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Seite 2: Der Prototyp des modernen Keepers

Lange kämpften wir jedoch selbst im eigenen Verein gegen große Wider­stände, denn außer Louis und mir hatte Edwin keine Befür­worter. Er passte nicht in das Bild der Leute und über­ragte seine Kon­kur­renz lange nur durch Kör­per­größe. Edwin war sicher mit weniger Talent gesegnet als andere und kein spek­ta­ku­lärer Flieger, dafür bestach er durch seinen unbän­digen Willen. Wir tauschten uns ständig mit­ein­ander aus, spra­chen intensiv über fast jede Aktion. Es war, als würden wir gemeinsam eine neue Spe­zies schaffen: den Anti­zi­pa­ti­ons­tor­wart.

Diese moderne Ver­sion des Schluss­manns arbeitet vor allem funk­tio­nell und agiert aktiv im Spiel. Edwin van der Sar war ihr Pro­totyp. Seine Klasse drückte sich nicht durch große Paraden aus, er ent­schärfte brenz­lige Situa­tionen, bevor diese über­haupt ent­standen. Wenn er fliegen musste, dann hatte er vorher wahr­schein­lich falsch gestanden. Es war sein aller­letztes Hilfs­mittel. Über die Jahre arbei­tete er sich Schritt für Schritt weiter ins Spiel­feld und ent­wi­ckelte so ein unglaub­li­ches Gespür für die per­fekte Posi­tion im Raum. Schob seine Mann­schaft in die geg­ne­ri­sche Hälfte, rückte er elf bis zwanzig Meter vor das Tor. So konnte er die gesamte eigene Hälfte ver­tei­digen und war jeder­zeit bereit, Steil­pässe zu erlaufen. Stand Edwin gut, umging der Gegner im Falle eines Kon­ters den direkten Weg durch die Mitte und suchte statt­dessen den Pass nach außen.

Der geg­ne­ri­sche Pass nach außen war Van der Sars beste Parade

Es mag komisch klingen, aber dieser Pass war Edwins beste Parade, denn so ver­zichtet der Gegner auf den direkten Weg zum Tor. Zudem beraubt er sich einer Angriffs­op­tion, weil ihn auf einer Seite die Außen­linie begrenzt. Durch sein Stel­lungs­spiel ver­hin­derte Edwin hun­derte Tor­chancen, ohne dass die Zuschauer es über­haupt bemerkten. Er war einer der Ersten, der diese Qua­lität besaß, und ent­wi­ckelte sie bis zur Per­fek­tion weiter. Ein Quan­ten­sprung für das Tor­wart­spiel

Natür­lich ist das Abwehren von Tor­chancen wei­terhin erste Tor­hü­ter­pflicht, doch der moderne Fuß­ball redu­ziert die reine Tor­war­t­ar­beit zuneh­mend. Durch sys­te­ma­ti­sierte Defen­siv­ar­beit, aggres­sives Pres­sing und das kon­se­quente Ver­schieben in Rich­tung des Balles sind mitt­ler­weile alle Mann­schaften in der Lage, das Spiel weit vom eigenen Tor fern­zu­halten. Des­wegen kann es Spiele geben, in denen Tor­hüter über weite Stre­cken beschäf­ti­gungslos bleiben. So wird es schwerer, sich über die ganze Spiel­zeit zu kon­zen­trieren. Edwin hatte eine eigene Methode ent­wi­ckelt, um seine Anspan­nung hoch­zu­halten. Dank seiner erst­klas­sigen Bein­ar­beit konnte er dem Spiel immer folgen. Mit kleinen Sides­teps blieb er immer auf einer Linie mit dem Ball, im ent­schei­denden Moment ver­la­gerte er den Druck auf den Vor­derfuß, um zu beschleu­nigen. Dabei sah er aus wie eine Ente: Der Ober­körper blieb regungslos, seine Beine waren ständig in Bewe­gung. Edwins men­tale Stärke war ein­malig. Seine jün­geren Nach­folger wie Manuel Neuer und Victor Valdes, die sicher mehr phy­si­sche Qua­lität haben, müssen das noch lernen. Ihre Rolle im Offen­siv­spiel wird weiter in den Vor­der­grund rücken. Diese ideelle Ver­schie­bung vom Tor­hüter zum Tor­spieler hatte Edwin ver­in­ner­licht wie kein Zweiter.