Der moderne Fußball produziert viele Kapriolen. Eine davon sind grob falsch verstandene Vorstellungen über Fußballfans. Bei der gescheiterten Super League zeigten sich die Irrtümer.
Doch Pérez und andere Klubbosse hatten die fixe Idee entwickelt, dass junge Fans nicht mehr so auf Fußball standen. Sie wurde in Interviews und auf Konferenzen so oft wiederholt, dass sie irgendwann zu einer endgültigen Wahrheit wurde. Zweifellos richtig war, dass von vielen Seiten um das Zeitbudget junger Menschen gebuhlt wird. Schließlich versucht nicht nur der Fußball, die Welt zu erobern, auch die NBA mit US-Basketball oder die NFL mit American Football bemühen sich rund um den Globus durchaus mit Erfolg um Zuschauer, gerade junge. Computerspiele und E‑Sport finden etliche Jugendliche ebenfalls attraktiver als Fußballspiele.
Aber hätte Pérez auch die Marktstudien gelesen, die in Spanien über die Zuschauerentwicklung gemacht worden waren, hätte er feststellen können, dass seine Behauptung über den Zuschauerwandel schlichtweg falsch war. So war die Zahl der Fernsehzuschauer unter 24 Jahren zur Saison 2020/21 in Spanien um fast zehn Prozent gestiegen, der Zuwachs lag über dem allgemeinen Anstieg der Gesamtzuschauerzahl. Der Anteil junger Menschen zwischen 13 und 24 Jahren, also der angeblich „fehlenden Generation“, war sogar größer geworden, obwohl sie in der Pandemie die Spiele nicht mehr in Kneipen und Bars anschauen konnten, was vorher ein wichtiger Treffpunkt für sie war. Der größte Zuschauerrückgang war bei den über 64-Jährigen zu verzeichnen. Konnten sie sich nicht mehr auf ein ganzes Spiel konzentrieren?
Auch das, was in den sozialen Netzwerken passierte, bestätigte Pérez’ Aussagen nicht. Auf TikTok, wo ein besonders junges Publikum zu finden ist, generierte Fußball die meisten Aufrufe aller Sportinhalte, noch vor Fitnessvideos und Basketball. In den sozialen Netzwerken waren von den 25 Sportlern mit der weltweit größten Reichweite 17 Fußballspieler, auf den Plätzen von eins bis drei standen Cristiano Ronaldo, Neymar und Lionel Messi. Die Medienmacht der Spieler führte in Deutschland zu steilen Thesen. „Junge Menschen haben kein Problem damit, mit Lionel Messi im Trikot des 1. FC Heidenheim ‚Fifa 22‘ zu spielen. Die Faszination für Helden steigt, die Bindung an Vereine wird brüchiger“, sagte Christian Seifert, der damalige Chef der Deutschen Fußball Liga. Aber stimmte das, oder unterlag Seifert einer ähnlichen Fehlinterpretation wie Pérez?
Auch früher schon waren Kinder und Jugendliche schließlich oft zunächst Fans einzelner Spieler gewesen. Weil sie Günter Netzer bewunderten, blieben sie vielleicht an Borussia Mönchengladbach hängen oder aus Begeisterung über Kevin Keegan am Hamburger SV. Oder Netzer und Keegan blieben zwar ihre Lieblingsspieler, aber sie wurden trotzdem Fans von anderen Vereinen.