Am 10. August hatte der Film „Nachspiel“ Premiere – der letzte Teil einer Trilogie über den Traum vom Leben als Fußballprofi. Einer der Protagonisten ist Florian Kringe. Mit ihm sprachen wir über schöne Erinnerungen, Busfahren in Bochum und schimmelige Duschen.
Florian Kringe, am vergangenen Dienstag hatte in Dortmund die Fußball-Dokumentation „Nachspiel“ Premiere – mit Ihnen als eine der Hauptpersonen. Wie ist es, sich selbst auf einer riesigen Leinwand zu sehen?
Ich habe den Film ja schon im Juli sehen können, im Rahmen des Filmfestivals in München. Aber es bleibt ungewohnt, sich selbst auf einer Leinwand zu betrachten. Ich kannte das zwar schon von den ersten beiden Teilen dieser Trilogie, aber ich gehöre zu den Menschen, die sich selbst nicht gerne auf Video oder im Film sehen. Meine Reaktion schwankt dann zwischen amüsiert und peinlich berührt. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein außergewöhnliches Projekt und eine schöne Erinnerung, weil der Regisseur uns sehr lange begleitet hat.
Das kann man wohl sagen. Teil eins, „Die Champions“, entstand zwischen 1998 und 2001 (Hier findet Ihr den Film). In diesem ersten Film gehören Sie allerdings nicht zu den zentralen Figuren.
Christoph Hübner und Gabriele Voss, die beiden Filmemacher, hatten sich damals vier Protagonisten ausgesucht: Mohammed Abdulai, Francis Bugri, Claudio Chavarria und Heiko Hesse. Von den vier war Francis der einzige, der dann später auch wirklich als Profi für Borussia gespielt hat. Aber leider nicht sehr oft. Ich denke, dass das der Grund war, warum Christoph mich für den zweiten Teil dazugeholt hat. Ich kannte ihn aber natürlich schon, weil ich die Dreharbeiten hautnah mitbekommen hatte. Christoph war ja immer bei uns in der Kabine gewesen.
Sie sind zwei Jahren jünger als diese vier Spieler. Während die 1998 Meister bei der A‑Jugend wurden, holten Sie den Titel mit der B‑Jugend. Kannten Sie sie trotzdem?
Ja, sogar recht gut. Zum einen, weil ich mal Jahrgänge übersprungen habe und mit den Älteren trainierte. Zum anderen aber auch, weil wir B‑Jugendlichen gerne mal die Tore für die A‑Jugend tragen mussten. Wir haben ja alle zusammen trainiert, damals noch im Hoeschpark oder im Fredenbaumpark. Das heutige moderne Trainingszentrum in Brackel gab es da noch nicht. Und bei den „Amateuren“, wie man damals sagte, habe ich auch mit ihnen gespielt. Ich kam ja schon als A‑Jugendlicher zur zweiten Mannschaft hoch.
Hübner hat mal erzählt, dass er auch schon für den ersten Teil Aufnahmen mit Ihnen gemacht hat, die dann aber nicht verwendet wurden, weil er sich auf die vier konzentrieren wollte. Können Sie sich daran erinnern?
Nicht so richtig. Ich war damals ja erst 16 Jahre alt, außerdem verschwimmt das alles ein wenig, weil wir so lange begleitet wurden. Über mehr als zwanzig Jahre war Christoph fast immer dabei.
Hübner hatte wohl Glück, dass er das kurze Zeitfenster erwischte, in dem Ottmar Hitzfeld Sportdirektor beim BVB war. Der fand das Projekt gut und öffnete ihm alle Türen.
Heute wäre so etwas vermutlich gar nicht mehr möglich. Diese modernen Fußball-Dokus auf Netflix oder Amazon sind ja etwas ganz anderes. Christophs Filme haben diesen klassischen, etwas trockenen und sehr dokumentarischen Ansatz.
2003 erschien der Dokumentarfilm „Die Champions“, für den zwei Filmemacher vier Dortmunder Nachwuchsfußballer jahrelang mit der Kamera begleiteten. Hier könnt ihr den Film exklusiv und in voller Länge anschauen.
Es war von Anfang an eine Langzeitdokumentation geplant. Hübner und Voss hatten sich offenkundig für Bugri entschieden, weil sie sich sicher waren, dass er es schaffen würde und dann in den späteren Filmen derjenige sein sollte, der seinen Traum vom Profifußball wirklich lebt.
Francis galt ja auch als Riesentalent. Er war ein feiner, eleganter Techniker.
Dass Bugri dann doch kein Star wurde, unterstreicht eindringlich das Thema dieser Dokumentarreihe: Wie schwierig es bei allem Talent ist, den Sprung zu schaffen.
Außenstehende denken ja, dass es bloß aufs Talent ankommt. Viele glauben: Wenn der Junge nur gut genug ist, dann funktioniert alles mehr oder weniger von alleine, dann wird er Profi und kommt an die dicken Scheine. Ich finde es sehr interessant, wie diese Filme zeigen, vor welchen Problemen selbst Hochveranlagte stehen. Als Mo Abdulai mit 16 aus Ghana kam, hat er hier zum ersten Mal Schnee gesehen. Claudio kam aus Chile und musste damit klarkommen, dass Fußball hier viel disziplinierter und reglementierter ist. Auch das gehört dazu: Wie geht man mit Widerständen um, wie gewöhnt man sich an den rauen Ton im Profisport?
Der zweite Film, „Halbzeit“, entstand 2006 und 2007. In ihm sind sie eine der Kernfiguren. Hatten Sie vorher Ihren Berater gefragt, ob Sie das machen sollten?
Nein, das lag nicht in seiner Entscheidungsgewalt. Die handelnden Personen beim BVB hatten grünes Licht gegeben, außerdem kannte ich Christoph Hübner ja schon seit Jahren. Thomas Kroth, mein Berater, taucht auch selbst in dem Film auf und wird interviewt.
Zu jener Zeit waren sie ein gestandener Profi und Stammspieler beim BVB. Hatten Sie noch Kontakt zu den anderen, die es schon in alle Winde zertreut hatte?
Die meisten hatte ich aus den Augen verloren, weil unsere Wege so unterschiedlich waren. Heiko Hesse ging schon 1999 zum Studieren in die USA und machte Karriere in der Finanzwelt. Claudio war schon zurück in Südamerika, spielte Fußball in Guatemala und baute nebenbei ein Logistikunternehmen mit seinem Vater auf. Das meiste bekam ich tatsächlich über Christoph mit, als wir weiterdrehten, weil der ja zu allen Kontakt gehalten hatte, soweit er das konnte. Mo war zum Beispiel zwischendurch völlig von der Bildfläche verschwunden. Er lebte eine Zeitlang in Bangladesch, kam dann zurück und machte hier in Deutschland den Busführerschein.
Wo genau fährt er denn heute Bus?
In Bochum, dort lebt er heute auch wieder, glaube ich. Er hat dort Freunde und hatte ja auch eine Weile für Wattenscheid 09 in der Oberliga gespielt.
Man sieht ihn oft im neuen Film, „Nachspiel“. Er ist offenbar mit seinem Leben sehr zufrieden und hadert nicht damit, dass er kein Fußballstar wurde. Ist das eine der Botschaften des dritten Teils, dass Fußball nicht alles im Leben ist?
Mo ist der beste Typ, den man sich vorstellen kann, und eine unglaubliche Frohnatur. Er hat eine wunderbare Einstellung zum Leben, kann aber auch nachdenklich sein. Das sieht man im dritten Teil, als er gefragt wird, ob er seinem eigenen Kind raten würde, nach Europa zu gehen, um Fußballer zu werden. An seinem Zögern merkt man, dass er auch Erlebnisse der weniger schönen Art hatte. Aber grundsätzlich ist er mit seinem Leben ohne Fußball zufrieden, ja.
Was hätten Sie eigentlich gemacht, wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte?
Eine klare Vorstellung hatte ich nie. In der Schule gab es Mitschüler, die ganz genau wussten, was sie nach dem Abi machen und welchen Beruf sie ergreifen würden. Ich war da immer unentschlossen und hätte wahrscheinlich etwas Breitflächiges wie BWL studiert, um danach auf eine Eingebung zu warten. Von daher bin ich froh, dass mir diese Entscheidung abgenommen wurde, weil es im Fußball funktioniert hat.
Hat Ihre Beteiligung an den Filmen auch dazu geführt, dass Ihnen noch mal bewusst wurde, wie privilegiert Sie waren, weil Sie zu den ganz wenigen gehört haben, die Fußball zum Beruf machen konnten?
Speziell im dritten Teil ist das ein Thema, weil es da sehr viele Rückblicke gibt. Gerade in der letzten Phase meiner Karriere habe ich schon öfter gedacht, wie schade es eigentlich ist, dass man in einem Hamsterrad steckt und nicht ausreichend genießen kann, wie außergewöhnlich es ist, jede Woche vor zigtausend Menschen Fußball spielen zu dürfen. Natürlich haben Profis immer noch wahnsinnig viele Gänsehautmomente – wenn sie zum Spiel auf den Rasen kommen oder ein Tor schießen. Aber vieles wird auch irgendwann zur Gewohnheit. Es passiert viel zu selten, dass man sich vor Augen führt, wie besonders das alles ist. In dieser Hinsicht war es schon gut, dass ich durch die Arbeit an den Filmen immer mal wieder einen Perspektivwechsel hatten.
Haben Sie bei all den Rückblicken ab und zu gedacht: Mensch, dies oder das hätte ich anders machen sollen?
Es gab schon das eine oder andere lukrative Angebot, das ich abgelehnt habe. Und natürlich fragt man sich später, was wohl gewesen wäre, wenn man sich anders entschieden hätte. Aber die Entscheidungen, die ich in meiner Karriere getroffen habe, waren wohlüberlegt und wurden nicht aus dem Bauch heraus gefällt. Wahrscheinlich würde ich sogar jede einzelne heute wieder genau so treffen. Ich durfte so viele Jahre dabei sein und hatte so tolle Vereine – Dortmund, Köln, Hertha, St. Pauli –, dass unsere Entscheidungen nicht so schlecht gewesen sein können. Da gibt es ja Karrieren, die ganz anders verlaufen. Also: alles cool.
Das heißt, wenn man Ihnen die Frage stellen würde, bei der Mo Abdulai gezögert hat, würden Sie sofort sagen: Ja, meinen Kindern könnte ich zu einer Fußballkarriere raten?
Am wichtigsten ist die Freude. Wenn sie Spaß am Fußball haben, würde ich sie bei allem unterstützen. Ich habe auf meinem Weg aber so viele überehrgeizige Eltern getroffen, die durch ihr Kind nur ihren eigenen Traum leben wollen, dass ich da wahrscheinlich sehr vorsichtig sein werde. Denn es ist das Schlimmste überhaupt, jemanden zu etwas zu drängen, was er eigentlich gar nicht will. Doch wenn der Wunsch da ist, dann kann ich sicher mit meiner Erfahrung auch helfen und ihnen etwas über die Seiten des Profigeschäfts sagen, über die selten etwas in der Zeitung steht. Wie man mit Rückschlägen oder Druck umgeht.
Ist das vielleicht die Kernaussagen der ganzen Trilogie? Dass bei allem, was in einer Karriere so schiefgehen kann, der Druck – durch Trainer, Medien oder Öffentlichkeit – am meisten unterschätzt wird?
Vielleicht besteht die größte Kunst am Ende tatsächlich darin, mit dem Druck umzugehen. Denn man kann das nicht simulieren und nicht trainieren. Es gibt Spieler, die im Nachwuchsbereich herausragend sind, die dann aber nervös werden, wenn sie vor 40.000 Menschen spielen sollen. Einige verlieren komplett das Selbstbewusstsein, wenn sie drei Wochen am Stück in der Zeitung lesen, wie schlecht sie gespielt haben. Andere wiederum haben ein so dickes Fell, dass sie das völlig ausblenden können. Und das hat sich ja im Vergleich zu meiner Zeit noch mal völlig verändert. Als Christoph anfing, diese Filme zu drehen, gab es noch keine sozialen Medien, und wir hatten damals diese ganze Plattformen nicht, die man heute bedienen muss. Puh … „wir damals“. Jetzt nehme ich mit Ende 30 auch schon solche Sachen in den Mund!
Das ist ja kein Wunder, denn wenn man sich die drei Filme heute noch mal am Stück ansieht, wird einem bewusst, wie sehr sich alles verändert hat.
Das stimmt. Im dritten Film ist auch Lars Ricken dabei, der die Sache aus seiner Sicht als Nachwuchskoordinator schildert. Mit ihm war ich am Trainingsgelände des BVB in Brackel, und da habe ich schon gestaunt über die Möglichkeiten, die es heute gibt. Unsere Duschen im Hoeschpark waren immer verschimmelt, da wurde nur ab und zu mal drübergestrichen. Um noch heißes Wasser zu bekommen, musstest du unter den ersten fünf oder sechs sein, die duschen gingen. Im Fredenbaum wiederum gab es eine Toilette hinter der Dusche, und wenn man da abzog, dann wurde das Wasser mit einem Mal wahnsinnig heiß. Damit sich ein Spieler, der gerade unter der Dusche stand, nicht verbrühte, musste man laut rufen, bevor man abzog. Wer das nicht tat, musste in die Mannschaftskasse zahlen. Wer weiß, vielleicht war das für unsere charakterliche Entwicklung aber auch nicht so ganz schädlich.
Ist dieser dritte Film wirklich der letzte?
Ja, und das reicht dann auch. Spannender wird es jetzt nicht mehr. Die Geschichte ist erzählt.