Der SC Freiburg geht als Dritter ins Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund. Dabei könnte alles ganz anders aussehen – wie bei vielen anderen Klubs auch. Denn in der Bundesliga ist jeder Moment wichtig geworden.
Dem SC Freiburg ist gerade sein bester Saisonstart in der Bundesliga überhaupt gelungen, der Klub steht auf dem dritten Tabellenplatz und ist zugleich ein hoch interessantes Studienobjekt. Die sechs Spiele der Mannschaft von Christian Streich in dieser Saison liefern nämlich wunderbare Beispiele dafür, dass sich die Bundesliga in eine Hätte-wenn-und-aber-Liga verwandelt hat. Denn nicht nur bei den Freiburgern, sondern auch bei etlichen anderen Bundesligisten könnte es auch ganz anders aussehen – nicht zuletzt bei Freiburgs kommendem Gegner: Borussia Dortmund.
Nur auf den ersten Blick dominant
Die Badener haben bislang vier Spiele gewonnen, drei davon auswärts, eines Unentschieden gespielt und eines daheim gegen den 1. FC Köln verloren. Los ging es mit einem, so sah es zumindest aus der Ferne aus, glatten 3:0‑Sieg über den 1.FSV Mainz 05. Dabei hatte Streichs Mannschaft bis zum 1:0 in der 79. Minuten die etwas schlechteren Torchancen in einem Spiel, bei dem zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon viele Zuschauer ein torloses Remis erwartet hatten.
Im zweiten Spiel, beim Aufsteiger Paderborn, geriet Freiburg zwar früh in Rückstand, drehte das Spiel aber bis zur Pause. Danach spielte das Team fast keine Gelegenheit mehr heraus, während Paderborn 20 Minuten vor Schluss eine große Torchance liegen ließ und sich dann noch das 1:3 fing. In Hoffenheim ging Freiburg sehr früh durch einen Torschuss in Führung, der durchschnittlich in einem von zehn Fällen ins Tor geht. Hoffenheim fand anschließend nie mehr wirklich ins Spiel und verlor mit 0:3.
Luca Waldschmidt: In vier von hundert Fällen
Beim Sieg am letzten Wochenende in Düsseldorf spielte die Fortuna zwar die insgesamt leicht besseren Torchancen heraus, unterlag Freiburg aber durch einen schönen Fernschuss von Luca Waldschmidt, der statistisch gesehen in vier von einhundert Fällen im Tor landet. „Alle Ergebnisse wären möglich gewesen, 1:1, 2:1 oder eben 1:2“, sagte Christian Streich nach dem Sieg, „aber dass wir gewonnen haben, hilft uns brutal.“
Freiburgs Trainer weiß genau, wie wichtig es ist, die richtigen Momente zu erwischen, so wie es seiner Mannschaft nun schon mehrfach in dieser Saison gelungen ist. Das sollte nicht so missverstanden werden, dass die Freiburger die Glücksritter der Liga sind – und das auch noch gegen Teams eher aus dem unteren Drittel der Tabelle. Allerdings gab es in jedem ihrer Spiele, selbst bei klaren Resultaten, entscheidende Kippmomente zu ihren Gunsten. Verlassen kann man sich darauf nicht, dass es so weiter geht, das weiß auch Streich. Aber sein Team ist nun erst einmal weit entfernt vom Stress des Abstiegskampfes, hat gerade einen Haufen Selbstbewusstsein und vielleicht trägt das auch in Spielen gegen große Gegner wie Borussia Dortmund.
Der selbsternannte Titelkandidat aus Dortmund hingegen hat von den ersten sechs Spielen nur drei gewonnen und eines sogar verloren, weshalb sie beim BVB schon über ihre Mentalität haben diskutieren müssen und zuletzt Mats Hummels über „Stellungsfehler“. Allerdings hätten sie auf Grund der Chancenverteilung sogar beim 1:3 an der Alten Försterei gegen Union Berlin in sieben von zehn Spielen mindestens einen Punkt geholt. Und bei den 2:2‑Remis in Frankfurt und gegen Bremen, hätten sie in sieben bzw. in sechs von zehn Fällen ihre Spiele gewonnen. Jeweils fehlte aber ein drittes Tor, das zu schießen aufgrund der vielen Chancen leicht möglich gewesen wäre, um auf die sichere Seite zu gelangen.
Fußball ist ein Konjunktiv-Spiel, und das ist kaum unter Kontrolle zu bringen
Haben sie aber nicht geschossen, und so könnte man mit Lothar Matthäus abwinkend sagen: „Wäre, wäre, Fahrradkette.“ Andererseits ist Fußball eben immer schon ein Konjunktiv-Spiel gewesen, weil einzelne Treffer, so viel mehr Gewicht haben als in anderen Ballsportarten. Auch ist es kein neues Phänomen, dass einzelne Ereignisse Spiele prägen und für eine mächtige Dynamik über den Tag hinaus sorgen können.
Im Moment ist die Bundesliga allerdings voller Geschichten über die Wichtigkeit von Kipppunkten. Mainz 05 erwischte nicht nur am ersten Spieltag in Freiburg den falschen Moment, vor zwei Wochen auf Schalke spielte die Mannschaft von Sandro Schwarz in der zweiten Halbzeit sehr stark und war dem Siegtreffer nahe, um im letzten Moment noch zu verlieren. Eine Woche später gab es trotz leicht besserer Torchancen ein 0:1 gegen Wolfsburg und der entnervte Trainer flog auch noch vom Platz und ist nun gesperrt. Schalke hingegen verwandelte den Schwung des glücklichen Sieges über Mainz in einen Triumph bei RB Leipzig.
Wie dem Konjunktiv entgehen?
Und wo wäre Frankfurt, wenn sie nicht noch den Ausgleich gegen Dortmund geschossen hätten? Zumal, wenn sie eine Woche später bei Union Berlin nach genau der gleichen Eckballvariante in Rückstand geraten wären, durch die schon der BVB an der Alten Försterei in Rückstand geraten war. Befänden sie sich nun in der Krise? Was wäre aus dem Saisonstart von Borussia Mönchengladbach geworden, wenn aus dem gewaltigen Schindluder mit den Torchancen gegen Düsseldorf nicht noch ein Sieg kurz vor Schluss geworden und in Hoffenheim die Gastgeber in Führung gegangen wären? Wäre das 0:4 gegen die Österreicher aus Wolfsberg in der Europa League zum Beginn einer mächtigen Krise geworden?
Das Problem mit all diesen Konjunktiven, Kipppunkten und entscheidenden Momenten ist nur, dass sie kaum unter Kontrolle zu bekommen sind. Außer man ist der Konkurrenz fast immer so haushoch überlegen wie der FC Bayern, dann spielen sie keine so große Rolle. Der einzige Schluss, den hingegen die Normalsterblichen der Liga daraus ziehen können, ist der, dass man schon durch einen kleiner Wackler in der Abwehr oder eine verballerte Torchance ruckzuck auf der falschen Bahn landen kann. Oder anders gesagt: Kein Moment ist unwichtig, alles zählt.