Vor 60 Jahren wurde die brasilianische Nationalmannschaft zum zweiten Mal Weltmeister. Vor allem Dank des Mannes mit den krummen Beinen: Garrincha. Der den futebol arte verkörperte wie kein anderer.
Seine Ausnahmestellung wurde jedoch nicht allein durch Tricks und Tore begründet. Für Rodrigues etwa war Garrincha der Prototyp des Brasilianers: „Er hatte dieses entwaffnende Gemüt eines Kindes, der mit einer Schrotflinte Zaunkönige abschießt und in seiner grenzenlosen Herzlichkeit im Dorf sogar die Hunde grüßt. Wir alle sind Opfer unseres Verstandes. Garrincha dagegen hat nie nachdenken müssen. Garrincha denkt nicht. Bei ihm läuft alles über den Instinkt.“
Garrincha wurde verehrt, obwohl seine Schwierigkeiten mit dem Leben jenseits des Fußballplatzes offensichtlich waren. Früh schon begann er zu trinken, wohl auch, um die Schmerzen in seinen verkrüppelten Beinen zu ertragen. Er war in mehrere Autounfälle verwickelt, kam mit dem Geld nicht aus. Wenig erstaunlich also, dass Porträts Garrincha stets als genialen Fußballer, aber bescheidenen Geist gemalt haben. Erst die auch auf Deutsch erschienene Biografie hat geholfen, das Bild des im Privatleben eher dümmlichen Garrincha zu revidieren. Biograf Castro zeichnet Garrincha als einen dem Alkohol verfallenen, aber gleichwohl empfindsamen Menschen, der sich nur auf dem Land in der Natur wirklich wohlfühlte. Er beschreibt, mit welchen gesellschaftlichen Vorurteilen Garrincha zu kämpfen hatte, als er sich 1966 von seiner Frau und sechs Kindern trennte, um mit der skandalumwitterten Sängerin Elza Soares zusammenzuleben, einer schönen Mulattin aus bitterarmen Verhältnissen. Das entsprach im tief katholischen Land nicht dem guten Ton. Das bürgerliche Brasilien rümpfte kollektiv die Nase.
Das Volk auf den Straßen hingegen ließ nicht von seinem Idol. Und stürzte prompt in eine tiefe Depression, als Garrincha 1966 Abschied von der Nationalmannschaft nahm. „Wir hatten das Lachen verlernt. In dieser Zeit lebten wir verwaist und verlassen. Ohne seinen dynamischen, akrobatischen, dionysischen Fußball waren wir 80 Millionen Waisen“, beschrieb es Rodrigues. Aber Garrincha schaffte noch einmal ein Comeback, spielte bis 1972 bei Atlético Junior, Flamengo und Olaria. Und als er „in einer Kurve des Maracanã-Stadions ein einsames Olé anstimmte, einsam und vollkommen wie ein Schwanengesang, da klatschte sogar die Inflation Beifall. Und wir Brasilianer fühlten uns fast allmächtig“.
1973 beendete er mit einem Abschiedsspiel im Maracanã seine Karriere. Und geriet bald in Vergessenheit. Die schmale Rente reichte hinten und vorne nicht. Als er am 20. Januar 1983 als erst 49-Jähriger an einer Alkoholvergiftung, ohne einen Pfennig in der Tasche, starb, hinterließ Garrincha mindestens 14 Kinder und ein Publikum, das sich nun wieder an ihn erinnerte. Den Weg zum Grab säumten tausende Anhänger.
Es war gewiss kein Zufall, dass Garrinchas Tod zeitlich mit dem Ende jenes
futebol arte zusammenfällt, des klassischen brasilianischen Kunstfußballs, der den Fußball in spielerischer Vollkommenheit inszenierte. Ein Jahr zuvor, bei der WM 1982 in Spanien, war die traumhaft aufspielende Nationalmannschaft Brasiliens um Zico, Sócrates und Falcão an den cleveren Italienern bereits im Achtelfinale gescheitert – „in Schönheit gestorben“, sagt man dazu in Brasilien. Neue Zeiten kündigten sich an.
„Hier ruht in Frieden einer, der das Volk glücklich gemacht hat“ steht auf dem Grabstein, von Manoel Francisco dos Santos, genannt Garrincha, gestorben in Rio de Janeiro.
Dieser Text erschien erstmals 2011, zu Garrinchas 25. Todestag.