Alte Frage: Kann man gleichzeitig Held und Bösewicht sein? Torhüter Boubacar Barry kümmert sich nicht um großphilosophisches Kleinklein – und feiert sich, seine Mitspieler und sein Land.
Boubacar Barry steht in seinem Kasten und greift gleich erstmal zwei Mal hinter sich, während seine Kollegen ihre ersten beiden Versuche verschießen – sogar der neue, sehr teure Manchester-City-Einkauf Wilfried Bony setzt seinen Versuch an die Latte. Alle spüren: Das Ding ist durch. Nichts zu machen. Winner Africa Cup of Nations 2015: Ghana. Die Spieler auf der ghanaischen Bank stehen zum Jubeln auf, richten die Frisuren, machen sich in Gedanken bereit für dieses große Gruppenfoto auf dem Spielfeld, auf dem immer alle übereinander zu liegen scheinen und im Blitzlichtgewitter für die Ewigkeit festgehalten werden.
Doch Boubacar Barry ist noch nicht fertig.
Jeder Held, so will es die unverhandelbare Dramaturgie, erleidet kurz vor dem letzten Akt den großen Rückschlag. Seine Situation ist ausweglos. Menschen, die zuvor an ihn geglaubt und ihre Hoffnungen in ihn gesetzt haben, wenden sich enttäuscht von ihm ab. Eigentlich gibt es nur noch einen, der fünf Cent auf seinen Erfolg setzen würde: er selber. Dumm nur, dass er nicht einmal mehr so viel Geld in der Tasche hat. Vielleicht auch besser für ihn, denn Antagonist und Umstände geben ohnehin keinen Anlass für diese bescheidenste aller optimistischen Regungen. Und Boubacar Barry befindet sich gerade mitten drin im schlimmen Endkampf, in dem er zu allem Übel auch noch auf seine Beine verzichten muss. Ständig wird der in den letzten Tagen und Wochen nur in Trainingseinheiten geforderte Ersatzkeeper wegen Krämpfen behandelt. Ständig muss unterbrochen werden, damit man sich seiner Methusalemstelzen annehmen kann.
Twitter-User schäumen
Nicht alle glauben bei den Behandlungseinlagen des Keepers an Fair Play. Twitter schäumt über vor Anschuldigungen der Spielverzögerung – medizinische Ferndiagnosen, die man vielleicht nicht als bare Münze nehmen sollte. Jedenfalls vermuten viele hinter den Krämpfen eine plumpe Methode, den Gegner zu verunsichern.
Aber auch das kennt man: dass der Held sich aus einem Funken Selbstglauben und Göttlichkeit berappelt. Denn Boubacar Barry hält den nächsten Elfer und leitet den darauf folgenden mit dem bösen Blick neben den Pfosten, während die Kollegen sich endlich auf ihre Arbeit konzentrieren und treffen. Zwei zu zwei nach jeweils vier Versuchen, es ist wieder alles offen.
Die nächsten Schützen treffen allesamt. So lange, bis die Torhüter selber antreten müssen. Tatsache: Den Schuss von seinem Gegenüber Brimah Razak kann Barry links am Tor vorbeilenken. Sein Gesicht: ruhig aber faltig. Dreitagebart. Müde Augen. Ein minimales Lächeln, einer, der nicht fassen kann, dass hier zackzack Prüfung auf Prüfung folgt. Ein Mann, der nur mitmacht, widerwillig reagiert und eigentlich seine Ruhe haben will. Einer, der daran denkt, dass er jetzt auch auf der Bank sitzen und Kaugummi kauen könnte. Einer, der mühsam zum Heldentum gepiesackt werden muss. Die Hard, aber für echte Männer. Er weiß um seine Identität als Gebrauchskeeper und Wald-und-Wiesen-Torwart: „Ich bin kein Riesentalent. Aber ich wollte dem Team helfen“, wird er nach dem Spiel, im Augenblick seines größten Triumphs, dem TV-Sender Canal Plus demütig erzählen.