Gestern hat der FC Schalke 04 seinen Dauerkarteninhabern geschrieben. Und weil es ein so sagenhaftes Dokument der Dreistigkeit ist, sei es hier noch einmal kurz in Erinnerung gerufen. Der Klub schuldet den Besitzern von Tages- und Dauerkarten Geld, weil sie zu den Geisterspielen nicht ins Stadion können. Das ist bei allen Klubs so, und die meisten haben ihre treuen Anhänger in diesen Zeiten der Not darum gebeten, auf ihre Ansprüche zu verzichten oder sie auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen.
Doch Schalke 04 drehte das Verfahren einfach um. Der Klub verwandelte die Schulden bei seinen Anhängern in einen Gutschein, der zum Jahresbeginn nicht des nächsten, sondern übernächsten Jahres ausgezahlt werden könnte. Das war rechtlich in Ordnung, kam aber, vor allem im Zusammenspiel mit einem „Härtefallantrag“ nicht gut an. Die Dauerkarteninhaber wurden dabei gefragt: „Warum benötigst du das Geld unbedingt jetzt? Begründe bitte deinen Härtefallantrag in den folgenden Zeilen (falls möglich, füge bitte auch entsprechende Belege an).“
Bald darauf zog ein veritabler Shitstorm über den Klub hinweg und es wurden fleißig Witze auf seine Kosten gemacht. Als am Berger Feld in Gelsenkirchen auch dem Letzten klar geworden war, dass die Sache echt in die Hose gegangen war, ruderte der Klub zurück – und machte wieder so ziemlich alles falsch. Nun hieß es: „In einem Anschreiben an Fans und dem darin aufgeführten ‚Härtefallantrag‘ hat Schalke 04 unpersönliche und wenig empathische Formulierungen verwendet – dafür entschuldigen sich der Verein und die Mitarbeiter des Service Centers bei allen Fans in aller Form.“ Ach so, die Formulierungen waren das Problem und Schuld wohl irgendwelche Deppen vom Service Center.
„Shame on you! Ihr seid nur noch peinlich.“
Man könnte das einfach nur für ein Musterbeispiel hundsmiserabler Kommunikation halten. Doch die Wut, die der Vorgang auslöste, weist auf ein größeres Problem: Schalke ist der neue HSV! Jahrelang frustrierten die Hamburger ihr eigenes Publikum und widerten unbeteiligte Zuschauer durch einen toxischen Mix aus Inkompetenz und Gerangel hinter den Kulissen an, bis der Klub durch den Abstieg in die Zweite Liga erlöst wurde. Dort scheint sich der HSV gerade einigermaßen zu erholen, während Schalke immer mehr seinen Part übernimmt.
Denn natürlich verstand jeder, der Schalkes Härtefallantrag zugeschickt bekam, sofort, was da versucht wurde. Kein Bundesligaklub ist durch die Corona-Krise wirtschaftlich so hart getroffen, keiner so klamm wie Schalke 04. Doch anstatt demütig winselnd um Hilfe zu bitten, wie es angemessen gewesen wäre, wurden die Fans zu Bittstellern gemacht. Das aber unterstrich noch einmal ohnehin schon drängende Fragen: Welche Misswirtschaft hat eigentlich dazu geführt, dass ein Klub, der neun der letzten 15 Spielzeiten in der Champions League gespielt hat, plötzlich am Rand der Pleite entlang surft? Und warum muss der Verein nun so dringend Geld besorgen, dass er möglichst schnell die Profiabteilung ausgliedern will?
„Man hat den Eindruck, dass Schalke 04 von irgendwelchen Leuten gelenkt wird, die schlichtweg keine Ahnung haben, wofür dieser Klub steht. Oder vielleicht ist es ihnen auch einfach egal.“
Es macht den Eindruck, als hätte auf der Führungsebene des Klubs schon länger niemand mehr ins Leitbild von Schalke 04 geschaut. Dort heißt es nämlich: „Unser gemeinschaftliches Ziel ist der sportliche Erfolg. Auch dafür darf aber niemand die Existenz unseres Vereins gefährden oder die in diesem Leitbild formulierten Werte verletzen.“ Nun ist der Klub mit einem Spieleretat, der zu den Top Sechs der Bundesliga zählt, auch noch sportlich im freien Fall. Seit dem Rückrundenstart hat David Wagners Mannschaft nicht mehr gewonnen und ist inzwischen die schlechteste der zweiten Saisonhälfte. In elf Spielen ohne Sieg hat sie drei Tore geschossen.
Schlimmer als der sportliche Bankrott ist allerdings der moralische, der sich nicht nur in der Chuzpe ausdrückt, sein treuestes Klientel mit Härtefallanträgen zu verhöhnen. Schon der Umgang mit den rassistischen Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies hat viele Mitglieder und Fans von Schalke 04 zutiefst beschämt. Schalke mag immer lauter und schriller, enthusiastischer, betrübter und chaotischer gewesen sein als die meisten anderen Klubs. Das konnte man, ganz nach Geschmack, nervig finden oder lieben. Aber eins konnte man Schalke nie absprechen: Soul. Doch inzwischen hat man den Eindruck, dass Schalke 04 von irgendwelchen Leuten gelenkt wird, die schlichtweg keine Ahnung haben, wofür dieser Klub steht. Oder vielleicht ist es ihnen auch einfach egal.