende Tech­ni­sie­rung des Fuß­balls die Auto­rität des Unpar­tei­ischen?

Ich glaube nicht, dass die Technik in Zukunft den Schieds­richter ersetzen kann. Aller­dings stellt sie den Job des Schieds­rich­ters vor eine große Her­aus­for­de­rung. Im Ide­al­fall deckt sich die Ent­schei­dung des Unpar­tei­ischen natür­lich mit dem Ein­druck der TV-Bilder. Oft­mals führen aber auch die unter­schied­li­chen Kame­ra­per­spek­tiven zu völlig unter­schied­li­chen Ergeb­nissen. Und dazu kommen zum Teil noch Kom­men­tare, die zum dar­ge­stellten Bild gar nicht passen. Das ist dann manchmal schon Irre­füh­rung.

Was den TV-Beweis eigent­lich unmög­lich macht…

Der ist für mich nur sinn­voll, wenn grobe Unsport­lich­keiten damit auf­ge­deckt werden. In der ver­gan­genen Saison neigten einige Spieler hinter dem Rücken des Schieds­rich­ters ver­stärkt zu Ellen­bo­gen­checks – bestes Bei­spiel der Cott­buser da Silva kurz vor Sai­son­schluss. Um solche Ver­gehen im Nach­hinein zu ahnden, ist der TV-Beweis gut. Wäh­rend des Spiels bin ich nicht dafür, weil das die Phi­lo­so­phie des Fuß­balls zer­stören würde. Wenn man sich ständig die Fern­seh­bilder anschauen muss, kann man die Dynamik und den Spiel­fluss eines Fuß­ball­spiels völlig ver­gessen. Zudem sind der Nutzen und der Auf­klä­rungs­wert durch den Ein­satz des TV-Beweises im Spiel äußerst zwei­fel­haft.

Stich­wort Schwalbe: Wie ehr­lich ist der Fuß­ball im inter­na­tio­nalen Ver­gleich?

Nicht unehr­li­cher als anderswo. Wenn man den inter­na­tio­nalen Fuß­ball sieht: Je fort­ge­schrit­tener der Wett­be­werb, desto ehr­li­cher werden die Spiele. Das hat man bei der Welt­meis­ter­schaft gesehen und sieht man immer wieder zum Bei­spiel in der Cham­pi­ons­le­ague. In den höher­klas­sigen Wett­be­werben kann sich ein Schieds­richter stärker auf die wesent­li­chen Dinge kon­zen­trieren, zum Bei­spiel ein Spiel laufen zu lassen.

Ist das stän­dige Lamen­tieren der Spieler viel­leicht das größte Pro­blem der Bun­des­liga?

Es ist besser geworden, aber immer noch sehr stark vor­handen. In der Bun­des­liga wird zu oft lamen­tiert, es wird zu oft vor­ge­täuscht. Baga­tellen werden zu rie­sigen Dramen auf­ge­bauscht und ständig wird die Schuld beim Anderen gesucht.

Wie kann man dem ent­gegen treten?


Durch eine klare Posi­tio­nie­rung z.B. der Fuß­ball­öf­fent­lich­keit, auch über die Medien. Schwalben, Lamen­tieren, hin­ter­häl­tige Ellen­bo­gen­checks sind alles Unarten, die den Fuß­ball ins­ge­samt in ein schlechtes Licht rücken. Sie dienen nicht dem Fuß­ball, sie zer­stören ihn. Solche Unarten müssten schärfer öffent­lich geächtet werden. Daraus erwachsen näm­lich erst die Pro­bleme für die Schieds­richter. Schauen Sie sich Poulsen in Kopen­hagen an, was da ange­richtet wurde durch eine Tat, die mit Fuß­ball wirk­lich nicht das Geringste zu tun hat. Nochmal: Solche Dinge öffent­lich ächten und gna­denlos bestrafen! Dabei kann der Fuß­ball nur gewinnen.

Sehen Sie heute ein Fuß­ball­spiel mit anderen Augen?

Ein biss­chen schon. Als aktiver Schieds­richter hatte ich meis­tens nur Zeit für eine kurze Zusam­men­fas­sung im Fern­sehen, weil ich selbst ja auf dem Platz stand. Jetzt sitze ich auf der Tri­büne und bekomme viel mehr mit von dem, was im Umfeld eines Spiels geschieht. Man sieht, wie sich die Spieler und Trainer ver­halten, wie Schieds­richter auf bestimmte Situa­tionen reagieren. Man ana­ly­siert viel mehr als früher, sucht noch mehr nach fall­be­zo­genen Lösungs­mög­lich­keiten. Und doch muss alles ein­fach und ver­ständ­lich bleiben. Das ist ins­ge­samt schon andere Betrach­tungs­weise.

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Warum pas­siert das mir?“ – Her­bert Fandel im Inter­view www​.11freunde​.de/​i​n​t​e​r​n​a​t​i​o​n​a​l​/​1​02135 .