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Flo­rian Kringe, am ver­gan­genen Dienstag hatte in Dort­mund die Fuß­ball-Doku­men­ta­tion Nach­spiel“ Pre­miere – mit Ihnen als eine der Haupt­per­sonen. Wie ist es, sich selbst auf einer rie­sigen Lein­wand zu sehen?
Ich habe den Film ja schon im Juli sehen können, im Rahmen des Film­fes­ti­vals in Mün­chen. Aber es bleibt unge­wohnt, sich selbst auf einer Lein­wand zu betrachten. Ich kannte das zwar schon von den ersten beiden Teilen dieser Tri­logie, aber ich gehöre zu den Men­schen, die sich selbst nicht gerne auf Video oder im Film sehen. Meine Reak­tion schwankt dann zwi­schen amü­siert und pein­lich berührt. Auf der anderen Seite ist es natür­lich ein außer­ge­wöhn­li­ches Pro­jekt und eine schöne Erin­ne­rung, weil der Regis­seur uns sehr lange begleitet hat.

Das kann man wohl sagen. Teil eins, Die Cham­pions“, ent­stand zwi­schen 1998 und 2001 (Hier findet Ihr den Film). In diesem ersten Film gehören Sie aller­dings nicht zu den zen­tralen Figuren.
Chris­toph Hübner und Gabriele Voss, die beiden Fil­me­ma­cher, hatten sich damals vier Prot­ago­nisten aus­ge­sucht: Mohammed Abdulai, Francis Bugri, Claudio Cha­varria und Heiko Hesse. Von den vier war Francis der ein­zige, der dann später auch wirk­lich als Profi für Borussia gespielt hat. Aber leider nicht sehr oft. Ich denke, dass das der Grund war, warum Chris­toph mich für den zweiten Teil dazu­ge­holt hat. Ich kannte ihn aber natür­lich schon, weil ich die Dreh­ar­beiten hautnah mit­be­kommen hatte. Chris­toph war ja immer bei uns in der Kabine gewesen.

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Die A‑Ju­gend-Meister von 1998 mit Heiko Hesse (hinten, Mitte) und Francis Bugri (vorne, Zweiter von rechts).

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Sie sind zwei Jahren jünger als diese vier Spieler. Wäh­rend die 1998 Meister bei der A‑Jugend wurden, holten Sie den Titel mit der B‑Jugend. Kannten Sie sie trotzdem?
Ja, sogar recht gut. Zum einen, weil ich mal Jahr­gänge über­sprungen habe und mit den Älteren trai­nierte. Zum anderen aber auch, weil wir B‑Jugendlichen gerne mal die Tore für die A‑Jugend tragen mussten. Wir haben ja alle zusammen trai­niert, damals noch im Hoes­ch­park oder im Fre­den­baum­park. Das heu­tige moderne Trai­nings­zen­trum in Bra­ckel gab es da noch nicht. Und bei den Ama­teuren“, wie man damals sagte, habe ich auch mit ihnen gespielt. Ich kam ja schon als A‑Jugendlicher zur zweiten Mann­schaft hoch.

Hübner hat mal erzählt, dass er auch schon für den ersten Teil Auf­nahmen mit Ihnen gemacht hat, die dann aber nicht ver­wendet wurden, weil er sich auf die vier kon­zen­trieren wollte. Können Sie sich daran erin­nern?
Nicht so richtig. Ich war damals ja erst 16 Jahre alt, außerdem ver­schwimmt das alles ein wenig, weil wir so lange begleitet wurden. Über mehr als zwanzig Jahre war Chris­toph fast immer dabei.

Hübner hatte wohl Glück, dass er das kurze Zeit­fenster erwischte, in dem Ottmar Hitz­feld Sport­di­rektor beim BVB war. Der fand das Pro­jekt gut und öff­nete ihm alle Türen.
Heute wäre so etwas ver­mut­lich gar nicht mehr mög­lich. Diese modernen Fuß­ball-Dokus auf Net­flix oder Amazon sind ja etwas ganz anderes. Chris­tophs Filme haben diesen klas­si­schen, etwas tro­ckenen und sehr doku­men­ta­ri­schen Ansatz.

„Die Champions“ Neu und exklusiv im CLUB

2003 erschien der Doku­men­tar­film Die Cham­pions“, für den zwei Fil­me­ma­cher vier Dort­munder Nach­wuchs­fuß­baller jah­re­lang mit der Kamera beglei­teten. Hier könnt ihr den Film exklusiv und in voller Länge anschauen.

Es war von Anfang an eine Lang­zeit­do­ku­men­ta­tion geplant. Hübner und Voss hatten sich offen­kundig für Bugri ent­schieden, weil sie sich sicher waren, dass er es schaffen würde und dann in den spä­teren Filmen der­je­nige sein sollte, der seinen Traum vom Pro­fi­fuß­ball wirk­lich lebt.
Francis galt ja auch als Rie­sen­ta­lent. Er war ein feiner, ele­ganter Tech­niker.

Dass Bugri dann doch kein Star wurde, unter­streicht ein­dring­lich das Thema dieser Doku­men­tar­reihe: Wie schwierig es bei allem Talent ist, den Sprung zu schaffen.
Außen­ste­hende denken ja, dass es bloß aufs Talent ankommt. Viele glauben: Wenn der Junge nur gut genug ist, dann funk­tio­niert alles mehr oder weniger von alleine, dann wird er Profi und kommt an die dicken Scheine. Ich finde es sehr inter­es­sant, wie diese Filme zeigen, vor wel­chen Pro­blemen selbst Hoch­ver­an­lagte stehen. Als Mo Abdulai mit 16 aus Ghana kam, hat er hier zum ersten Mal Schnee gesehen. Claudio kam aus Chile und musste damit klar­kommen, dass Fuß­ball hier viel dis­zi­pli­nierter und regle­men­tierter ist. Auch das gehört dazu: Wie geht man mit Wider­ständen um, wie gewöhnt man sich an den rauen Ton im Pro­fi­sport?

Die meisten hatte ich aus den Augen ver­loren“

Der zweite Film, Halb­zeit“, ent­stand 2006 und 2007. In ihm sind sie eine der Kern­fi­guren. Hatten Sie vorher Ihren Berater gefragt, ob Sie das machen sollten?
Nein, das lag nicht in seiner Ent­schei­dungs­ge­walt. Die han­delnden Per­sonen beim BVB hatten grünes Licht gegeben, außerdem kannte ich Chris­toph Hübner ja schon seit Jahren. Thomas Kroth, mein Berater, taucht auch selbst in dem Film auf und wird inter­viewt.

Zu jener Zeit waren sie ein gestan­dener Profi und Stamm­spieler beim BVB. Hatten Sie noch Kon­takt zu den anderen, die es schon in alle Winde zer­treut hatte?
Die meisten hatte ich aus den Augen ver­loren, weil unsere Wege so unter­schied­lich waren. Heiko Hesse ging schon 1999 zum Stu­dieren in die USA und machte Kar­riere in der Finanz­welt. Claudio war schon zurück in Süd­ame­rika, spielte Fuß­ball in Gua­te­mala und baute nebenbei ein Logis­tik­un­ter­nehmen mit seinem Vater auf. Das meiste bekam ich tat­säch­lich über Chris­toph mit, als wir wei­ter­drehten, weil der ja zu allen Kon­takt gehalten hatte, soweit er das konnte. Mo war zum Bei­spiel zwi­schen­durch völlig von der Bild­fläche ver­schwunden. Er lebte eine Zeit­lang in Ban­gla­desch, kam dann zurück und machte hier in Deutsch­land den Bus­füh­rer­schein.

Wo genau fährt er denn heute Bus?
In Bochum, dort lebt er heute auch wieder, glaube ich. Er hat dort Freunde und hatte ja auch eine Weile für Wat­ten­scheid 09 in der Ober­liga gespielt.

Man sieht ihn oft im neuen Film, Nach­spiel“. Er ist offenbar mit seinem Leben sehr zufrieden und hadert nicht damit, dass er kein Fuß­ball­star wurde. Ist das eine der Bot­schaften des dritten Teils, dass Fuß­ball nicht alles im Leben ist?
Mo ist der beste Typ, den man sich vor­stellen kann, und eine unglaub­liche Froh­natur. Er hat eine wun­der­bare Ein­stel­lung zum Leben, kann aber auch nach­denk­lich sein. Das sieht man im dritten Teil, als er gefragt wird, ob er seinem eigenen Kind raten würde, nach Europa zu gehen, um Fuß­baller zu werden. An seinem Zögern merkt man, dass er auch Erleb­nisse der weniger schönen Art hatte. Aber grund­sätz­lich ist er mit seinem Leben ohne Fuß­ball zufrieden, ja.

Was hätten Sie eigent­lich gemacht, wenn es mit dem Fuß­ball nicht geklappt hätte?
Eine klare Vor­stel­lung hatte ich nie. In der Schule gab es Mit­schüler, die ganz genau wussten, was sie nach dem Abi machen und wel­chen Beruf sie ergreifen würden. Ich war da immer unent­schlossen und hätte wahr­schein­lich etwas Breit­flä­chiges wie BWL stu­diert, um danach auf eine Ein­ge­bung zu warten. Von daher bin ich froh, dass mir diese Ent­schei­dung abge­nommen wurde, weil es im Fuß­ball funk­tio­niert hat.

Alles cool“

Hat Ihre Betei­li­gung an den Filmen auch dazu geführt, dass Ihnen noch mal bewusst wurde, wie pri­vi­le­giert Sie waren, weil Sie zu den ganz wenigen gehört haben, die Fuß­ball zum Beruf machen konnten?
Spe­ziell im dritten Teil ist das ein Thema, weil es da sehr viele Rück­blicke gibt. Gerade in der letzten Phase meiner Kar­riere habe ich schon öfter gedacht, wie schade es eigent­lich ist, dass man in einem Hams­terrad steckt und nicht aus­rei­chend genießen kann, wie außer­ge­wöhn­lich es ist, jede Woche vor zig­tau­send Men­schen Fuß­ball spielen zu dürfen. Natür­lich haben Profis immer noch wahn­sinnig viele Gän­se­haut­mo­mente – wenn sie zum Spiel auf den Rasen kommen oder ein Tor schießen. Aber vieles wird auch irgend­wann zur Gewohn­heit. Es pas­siert viel zu selten, dass man sich vor Augen führt, wie beson­ders das alles ist. In dieser Hin­sicht war es schon gut, dass ich durch die Arbeit an den Filmen immer mal wieder einen Per­spek­tiv­wechsel hatten.

Haben Sie bei all den Rück­bli­cken ab und zu gedacht: Mensch, dies oder das hätte ich anders machen sollen?
Es gab schon das eine oder andere lukra­tive Angebot, das ich abge­lehnt habe. Und natür­lich fragt man sich später, was wohl gewesen wäre, wenn man sich anders ent­schieden hätte. Aber die Ent­schei­dungen, die ich in meiner Kar­riere getroffen habe, waren wohl­über­legt und wurden nicht aus dem Bauch heraus gefällt. Wahr­schein­lich würde ich sogar jede ein­zelne heute wieder genau so treffen. Ich durfte so viele Jahre dabei sein und hatte so tolle Ver­eine – Dort­mund, Köln, Hertha, St. Pauli –, dass unsere Ent­schei­dungen nicht so schlecht gewesen sein können. Da gibt es ja Kar­rieren, die ganz anders ver­laufen. Also: alles cool.

Das heißt, wenn man Ihnen die Frage stellen würde, bei der Mo Abdulai gezö­gert hat, würden Sie sofort sagen: Ja, meinen Kin­dern könnte ich zu einer Fuß­ball­kar­riere raten?
Am wich­tigsten ist die Freude. Wenn sie Spaß am Fuß­ball haben, würde ich sie bei allem unter­stützen. Ich habe auf meinem Weg aber so viele über­ehr­gei­zige Eltern getroffen, die durch ihr Kind nur ihren eigenen Traum leben wollen, dass ich da wahr­schein­lich sehr vor­sichtig sein werde. Denn es ist das Schlimmste über­haupt, jemanden zu etwas zu drängen, was er eigent­lich gar nicht will. Doch wenn der Wunsch da ist, dann kann ich sicher mit meiner Erfah­rung auch helfen und ihnen etwas über die Seiten des Pro­fi­ge­schäfts sagen, über die selten etwas in der Zei­tung steht. Wie man mit Rück­schlägen oder Druck umgeht.

Ist das viel­leicht die Kern­aus­sagen der ganzen Tri­logie? Dass bei allem, was in einer Kar­riere so schief­gehen kann, der Druck – durch Trainer, Medien oder Öffent­lich­keit – am meisten unter­schätzt wird?
Viel­leicht besteht die größte Kunst am Ende tat­säch­lich darin, mit dem Druck umzu­gehen. Denn man kann das nicht simu­lieren und nicht trai­nieren. Es gibt Spieler, die im Nach­wuchs­be­reich her­aus­ra­gend sind, die dann aber nervös werden, wenn sie vor 40.000 Men­schen spielen sollen. Einige ver­lieren kom­plett das Selbst­be­wusst­sein, wenn sie drei Wochen am Stück in der Zei­tung lesen, wie schlecht sie gespielt haben. Andere wie­derum haben ein so dickes Fell, dass sie das völlig aus­blenden können. Und das hat sich ja im Ver­gleich zu meiner Zeit noch mal völlig ver­än­dert. Als Chris­toph anfing, diese Filme zu drehen, gab es noch keine sozialen Medien, und wir hatten damals diese ganze Platt­formen nicht, die man heute bedienen muss. Puh … wir damals“. Jetzt nehme ich mit Ende 30 auch schon solche Sachen in den Mund!

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Die Fil­me­ma­cher Gabriele Voss und Chris­toph Hübner mit Heiko Hesse, der heute für den Inter­na­tio­nalen Wäh­rungs­fonds in Washington arbeitet.

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Das ist ja kein Wunder, denn wenn man sich die drei Filme heute noch mal am Stück ansieht, wird einem bewusst, wie sehr sich alles ver­än­dert hat.
Das stimmt. Im dritten Film ist auch Lars Ricken dabei, der die Sache aus seiner Sicht als Nach­wuchs­ko­or­di­nator schil­dert. Mit ihm war ich am Trai­nings­ge­lände des BVB in Bra­ckel, und da habe ich schon gestaunt über die Mög­lich­keiten, die es heute gibt. Unsere Duschen im Hoes­ch­park waren immer ver­schim­melt, da wurde nur ab und zu mal drü­ber­ge­stri­chen. Um noch heißes Wasser zu bekommen, muss­test du unter den ersten fünf oder sechs sein, die duschen gingen. Im Fre­den­baum wie­derum gab es eine Toi­lette hinter der Dusche, und wenn man da abzog, dann wurde das Wasser mit einem Mal wahn­sinnig heiß. Damit sich ein Spieler, der gerade unter der Dusche stand, nicht ver­brühte, musste man laut rufen, bevor man abzog. Wer das nicht tat, musste in die Mann­schafts­kasse zahlen. Wer weiß, viel­leicht war das für unsere cha­rak­ter­liche Ent­wick­lung aber auch nicht so ganz schäd­lich.

Ist dieser dritte Film wirk­lich der letzte?
Ja, und das reicht dann auch. Span­nender wird es jetzt nicht mehr. Die Geschichte ist erzählt.