Welcher Song eignet sich für Europapokalsiege? Wie klingt der Trauermarsch der Stadionmusik? Um diese Fragen zu beantworten, wiesen wir Werders Stadion-DJ Arnd Zeigler an, für unsere Spezialausgabe „Fußball&Pop“ den Leitfaden für Hobbymusiker in der Arena zu schreiben.
Es gibt ein paar Probleme, deren Lösung wir nie erleben werden. Vieles davon hat mit Elend zu tun. So auch die Frage nach dem ultimativ-perfekten Stadion-Musikprogramm. Die Quadratur des Kreises ist dagegen eine Tupperware-Party. Und glaubt mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich hänge da mit drin, und das schon seit viel zu vielen Jahren.
Die erste, einschneidendste und entmutigendste Erfahrung, die jemand macht, der sich über das Musikprogramm in einem Stadion Gedanken machen muss, ist: Versuch’ gar nicht erst, es möglichst vielen recht zu machen! Dein Leben wird grau und beschwerlich, wenn du es dennoch tust. Denn wie sieht er denn nun eigentlich aus, der Stadiongänger, dem du es Recht machen möchtest und eigentlich auch sollst? Da gibt es den Dauerkarteninhaber „seit 1975“ auf der Haupttribüne (Alter: ca. 55), den Ultra in der Kurve (ca. 18), den Normalo mit Schal, Bier und Wurst auf dem – eine Aktion seiner Tageszeitung – etwas verbilligten Sitzplatz (ca. 38), die Einlaufkinder (ca. 8) und ihre Eltern (ca. 35), die Zeitzeugen der letzten Meisterschaft 1958, die in der Jugend beim Duisburger FV selbst mal mit Günther Brocker zusammengespielt haben (ca. 88). Dann die Spielerfrauen (ca. 23), Lothar Matthäus (zurzeit exakt 52) mit seiner Lebensgefährtin (ca. 16). Und für all die macht der Stadion-DJ sein Musikprogramm.
Lothar Matthäus ist das egal
Ich ergänze: der arme Stadion-DJ. Denn der Dauerkarteninhaber hört gerne Disco Fox und Hits der siebziger Jahre, der Ultra möchte überhaupt keine Musik („Wenn Musik läuft, können wir uns nicht einsingen!“), der Normalo steht auf Bruce Springsteen, die Einlaufkinder drehen bei „Schnappi, das Krokodil“ durch vor Freude, ihre Eltern hören querbeet alles, was so im Radio gespielt wird, der Zeitzeuge findet, dass das alles doch „nur noch bumm-bumm ist“ und hört zu Hause am liebsten Bully Buhlan und Gerhard Wendland, den er schon einmal persönlich getroffen hat (1967). Lothar Matthäus ist das alles im Grunde egal.
Einigen wir uns umgehend darauf, dass der Plan „Das perfekte Stadion-Musikprogramm“ also folglich nicht gelingen kann. Und im Prinzip ist dieser Text dann ja auch schon fertig, der Autor gescheitert, die Aufgabe nicht gelöst. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht, denn irgendwas muss der DJ im Stadion ja auflegen. Und schon hagelt es umgehend bohrende Anschlussfragen: Wenn schon nicht etwas für jeden gespielt werden kann, gibt es vielleicht dennoch einen gemeinsamen Nenner von Musik, die vielen gefällt und niemanden nervt?
Risiko des Magendurchbruchs
Direkte Antwort: nein. Aber was dann? Was bleibt dem armen Stadion-DJ, um seinen Job dennoch gut zu machen? Welche Tools hat er an der Hand, um im Stadion für ein Musikprogramm zu sorgen, mit dem eine große Anzahl der Fans, Stadionbesucher und Gäste leben kann, ohne das Risiko für einen Magendurchbruch drastisch zu erhöhen?
Eine allgemeingültige Lösung gibt es nicht. Und weil es die nicht gibt, bleiben dem Mann am Mischpult nur ein paar grundlegende Kniffe, um dennoch einen guten Job zu machen. Grundsätzlich sollte er geschmackssicher vorgehen oder zumindest das spielen, was er für geschmackssicher hält. Das bedeutet nicht, dass nur höchstes Musikniveau gestattet ist und Trash komplett verboten. Denn auch diese Kriterien liegen ja komplett im Auge des Betrachters (bzw. dem Ohr des Zuhörers). Und Trash kann auch mal ganz schön sein, wenn er funktioniert und im Stadion einer Menge Leute eine Freude macht. Wäre das anders, dann hätte es Klaus und Klaus nie gegeben.
Weiter kommt man zunächst am besten nach dem Ausschlussverfahren. Wenn man sich als ersten Schritt ganz grundsätzlich gegen die Hermes House Band und DJ Ötzi entscheidet, hat man schon eine Menge gewonnen. Wer als Musikschaffender auf niederste Instinkte zielt, um in Fußballstadien gespielt zu werden, den sollte man einfach nicht in einem Fußballstadion spielen. Ausgenommen sind hierbei die Vereinssongs. Die geschehen oft einfach so und sind dann nur schwer wieder wegzukriegen. Deshalb erfüllen sie eine Sonderstellung, laufen außer Konkurrenz und sollten sich besser keiner qualitativen Diskussion stellen müssen.
Wunschmusik der Spieler
Problematisch kann es werden, wenn man die Wunschmusik der Spieler auflegt. Im Idealfall hören sie genau das, was Jungs um die 25 nun mal hören: „Hauptsächlich R’n’B, aber eigentlich auch sonst alles, was so aktuell ist.“ Das geht in gewissen Dosen ganz passabel, aber soundtechnisch sind Stadien für Werke von 50 Cent oder David Guetta ziemlich ungeeignet. Ich bin kein Tontechniker und kann nicht fundiert erklären, woran das liegen könnte. Ich sage es mal mit meinen Worten: Es klingt einfach richtig scheiße.
Richtig gut funktionieren hingegen Songs aus einer Zeit, als hochentwickelte Lautsprecher noch von untergeordneter Bedeutung waren: Marvin Gaye, Northern Soul, Slade und die unvermeidlichen Status Quo. Ich will nicht sagen, dass Derartiges im Stadion der Erfindung des Rades gleichkommt, aber ich kann damit gut leben und im Idealfall ist „Move On Up“ von Curtis Mayfield ein Song, bei dem man als 8‑jähriges Einlaufkind ebenso gut mitwippen kann wie mit Mitte 50.
„In the Garden“
Kommen wir noch mal zurück zu Musikwünschen der Spieler. Einer solchen Idee verdanke ich die musikalisch surrealsten Minuten, die ich jemals in einem Stadion erleben durfte / musste. Es ist lange her. Der Irland-affine Marco Bode spielte noch für Werder, und sein Wunsch war „In the Garden“ von Van Morrison. Ätherische sechs Minuten, in denen es textlich um transzendentale Meditation geht und vom großen Meister Van musikalisch alles dafür getan wird, dass seine Zuhörer wohlig wegdämmern. Und das haben wir dann auch getan, alle miteinander. Dass das Spiel anschließend pünktlich angepfiffen werden konnte, grenzt an ein Wunder.
1. Soul-Klassiker (späte Sechziger bis mittlere Siebziger) gehen immer.
2. Aktuelle Hits taugen in kontrollierten Dosen durchaus als Crowd Pleaser.
3. Vereinslieder sollten ritualisiert an ausgesuchten Punkten des Programmes stattfinden. Gewinnbringend sind jedoch die Beschränkung auf drei oder vier Klubsongs und möglichst das Vermeiden jedes halbgar hingeluschten neuen Vereinshits des kooperierenden örtlichen Privatradiosenders.
4. Ballermann-Hits und Après-Ski-Gestapfe können zwischendurch tatsächlich funktionieren – aber will man das?
5. Zwischenzeitliche Pausen (und somit ein paar Minütchen Stille) wirken auf manche Stadionbesucher leicht irritierend, aber im Gesamteindruck auch erholsam und können zum Sammeln und Spannung aufbauen manchmal ziemlich gut kommen.
6. Gut gemeinte, öffentliche Diskussionen über Tor- oder Einlaufmusik führen in Minutenschnelle ins Chaos, weil als Folge im Handumdrehen 600 verschiedene Meinungen und Vorschläge herumflattern, die oftmals ultimativ und dogmatisch vertreten werden – besser vermeiden.
7. Die Hermes House Band ist EVIL.
8. Nicht zielführend ist die oftmals sehr kindlich anmutende Diskussion darüber, welcher Song welchem Verein gehört, weil wer welchen Song als Erster für sich entdeckt hat. Wenn ein Song cool ist und in deinem Stadion funktioniert, spiel ihn. Gewisse leichte Bauchschmerzen bei „Youll Never Walk Alone“ sind normal und gehören sich auch so, zumindest wenn du nicht der Stadion-DJ des Liverpool FC bist.
9. Madness sind cool.
10. Wir reden von Stadionmusik und nicht von Herzverpflanzungen. Diskussionen und unterschiedliche Meinungen sind normal, sollten aber nicht zu Schlägereien führen.