Trotz Island, Wales oder Nordirland: Statistisch gesehen ist Ungarns Nationalelf die größte Überraschung der EM – auch dank deutscher Aufbauhilfe.
In Budapest sind die Schatten der Vergangenheit so lang, dass man sich wundert, wenn man überhaupt mal die Sonne sieht.
An jeder zweiten Straßenecke wird man von alten Spielerlegenden wie Ferenc Puskás oder Sándor Kocsis begrüßt. Man spaziert vorbei an Denkmälern, die an die goldenen fünfziger Jahre erinnern. Man kann abends ins „6:3“ einkehren, eine Kneipe im Stadtteil Ferencvaros, die einst Nándor Hidegkuti höchstpersönlich betrieb und die an Ungarns sensationellen 6:3‑Auswärtssieg 1953 gegen England erinnert. Neuerdings gibt es sogar ein Bier, das Puskás Lager heißt.
Ein paar Stunden in Budapest genügen, um sich einer Sache sicher zu sein: Ungarn war einst die beste Fußballnation der Welt.
Bloß wie ist es heute?
„Wir sind Letzter“, sagt Andreas Möller, als wir ihn wenige Tage vor EM-Start zu einem Doppel-Interview mit Ungarns Nationalcoach Bernd Storck treffen. Der ehemalige Bundesligaspieler, der kurz vor den EM-Play-Off-Spielen gegen Norwegen von Storck zu Ungarns Co-Trainer berufen worden war, saß in einem Budapester Hotel und referierte über die Marktwerte der EM-Underdogs Island, Nordirland oder Albanien.
Meister Videoton spielte nicht mal in der Europa League
Tatsächlich schneidet Ungarn in diesem Vergleich am schlechtesten ab. Der wertvollste Spieler der Magyaren ist Kapitän Balázs Dzsudzsák, dessen Marktwert von transfermarkt.de auf 4,25 Millionen Euro taxiert wird. Im Durchschnitt kommt Ungarns Team auf einen Marktwert von 1,1 Millionen Euro, das sind 500.000 Euro weniger als bei Nordirland, die Vorletzter sind. Deutschlands Spieler sind hingegen im Durchschnitt über 25 Millionen Euro wert.
Aber es seien nicht nur die schnöden Zahlen, die Ungarn zum größten Außenseiter des Turniers machten, sagt Storck. Im Vergleich zu den anderen Teams stehen im ungarischen Kader nämlich kaum Profis mit internationaler Erfahrung, die meisten Spieler sind in der heimischen Liga aktiv. Und die ist immer noch qualitativ auf deutschem Zweitliganiveau. Selbst Videoton, der Meister der Saison 2014/15, konnte sich nicht für die Europa League qualifizieren.
Die Deutschen in Ungarn
Trotzdem: Es wird besser. Die Erfolge Ungarns bei der EM sind kein Zufall, sondern das Resultat von einer Entwicklung, die vor ein paar Jahren begann und an der einige Deutsche mitgewirkt haben. Natürlich Bernd Storck mit seinem Team um Andreas Müller und Torwarttrainer Holger Gehrke. Aber auch Michael Oenning, der mit Vasas Budapest überraschend die Liga halten konnte. Oder Werner Bürger, der schon lange bei MTK Budapest tätig ist.
Und vor allem Thomas Doll und Ralf Zumdick, die schon vor drei Jahren als Trainerteam den darbenden Rekordmeister Ferencvaros übernahmen und seitdem zweimal Pokalsieger und diese Saison auch mit großem Abstand ungarischer Meister wurden. Zwischenzeitlich blieb die Mannschaft über ein Jahr ungeschlagen.