Sie kann extrem laut und unglaublich nah sein – aber auch wie nach dem Todesfall am Sonntag so berührend und sensibel. Die größte Stehplatztribüne Europas und ihre Geschichte.
Knut Reinhardt, Südtribünenliebling
„Ich würde wahrscheinlich Platzangst kriegen“
Ich habe zwischen 1991 und 1998 für den BVB gespielt, und damals haben wir immer versucht, in der zweiten Halbzeit auf die Süd zu spielen. Unsere Gegner waren schon bei der Platzwahl nervös, denn die wollten genau das unbedingt verhindern. Ich kann das schon verstehen. Wenn ich etwa abging und die Fans meinen Namen gerufen haben – mit dem langgezogenen „U“ – kam es mir vor, als würde eine 747 über meinem Kopf fliegen.
Ich war auch mal selbst auf der Südtribüne, zuletzt beim UEFA-Cup-Finale 2001 zwischen Liverpool und Alavés. Da war alles bestuhlt, aber bei einem Bundesligaspiel würde ich auf der Südtribüne wahrscheinlich Platzangst kriegen. Obwohl es ein Supergefühl sein muss, wenn alle springen und die Tribüne bebt. Vielleicht sollte ich das doch mal ausprobieren. Aber es ist ja unmöglich, Karten zu bekommen.
Mick Foster, Ordner
„Zweimal musste ich Leute rausschmeißen“
Früher war ich immer mit meiner Dauerkarte auf der Süd und habe nach und nach alle Ordner kennengelernt. Vor fünf Jahren habe ich dann einen von ihnen gefragt, ob sie nicht noch jemanden brauchen. Seitdem arbeite ich hier oben in Block 84 selbst als Ordner. Bei uns ist es relativ ruhig. Die Dauerkarteninhaber, die hier stehen, kenne ich alle. Nur zweimal musste ich Leute rausschmeißen. Der eine hat einen Böller gezündet, der andere hat einfach mitten auf die Tribüne gepisst. Da hört der Spaß auf.
Ronny Tydecks, ehemaliger Vorsänger der Ultras
„Nach 45 Minuten war ich echt im Eimer“
Ich war von August 2001 bis Oktober 2005 gut vier Jahre lang Vorsänger auf der Süd. Wenn man auf hunderte, vielleicht tausende von Leuten blickt, die ihre Arme heben und alle im Takt klatschen, das ist schon geil. Aber bei uninteressanten Gegnern konnte es durchaus Motivationsprobleme geben, entweder bei mir selbst oder bei den Leuten um einen herum. Man muss auch sagen, dass es harte Arbeit war. Manchmal habe ich vor dem Spiel ein paar Aspirin genommen, weil ich gelesen hatte, dass man dadurch leistungsfähiger wird. Aber nach 45 Minuten war ich echt im Eimer. Deswegen hatten wir immer mehrere Vorsänger und haben nach der Pause getauscht.
Ich erinnere mich gerne an die Zeit, vermisse sie aber inzwischen nicht mehr. Heute stehe ich wieder ganz normal als Fan auf der Süd. Ich kenne die Tribüne fast wie meine Westentasche, weil ich im Laufe der Jahre schon in vielen Blöcken gestanden habe und auch schon dort gewesen bin, wohin nicht viele Fans kommen. Vom Catwalk oben unterm Dach, den wir manchmal zur Vorbereitung von Choreos betreten durften, habe ich das letzte Spiel der Saison 2000/01 gesehen. Es war die Hölle, als wir glaubten, die Blauen werden Meister. Da oben konnte man das Spiel nicht sehen. Du siehst nur runter auf die Massen, siehst unterschiedliche Regungen und Stimmungen, weißt aber nicht wirklich, was los ist. Zum Glück ist es ja noch mal gut gegangen.
Niklas Ryvasy, Bierverkäufer
„25.000 Leute über mir springen – krass!“
Ich bin nur auf der Süd, weil ich neben dem Studium für die Stadion-Gastronomie jobbe. Um ehrlich zu sein: Am Anfang habe ich nicht verstanden, warum die Leute Ewigkeiten bei mir am Stand auf ihr Bier warten, um sich dann wieder auf die Tribüne zu quetschen, wo sie wahrscheinlich sowieso alles verschütten, wenn ein Tor fällt. Warum gucken die das Spiel nicht in Ruhe im Fernsehen? Aber wenn die 25 000 Leute über mir so springen, dass der Beton zu wackeln beginnt – das ist schon krass. Die Euphorie dringt auch zu mir nach unten durch, und inzwischen habe ich sogar angefangen, dem BVB die Daumen zu drücken.
Kasper Ryvig Johansson, dänischer Allesfahrer
„Ich musste einfach nach Dortmund umziehen“
Ich komme ursprünglich aus Esbjerg in Dänemark und bin seit 1992 BVB-Fan. Damals war ich zehn Jahre alte, Dänemark wurde Europameister, am besten gefiel mir Flemming Povlsen, und der spielte damals für Dortmund. Mein erstes BVB-Spiel habe ich zwei Jahre später in Hamburg gesehen. Im April 2001 habe ich es zum ersten Mal ins Westfalenstadion geschafft – auf die Süd, wie seither immer. Im Jahr darauf habe ich Abitur gemacht und anschließend nur gejobbt, weil ich keine Ambitionen hatte, ein Studium anzufangen.
Mir war schon zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass ich nicht in Dänemark bleiben würde, sondern nach Dortmund musste. Im Jahre 2004 bin ich wirklich dahingezogen, was auch viel praktischer war, denn ich fuhr längst zu allen BVB-Spielen, ob daheim oder auswärts. Meine Eltern wussten, dass ich wegen der Borussia umzog, aber meine Großeltern haben wir in dem Glauben gelassen, ich wäre wegen eines Studiums gegangen.
Der Text war die Titelgeschichte von 11FREUNDE #167. Hier geht es zum Heft-Archiv.