Unser Autor ist HSV-Fan. Das Jahr 2018 muss schlimm für ihn gewesen sein, oder?
Am 12. Mai um 17:17 Uhr war es vorbei. Der HSV gewann im letzten Saisonspiel zwar 2:1 gegen Borussia Mönchengladbach, aber der VfL Wolfsburg, Konkurrent im Abstiegskampf, siegte 4:1 gegen den 1. FC Köln. Ich machte den Fernseher aus und bekam nicht mehr mit, dass einige Fans Rauchbomben zündeten und die Polizei über den Rasen marschierte. Ich schrieb keine SMS, ich las nicht den Nachbericht auf kicker.de, ich schaute keine Zusammenfassung in der Sportschau. Ich lehnte mich zurück und atmete tief ein. Der HSV, mein Lieblingsverein, war abgestiegen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesliga. Und das war gut so.
Wie war es nur soweit gekommen?
Vielleicht hatte mich dieser Klub, der sich selbst Dino nennt, mürbe gemacht. Über Jahre hing er in einer Art Zwischenuniversum fest. Er war zu schlecht für die Bundesliga, und er war, so grotesk das klingt, zu schlecht, um endlich abzusteigen. In einer Saison holte er nur 27 Punkte und hielt trotzdem die Liga. In einer anderen rettete er sich in der letzten Minute mit einem Freistoßtor. Er verlor gegen die Bayern 0:9, 0:6 oder 2:9. Er ließ sich von Mannschaften wie Paderborn oder Darmstadt aus dem eigenen Stadion schießen.
Im Hintergrund pumpte ein Milliardär Geld in den Klub, und der kaufte davon durchschnittliche Spieler, die überdurchschnittlich bezahlt wurden und unterdurchschnittlich spielten.
Der märchenhafte HSV
Regelmäßig blamierte sich der Verein auch abseits des Platzes. Einmal verlor ein Sportdirektor seinen Rucksack mit wichtigen Spielerverträgen in einem Park. Ein anderes Mal verkaufte die Fanartikel-Abteilung ein T‑Shirt, auf dem statt einer HSV-Choreo eine Hertha-Choreo zu sehen war. Und auf Twitter posteten die Spötter, von denen es reichlich gab, jedes Wochenende ein Bild von Stürmer Pierre-Michel Lasogga und seiner Mutter. Beide hatten sich für das Shooting mit Motoröl eingerieben und blickten lasziv in die Kamera. Sat1-Softerotik am Samstag um 15:30 Uhr. Oder auch: der Niedergang in einem Bild.
Seit über elf Jahren lebe ich mittlerweile in Berlin, und wenn ich früher die Spiele in den Kiezkneipen verfolgte, konnte man sich wenigstens etwas in Nostalgie verlieren. Happel, Kaltz, Magath. Oder das 4:4 gegen Juventus Turin im September 2000. Der lauffaule, aber geniale Sergej Barbarez. Der wahnsinnige Stig Töfting. Rafael van der Vaart, Europa League, Nigel de Jong. Ach, und kennste noch Thomas Gravesen, die Humörbombe? Schaffte es einst bis zu Real Madrid!
Dem Klub haftete lange noch etwas Märchenhaftes an, und manchmal erschien er dabei nicht total unsympathisch.