Fans der schottischen Nationalelf trotzen gut gelaunt allen Misserfolgen ihres Teams. Ende August 2014 besuchten wir sie – kurz vor dem EM-Quali-Hinspiel gegen Deutschland.
Dabei werden auch mal halbe Innenstädte lahmgelegt, aber negative Reaktionen sind trotzdem selten. Seit Jahrzehnten hat sich die Tartan Army einen guten Ruf ersungen und ertrunken. Schon bei der Euro 1992 in Schweden und der WM 1998 wurden die Schotten als beste Fans ausgezeichnet, mitten im Zeitalter der Fußballgewalt. In Dortmund werden sie zum 50. Mal in Folge bei einem Auswärtsspiel mit einem Gastgeschenk aufwarten, der „Tartan Army Sunshine Appeal“ sammelt seit über zehn Jahren Geld, um Kinder am Spielort zu unterstützen.
Der einzige notorische Unfug, den die schottischen Fans machen: Irgendwer rennt immer in den nächsten Supermarkt, um Waschmittel zu kaufen und unter lautem Beifall in öffentliche Brunnen zu kippen. Letztes Jahr wurde so der Trafalgar Square in London unter Schaum gesetzt. Mit Dortmunds Brunnen haben sie noch eine Rechnung offen, weil beim Länderspiel 2003 heftiger Dauerregen den Schaum sofort wegspülte. „Achtung Dortmund: Wir probieren es wieder!“, sagt Jim Brown.
Bemerkenswert an der weltweiten Begeisterung für die Tartan Army, ist, dass sie fast ausnahmslos ist. Die Schotten sind wegen ihrer demonstrativen Freundlichkeit allseits beliebt. Wegen ihrer Trinkfestigkeit, ihres selbstironischen Humors und der passionierten Gesänge im Stadion werden sie von Fußballfans auch als Vorbild akzeptiert. Abgesehen von einigen nicht ganz unproblematischen Reisen zum englischen Nachbarn, wurde die Tartan Army in den letzten drei Jahrzehnten daher nur einmal feindselig empfangen: 2006 in Kiew warfen ukrainische Fußballfans mit Flaschen und Steinen.
„Wir wollen wie die Tartan Army sein“
Meistens treffen sie hingegen auf ungehemmten Enthusiasmus. „Besonders in Kroatien hat es viele Fans gegeben, die gesagt haben: Wir wollen wie die Tartan Army werden“, sagt Clark
Gillies, der damals mit in Zagreb war. Selbst die berüchtigten serbischen Fußballfans gewannen die Schotten für sich. Als im März letzten Jahres das WM-Qualifikationsspiel in Novi Sad auszufallen drohte, weil nachts 30 Zentimeter Neuschnee gefallen waren, halfen vor allem Männer in Kilts, den Platz rechtzeitig freizuschaufeln. Danach waren sie Stars in Serbien. „Die Menschen haben die Straßenseite gewechselt, um sich mit uns fotografieren zu lassen“, sagt Jim Brown. Anstatt, wie von Sicherheitsbehörden befürchtet, gingen die serbischen Fans nicht auf die Schotten los, sondern begleiteten sie zum Stadion. „Sie haben gesagt: So wie ihr sollten sich Fußballfans benehmen, und nicht wie wir.“
Die Begeisterung für die Tartan Army hat ihr schon vor dem Fall der Mauer überraschenden Zulauf beschert. Bereits in den achtziger Jahren tauchten bei Spielen im Ostblock Fans aus der DDR auf, um Schottland zu unterstützen. Inzwischen gibt es Schottland Fans in Kroatien und Frankreich, Skandinavien oder Italien. Auch in Deutschland ist die Tartan Army vertreten: in München, Frankfurt, Berlin, Lüdenscheid und Rostock. Den aus Rostock kennen sie und amüsieren sich darüber, dass der Deutsche nun nicht so recht weiß, ob er für Deutschland oder Schottland sein soll. Wirklich verwunderlich findet diesen seltsamen Zulauf aus aller Herren Länder hier niemand. „Es scheint etwas Einzigartiges an der Tartan Army zu sein, das wir selbst nicht erklären können. Vielleicht liegt es an unserer Freundlichkeit. Oder die Leute wollen einfach mal die Sau rauslassen“, sagt Clark Gillies.
Trinken, vornehmlich in rauen Mengen, ist bei der Tartan Army gern gesehen. Unterwegs über Vereinsfußball zu sprechen ist jedoch unerwünscht, das ist die ungeschriebene Regel. Aber was gäbe es da auch zu erzählen? Die meisten Mitglieder der Tartan Army sind eher Fans kleinerer Vereine, wie auch hier im Iron Horse Pub: Partick Thistle, Clydebank oder East Stirling. Aber auch die größeren Klubs in Schottland sind international nicht richtig konkurrenzfähig.
Mit englischem Fußball zwangsernährt
Klar, Celtic hat es in den letzten Jahren immer wieder mal in die Champions League geschafft und einmal sogar den FC Barcelona geschlagen. Die Rangers hingegen sind nach ihrer Pleite immer noch auf dem Weg zurück in die Scottish Premier League, gerade haben sie den Aufstieg in die Liga darunter geschafft. Aber Brian Roy hat gerade zusehen müssen, wie sein FC Motherwell in der zweiten Qualirunde zur Europa League gegen einen Vorortverein aus Islands Hauptstadt Reykjavik ausgeschieden ist.
„Wir werden mit englischem Fußball zwangsernährt“, sagt John Daley. Es sei leichter, ein Spiel der zweitklassigen englischen Championship im Fernsehen zu sehen als eines der höchsten Spielklasse in Schottland. Die Krise der Klubs schlägt sich lange schon bei der Nationalmannschaft nieder, denn zum letzten Mal war sie 1998 bei einem großen internationalen Turnier dabei.
Über Vogts als Nationaltrainer lachen sie
Jeder hier kann sich auch an jene Tage erinnern, an denen der Entschluss eigentlich feststand, dass es reicht mit dem schottischen Team. Ein Stöhnen geht durch den Raum, jeder hat da sein besonderes Frusterlebnis. Die ständigen Niederlagen in Wales, der torlose Grottenkick in Weißrussland, ein 0:4 in Norwegen. Das 1:5 in Jacksonville/Florida gegen die USA, auf das sich die schottischen Spieler hauptsächlich auf dem Golfplatz vorbereiteten. Oder ein Freundschaftsspiel gegen Japan in Yokohama, bei dem selbst eingefleischte Fans zwei Drittel der Spieler nicht kannten. Als ein Mitarbeiter des schottischen Fußballverbandes einen nachnominierten Spieler am Flughafen abholte, musste er ein Foto mitnehmen, um ihn zu erkennen. Naja, und die ganze Ära Berti Vogts als Nationaltrainer löst sowieso nur Gelächter aus.
„Man kommt an einen Punkt, wo man trotzdem einfach weiter zu den Spielen fährt“, sagt Dougie Wotherspoon, den seine Schottland-Begeisterung schon zwei Ehen gekostet hat. Selbst bei Reisen in Länder wie Litauen ist die Tartan Army immer noch 3000 Mann stark. „Früher hat man gesagt, dass man sich zur Armee melden muss, wenn man die Welt sehen will. Heute schließt man sich der Tartan Army an“, sagt Jim Brown.