Heute wird Rom-Legende Francesco Totti 40 Jahre alt. Niemand hat mehr Fans, niemand hat mehr Feinde. Und sie alle fragen sich: Was wird aus uns, wenn er aufhört?
Dieses Porträt erschien erstmals in 11FREUNDE #148 im März 2014.
In dem Park, in dem Francesco Totti das Fußballspielen lernte, sitzt an diesem Morgen ein Vater mit FC-Bayern-Schal auf einer Parkbank. Grund zur Aufregung ist dies allein für die grünen Papageien, die krächzend durch den Parco degli Scipioni gleich hinter den Caracalla-Thermen und dem Circus Maximus segeln. Außer ihnen hat niemand etwas zu beanstanden. Warum auch? Am Nabel der Welt ist der FC Bayern nun mal eine zu vernachlässigende Größe.
Der Scipioni-Park ist ein in absoluter Ruhe und Routine befindliches Heiligtum. Der Pony-Kutscher hat die Zügel um seinen Fuß geschlungen und macht ein Nickerchen auf der Parkbank. Ein Mann im Portugal-T-Shirt guckt etwas ratlos in die Luft. Eine alte Frau blickt ihrem Leben im Grün der Zypressen hinterher. Diese bilden die Torpfosten für den kleinen Elia, der soeben einen Freistoß tritt. Elia hat ein Lazio-Trikot übergestreift, er ist der Sohn des Bayern-Fans. Ihm gegenüber steht im Roma-Dress Mattia und pariert. Hier wird Lazio gegen Roma gespielt, das ewige Duell. Es ist die Sphäre, in der sich auch das Leben von Francesco Totti abspielt.
„Sein Schuss, fortissimo!“
Fragt man die beiden Knirpse nach ihrer Meinung zum größten Fußballer der Stadt, antworten sie wenig überraschend, aber doch irgendwie aussagekräftig. „Was für eine Pfeife!“, meint der Laziale Elia. Romanista Mattia hingegen himmelt Totti an: „Sein Schuss, fortissimo!“
Man kann über Totti sagen, was man will. Er sei einer der besten Fußballer aller Zeiten, das meinte der beste Fußballer aller Zeiten, Pelé. Oder ein dämlicher Prolet, das behaupten diejenigen, die von Fußballern Intelligenz verlangen. Alle paar Jahre wieder wird behauptet, Totti sei am Ende. Aber dann ist er plötzlich doch wieder da und hat mit einem einzigen Volleyschuss oder einem blinden, per Hacke gespielten Steilpass die Experten für sich eingenommen. Totti sagt, er habe nur ein einziges Buch gelesen, Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“, als Kind. Aber nicht Bücher sind der Grad, an dem sich der Fußballspieler Totti messen lässt. Der einzige zuverlässige Maßstab für ihn ist die Rivalität zwischen Roma und Lazio, dem AS Rom und Lazio Rom.
„Lazio niemals!“
„Totti non alza sto cazzo“. So steht es mit Sprühdose in Himmelblau auf einer römischen Mauer ein paar Kilometer von Tottis Heimatviertel San Giovanni entfernt geschrieben. „Totti gewinnt einen Scheißdreck.“ Der Schriftzug tauchte auf, nachdem Lazio im Sommer 2013 das Pokalfinale gegen den AS Rom im römischen Olympiastadion gewonnen hatte. Es dürfte die schlimmste Niederlage im Leben des Römers gewesen sein, der schon als Milchbart postulierte: „Ich will nur die Roma, Lazio niemals!“ Damals, er war 15, war nicht nur der AS Rom, sondern auch Lazio hinter ihm her.
Seine Mutter Fiorella, die in der Nachbarschaft für ihre Streitlustigkeit in Sachen Fußball berüchtigt war, gab dann ein Beispiel dafür, was wahre Liebe ist. Früher war sie eine eingefleischte Lazio-Anhängerin gewesen, seit bald 20 Jahren sieht man sie nur noch für ihren Sohn im gelb-roten Roma-Trikot jubeln.
Das himmelblaue Menetekel übrigens, das mit einem großen Phallus geschmückt ist, fasst Tottis Schicksal auf grausam konkrete Weise zusammen. Seine Titel lassen sich zur Freude der Laziali an einer Hand abzählen. Nur einmal gewann er die italienische Meisterschaft (2001), zweimal den italienischen Pokal (2007 und 2008) und 2006 mit Italien in Berlin die Weltmeisterschaft. Eine überschaubare Ausbeute für einen Ausnahmespieler wie ihn. Aber Totti will nicht jeden Pokal gewinnen. Er will vor allem für die Roma siegen.
„Ich bin als Römer und Romanista geboren, und so werde ich auch sterben“, hat er einmal gesagt. Oder: „Ein Scudetto in Rom zählt wie zehn Meisterschaften anderswo.“ Für die Tifosi sind diese Worte mehr als Musik, sie sind für sie das beste Pop-Konzert aller Zeiten.
„Seid still, ihr habt vier Tore gefangen“
Mit Totti ist es so: Selbst meine Frau, eine der wenigen Römerinnen, die Fußball wirklich hassen, liebt diesen Typen. Weil er ein hübsches, verschmitztes Gesicht hat. Wie aus einem Pasolini-Film, sagen seine intellektuellen Verehrer. Sie mag ihn, weil er Römer ist. Nicht vom Stadtrand, nicht aus einem Nobelviertel, in dem es sowieso nur Laziali gibt, sondern aus dem sehr mittelmäßigen, sehr römischen Viertel San Giovanni. Sie mag ihn, weil er Dialekt redet, weil er die Selbstbezogenheit, den Müßiggang, die Ignoranz und das Talent dieser Stadt verkörpert. Und ihren Schalk. Der römische Witz, der viel mit schneller Reaktion, Gestik und Unverschämtheit zu tun hat, ist durch Totti ein Medienereignis geworden.Nicht Alessandro Del Piero wollte Fiat-Boss Gianni Agnelli im Jahr 2002 als Werbeikone für die Vorstellung eines neuen Fiat-Modells haben, er wollte Totti. Totti ist auch außerhalb Roms ein Symbol.
Als Juventus Turin einmal eine historische Niederlage in Rom erlitt und Juves Verteidiger Igor Tudor von der Bank nicht zu pöbeln aufhörte, gestikulierte Totti in seine Richtung: Er legte seinen Zeigefinger auf den Mund, zeigte mit derselben Hand die Zahl vier und machte den Turinern das Zeichen, zu verschwinden. „Seid still, ihr habt vier Tore gefangen, ab nach Hause“, bedeutete die Sequenz, mit der Totti in drei Sekunden das römische Reich restaurierte und die Invasoren aus dem Norden zusätzlich demütigte. In Rom liefen die Menschen in der Folge mit „Zitti, quattro, a casa“-T-Shirts herum.