Unsere Kollegen Philipp Köster und Christoph Biermann machten sich am Sonntag zum Spiel zwischen Spanien und Italien auf. Sie kamen auch in Danzig an, doch dann kam alles anders.
Nur wenige Gegenstände sind deprimierender als Brustbeutel. Sie sind hässliche um den Hals gehängte Misstrauenskundgebung an die Welt. Sagen sie doch nichts anderes als: „Ich habe dich im Verdacht, mich um meine Besitzstände bringen zu wollen.“ Deshalb verschwindet die eigene Habe so nah am Körper wie möglich, den Blicken und Zugriffen aller Bösewichter entzogen. Insofern ist der Polenwitz der Brustbeutel der Humorproduktion. Denn geht es bei ihm immer darum, den Grundverdacht gegenüber dem diebischen Polen in etwas zu verwandeln, was eine Pointe sein soll.
„Schatz, wir fahren zur EM!“
Aber eigentlich hatte ich weder an Brustbeutel noch an Polenwitze gedacht, als wir gestern von Berlin aus zum ersten Mal in unser östliches Nachbarland aufbrachen. „Schatz, wir fahren zur EM“, hatte ich einige Tage vorher zu Hause stolz verkündet. Ein Freund hatte zwei allerbeste Eintrittskarten fürs absehbar allerbeste Spiel der Vorrunde dieser Europameisterschaft besorgt. Das Wetter war bei der Abreise herrlich, die Vorfreude riesig, und vergnügt rollten wir durch die schönen Landschaften Vorpommerns, Kaschubiens und Pommerns. Zumal die Straßen dort so angelegt sind, dass man auch genug Zeit hat, sich die rollenden Hügel, grünen Wiesen und Storchennester anzuschauen.
Irgendwann erreichten wir dann doch Danzig und hatten kaum angehalten, als wir schon überschwänglich von Einheimischen begrüßt wurden – sogar per Handkuss (ok, ich nicht). Ein herrlicher Sonntag war das in der Altstadt, die in ihrer ganzen Puppenstubenhaftigkeit von singenden Fans belebt wurde. Auch das Essen war wunderbar, wobei sich der kaschubische Heringssalat von dem in Hamburg nun eigentlich auch nicht unterscheidet.
Aber das ganze ausflüglerisch Touristische war sowieso nur das Vorspiel, und so machten wir uns zum Bahnhof auf, um mit der Tram zum Stadion hinauszufahren. Jubelnde Spanier sangen, als die Straßenbahn anhielt. Schon hielt mich ein stämmiger Pole von Mitte 40 an den Armen fest, um mit ihm herumzuhüpfen. Ich hüpfe aber nicht mit jedem und fasste instinktiv sofort nach meiner Brieftasche, die ich sicherheitshalber tief in der Vordertasche meiner Jeans vergraben hatte. Nur, tief vergraben war da gar nichts mehr, weshalb ich den Hüpfer sofort aus der Tram schob und ihn anzuschreien begann. Empört griff er in seine Tasche und zog in Unschuldsmine sein Portemonnaie hervor. Mir war sofort klar, dass ich an Profis geraten war, was die Sache nicht besser machte. Einer drängelt, der nächste klaut, wahrscheinlich gab es auch noch einen Dritten. In wenigen Sekunden waren Papiere, Geld und vor allem zwei Eintrittskarten fürs Spiel Spanien gegen Italien weg.
Mit meiner imaginären Eselsmütze für den Idioten des Tages schlich ich so wütend wie deprimiert zur Polizei am Hauptbahnhof, wo ganz selbstverständlich eine Beamtin aus Niedersachsen stand. Ihr polnischer Kollege sagte achselzuckend auf Englisch: „Willkommen in Polen.“ Und dann schickten sie mich zu einer Polizeiwache in der jetzt schon nicht mehr so schönen Altstadt. Dort half eine freundliche junge Frau, die gelben Nagellack trug, bei dem Gespräch im Dienstzimmer, in dem traurige Grünpflanzen müde der bemerkenswert komplizierten Aufnahme des Protokolls beiwohnten. Zum Schluss durfte ich auch noch einen Blick in die Verbrecherkartei werfen, wobei ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass Kriminalität in Polen irgendwas mit Segelohren zu tun hat. Vermutlich muss man den Dieb, der mich bestohlen hatte, deshalb für besonders gerissen halten, denn er hatte keine Segelohren.
Köster kam einfach zu spät
Nun ist es sowieso schon deprimierend beklaut zu werden, aber meistens ist es halt nur teuer und kostet Zeit. Aber in diesem Fall wurden wir um eine ganze Reise gebracht. Schließlich waren wir viele Stunden lang über holprige Landstraßen gefahren, um ein Fußballspiel anzuschauen und nicht nur irgendeins, wie wir dann in einem Café auf einer Großbildleinwand sahen. Wir sahen den Weltmeister und eine raffinierte italienische Mannschaft und dachten: Das hätten wir gerne gesehen.
Doch da war der Schmerz durch die wunderbare Kraft der Solidarität zumindest etwas gemildert, denn Philipp Köster hatte sich zu uns gesellt. Der eifrige Tausendsassa war ebenfalls morgens in Berlin aufgebrochen, hatte aber noch mal eben den Umweg über München genommen. In seiner Rolle als Chefredakteur von 11 FREUNDE am TV-Fußballstammtisch mit Roger Cicero und Lothar Matthäus war er noch durchs Stahlbad der Fußballmeinungsbildung gegangen und dann zum Flugzeug gehetzt. Nicht ohne vorher noch einen Schwall von E‑Mails ans Pressecenter in Danzig zu schicken, dass er zwar jenseits der Deadline zum Abholen der Tickets sei, aber auf jeden Fall noch kommen würde. Kam er auch – eine halbe Stunde vor Anpfiff. Der Taxifahrer vom Flughafen hatte ihm auch noch einen Expresszuschlag abgenommen von ungefähr dem Fünffachen des Normalpreises. Aber da war es eben schon zu spät.
So saßen wir still den Kopf schüttelnd, auf dem unsere unsichtbaren Eselsohren traurig wackelten, vor der Großbildleinwand und fassten Vorsätze. Wir würden wohl noch mal in Ruhe über die Frage des Brustbeutels nachdenken und über Zeitmanagement. Polenwitze machten wir übrigens keine.