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Nur wenige Gegen­stände sind depri­mie­render als Brust­beutel. Sie sind häss­liche um den Hals gehängte Miss­trau­ens­kund­ge­bung an die Welt. Sagen sie doch nichts anderes als: Ich habe dich im Ver­dacht, mich um meine Besitz­stände bringen zu wollen.“ Des­halb ver­schwindet die eigene Habe so nah am Körper wie mög­lich, den Bli­cken und Zugriffen aller Böse­wichter ent­zogen. Inso­fern ist der Polen­witz der Brust­beutel der Humor­pro­duk­tion. Denn geht es bei ihm immer darum, den Grund­ver­dacht gegen­über dem die­bi­schen Polen in etwas zu ver­wan­deln, was eine Pointe sein soll.

Schatz, wir fahren zur EM!“

Aber eigent­lich hatte ich weder an Brust­beutel noch an Polen­witze gedacht, als wir ges­tern von Berlin aus zum ersten Mal in unser öst­li­ches Nach­bar­land auf­bra­chen. Schatz, wir fahren zur EM“, hatte ich einige Tage vorher zu Hause stolz ver­kündet. Ein Freund hatte zwei aller­beste Ein­tritts­karten fürs absehbar aller­beste Spiel der Vor­runde dieser Euro­pa­meis­ter­schaft besorgt. Das Wetter war bei der Abreise herr­lich, die Vor­freude riesig, und ver­gnügt rollten wir durch die schönen Land­schaften Vor­pom­merns, Kaschubiens und Pom­merns. Zumal die Straßen dort so ange­legt sind, dass man auch genug Zeit hat, sich die rol­lenden Hügel, grünen Wiesen und Stor­chen­nester anzu­schauen.
Irgend­wann erreichten wir dann doch Danzig und hatten kaum ange­halten, als wir schon über­schwäng­lich von Ein­hei­mi­schen begrüßt wurden – sogar per Hand­kuss (ok, ich nicht). Ein herr­li­cher Sonntag war das in der Alt­stadt, die in ihrer ganzen Pup­pen­stu­ben­haf­tig­keit von sin­genden Fans belebt wurde. Auch das Essen war wun­derbar, wobei sich der kaschu­bi­sche Herings­salat von dem in Ham­burg nun eigent­lich auch nicht unter­scheidet.

Aber das ganze aus­flüg­le­risch Tou­ris­ti­sche war sowieso nur das Vor­spiel, und so machten wir uns zum Bahnhof auf, um mit der Tram zum Sta­dion hin­aus­zu­fahren. Jubelnde Spa­nier sangen, als die Stra­ßen­bahn anhielt. Schon hielt mich ein stäm­miger Pole von Mitte 40 an den Armen fest, um mit ihm her­um­zu­hüpfen. Ich hüpfe aber nicht mit jedem und fasste instinktiv sofort nach meiner Brief­ta­sche, die ich sicher­heits­halber tief in der Vor­der­ta­sche meiner Jeans ver­graben hatte. Nur, tief ver­graben war da gar nichts mehr, wes­halb ich den Hüpfer sofort aus der Tram schob und ihn anzu­schreien begann. Empört griff er in seine Tasche und zog in Unschulds­mine sein Porte­mon­naie hervor. Mir war sofort klar, dass ich an Profis geraten war, was die Sache nicht besser machte. Einer drän­gelt, der nächste klaut, wahr­schein­lich gab es auch noch einen Dritten. In wenigen Sekunden waren Papiere, Geld und vor allem zwei Ein­tritts­karten fürs Spiel Spa­nien gegen Ita­lien weg.

Mit meiner ima­gi­nären Esels­mütze für den Idioten des Tages schlich ich so wütend wie depri­miert zur Polizei am Haupt­bahnhof, wo ganz selbst­ver­ständ­lich eine Beamtin aus Nie­der­sachsen stand. Ihr pol­ni­scher Kol­lege sagte ach­sel­zu­ckend auf Eng­lisch: Will­kommen in Polen.“ Und dann schickten sie mich zu einer Poli­zei­wache in der jetzt schon nicht mehr so schönen Alt­stadt. Dort half eine freund­liche junge Frau, die gelben Nagel­lack trug, bei dem Gespräch im Dienst­zimmer, in dem trau­rige Grün­pflanzen müde der bemer­kens­wert kom­pli­zierten Auf­nahme des Pro­to­kolls bei­wohnten. Zum Schluss durfte ich auch noch einen Blick in die Ver­bre­cher­kartei werfen, wobei ich mich des Ein­drucks nicht erwehren konnte, dass Kri­mi­na­lität in Polen irgendwas mit Segel­ohren zu tun hat. Ver­mut­lich muss man den Dieb, der mich bestohlen hatte, des­halb für beson­ders gerissen halten, denn er hatte keine Segel­ohren.

Köster kam ein­fach zu spät

Nun ist es sowieso schon depri­mie­rend beklaut zu werden, aber meis­tens ist es halt nur teuer und kostet Zeit. Aber in diesem Fall wurden wir um eine ganze Reise gebracht. Schließ­lich waren wir viele Stunden lang über holp­rige Land­straßen gefahren, um ein Fuß­ball­spiel anzu­schauen und nicht nur irgend­eins, wie wir dann in einem Café auf einer Groß­bild­lein­wand sahen. Wir sahen den Welt­meister und eine raf­fi­nierte ita­lie­ni­sche Mann­schaft und dachten: Das hätten wir gerne gesehen.

Doch da war der Schmerz durch die wun­der­bare Kraft der Soli­da­rität zumin­dest etwas gemil­dert, denn Philipp Köster hatte sich zu uns gesellt. Der eif­rige Tau­send­sassa war eben­falls mor­gens in Berlin auf­ge­bro­chen, hatte aber noch mal eben den Umweg über Mün­chen genommen. In seiner Rolle als Chef­re­dak­teur von 11 FREUNDE am TV-Fuß­ball­stamm­tisch mit Roger Cicero und Lothar Mat­thäus war er noch durchs Stahlbad der Fuß­ball­mei­nungs­bil­dung gegangen und dann zum Flug­zeug gehetzt. Nicht ohne vorher noch einen Schwall von E‑Mails ans Pres­se­center in Danzig zu schi­cken, dass er zwar jen­seits der Dead­line zum Abholen der Tickets sei, aber auf jeden Fall noch kommen würde. Kam er auch – eine halbe Stunde vor Anpfiff. Der Taxi­fahrer vom Flug­hafen hatte ihm auch noch einen Express­zu­schlag abge­nommen von unge­fähr dem Fünf­fa­chen des Nor­mal­preises. Aber da war es eben schon zu spät.

So saßen wir still den Kopf schüt­telnd, auf dem unsere unsicht­baren Esels­ohren traurig wackelten, vor der Groß­bild­lein­wand und fassten Vor­sätze. Wir würden wohl noch mal in Ruhe über die Frage des Brust­beu­tels nach­denken und über Zeit­ma­nage­ment. Polen­witze machten wir übri­gens keine.