Abedi Ayew Pelé ist der beliebteste Spieler in der Vereinsgeschichte von Olympique Marseille. Knapp 20 Jahre nach seinem größten Triumph für OM stehen heute gegen Borussia Mönchengladbach seine Söhne André und Jordan für die Franzosen auf dem Rasen.
Spätestens seit dem 28. November 2011 wissen auch deutsche Fans, wer die Brüder André und Jordan Ayew sind. Damals deklassierte Olympique Marseille den Deutschen Meister in der Champions League. Zwei der drei Tore zum 3:0‑Endstand erzielte André, sein Bruder flog kurz vor dem Ende mit Gelb-Rot vom Platz. Zwei Fußballer mit recht unterschiedlichem Temperament. Was sie vereint: Ihr Vater ist Abedi Pelé, der vermutlich größte Spieler in der Geschichte des französischen Traditionsvereins.
Pelé, der am Ende seiner Karriere auch für 1860 München auflief (Spötter behaupteten damals, der Ghanaer habe 1860 mit den großen Bayern verwechselt), ist inzwischen 50 Jahre alt. Wie auch immer seine Kinder heute im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach spielen werden – stolz ist Pelé mit Sicherheit. Schließlich tragen seine Söhne das Trikot des Klubs, das ihn einst weltberühmt machte. Dreimal, von 1991 bis 1993, wurde der Mittelfeldmann zu „Afrikas Fußballer des Jahres“ gekürt. Und das in einer Zeit, als die innerafrikanische Konkurrenz mit Jay Jay Okocha, Tony Yeboah oder George Weah groß war.
Keiner hatte was dagegen, als die Vereinslegende die Söhne im Nachwuchsleistungszentrum anmeldete
Seinen größten Triumph feierte Pelé am 6. Mai 1993 in München, im Finale der ersten offiziellen Champions-League-Saison. Einen Eckball (der eigentlich kein Eckball hätte sein dürfen) trat er gekonnt auf den Kopf von Basile Boli – die Mannschaft um den deutschen Routinier Rudi Völler gewann damals im Münchener Olympiastadion als erste französische Mannschaft Europas Krone. Und das gegen den großen AC Mailand. Pelé ist ein Vereinsheiligtum in Marseille. Kein Wunder, dass die Vereinsoberen wenig Bedenken hatten, als er vor einigen Jahren seine Söhne Jordan und André im Nachwuchsleistungszentrum „L´Ohéme“ anmeldete. Solche Gene trainiert man gerne.
Den unkomplizierteren Weg der Entwicklung hat André, der Ältere, genommen. Ausgebildet in Marseille, sammelte er erste Erfahrungen im Profibereich bei Lorient und Arles-Avignon, 2010 kehrte er zu OM zurück und wurde auf Anhieb Stammspieler. Wie einst sein Vater versprüht André eine gewisse Aura, die ihn mit aktuell 22 Jahren bereits zu einem Führungsspieler aufstiegen ließ.
Jordan ist da anders. Sein Talent, so sagen viele, sei noch größer, als das seines Bruders. Wie es mit kleinen Genies so ist: Einfach hat man es mit ihnen nie. Während sein Bruder OM verließ, um zunächst bei kleineren Klubs ein besserer Fußballer zu werden, blieb Jordan in Marseille und stellte nach seinem ersten Tor im ersten Pflichtspiel gleich Forderungen auf einen Stammplatz. Die Ersatzbank meidet er wie der Teufel das Weihwasser. Für Jordan Ayew ist jedes Spiel auf der Bank ein verlorenes Spiel. Seine fehlende Demut könnte seiner Karriere zum Verhängnis werden, obwohl erst 21 Jahre alt, hegen Beobachter schon jetzt den Verdacht, dass der Pelé-Sprößling nicht allzu viel aus seiner Begabung herausholt. André ist ein Arbeiter, Jordan ein Talent. Vermutlich wird es trotzdem André sein, der die große Karriere macht.
Wie es um das Temperament der beiden Brüder bestellt ist, zeigt sich auf dem Platz: Wird Jordan gefoult, eilt sein großer Bruder zum Tatort, tröstet Jordan und versucht mit ruhigen Worten die hitzige Situation zu beruhigen. Liegt aber André am Boden, oder wird von anderen Spielern bedrängt, wird Jordan zur Furie.
Seinen Zorn bekommen nicht nur Gegenspieler zu spüren: Vor dem Europa-League-Spiel gegen Eskisehirspor grätschte André seinen Teamkollegen Mathieu Valbuena ziemlich rustikal im Training um, der wurde laut – und wäre dafür fast von Jordan vermöbelt worden. Zumindest in Sachen Bruderliebe muss sich Papa Abedi Pelé keine Sorgen um seine Schützlinge machen.
Von den unterschiedlichen Gemütern einmal abgesehen: Tolle Fußballer sind sie beide. Borussia Mönchengladbach bekommt es nicht nur mit den Erben des großen Abedi Pelé zu tun, sondern auch mit einem unberechenbaren Duo, dass hauptverantwortlich dafür ist, dass Olympique Marseille nach elf Spieltagen in der heimischen Liga auf Platz zwei steht. Punktgleich mit dem Scheichklub PSG und gar mit einem Spiel weniger. Mönchengladbach ist gewarnt. Und sollte den Gebrüdern Ayew erneut ein würdiger Auftritt im Trikot von OM gelingen, sitzt Papa Abedi sicherlich vor dem Fernseher und – Vorsicht, französisches Sprichwort! – krault sich vergnügt am Sack. Er hat nämlich goldene Eier.