Herr Nachtsheim, es gibt von »Badesalz« ein Stück in dem es um einen gewissen Anthony Sabini geht, angelehnt an Anthony Yeboah. Wer ist heute bei der Eintracht Ihr Anthony Sabini?
Es gibt keinen. Die Geschichte von Anthony Yeboah ist sowieso eine ganz spezielle. Als er mit Saarbrücken hier gespielt hat, wurde er ausgepfiffen und rassistisch beleidigt, und als er zu uns wechselte, kippte das in sofortiges Lob. Da ist der Hesse halt sehr flexibel.
So eine Geschichte haben wir hier seitdem nicht mehr erlebt. Einen zweiten Anthony Yeboah gibt es bei uns nicht. Er war schon eine extreme Granate.
Fehlt der Mannschaft so ein Spieler?
Ja. Die Mannschaft ist aber auch ganz anders gestrickt. Wenn sie sich jetzt steigert, werden Spieler, die momentan unterschätzt werden, bestimmt in Fahrt kommen. Martin Fenin zum Beispiel ist eigentlich ein guter Sürmer, Liberopoulos ist auch super. Aber ob sie die Qualität von Yeboah haben, wage ich trotzdem, bei aller Liebe, zu bezweifeln.
Wie muss denn die Eintracht heute gegen Bayern spielen, um zu gewinnen?
Fatalistisch! Immer mit dem Gefühl, dass sie das durchaus verlieren darf, aber dass sie gut genug drauf ist, um es mal zu probieren. Mehr ist wohl nicht drin. Zumal ja jetzt Inamoto auch noch ausfällt. So eine Verletztenliste wie jetzt hatten wir in Frankfurt auch noch nie. Mit Chris, Amanatidis und Köhler fehlen ja schon drei Leistungsträger. Wir haben also echt Pech gerade. Von daher: Augen zu und durch. Und wenn die Eintracht verliert, wird sich keiner aufregen. Wichtig ist, dass sich die Mannschaft, falls sie gegen Bayern verliert, an die Moral und diesen Willen aus den letzen zwei Spielen erinnert.
Wie tippen Sie das Spiel heute Abend?
Wir spielen 1:1.
Und wer soll das Tor schießen?
Oka Nikolov per Elfmeter.
Was haben Sie vor der Saison gesagt, sollte das Ziel für die Eintracht sein?
Ich habe gedacht, dass wir es schaffen, so ein bisschen in die Belle Etage der Liga einzudringen und da mal den einen oder anderen Verein aufmischen. Platz sieben hatte ich getippt. Wir haben ja echt eine geile Vorbereitung gespielt, auch wenn ich weiß, dass man so ein Spiel gegen Real Madrid nicht überbewerten sollte. Ich habe mal geschrieben, dass das Geilste für uns Fans der Moment vor dem Spiel ist. Da kann man träumerisch noch alles formulieren. Da kann man bei Arminia Bielefeld vor der Saison sagen: »Mit ein bisschen Glück werden wir Deutscher Meister.« Das geht. Da gibt es niemanden, der das Gegenteil beweisen kann. Okay, wenn dann die Saison vorbei ist, werden wir sicherlich erleben, dass es nicht so gekommen ist. Genauso wie die Eintracht nicht auf Platz sieben kommt. Aber auch heute kann ich sagen, dass wir gegen Bayern 7:0 gewinnen. Das fühlt sich gut an.
Und jetzt, nachdem die Eintracht so schlecht gestartet ist: Was schätzen sie jetzt?
Ich glaube, wir werden langfristig nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Aber dadurch, dass jetzt bis zur Winterpause wirklich gute Spieler ausfallen, muss man mal sehen. Diese Kraftakte wie gegen Köln und gegen Cottbus kann man ja nicht immer wiederholen. Es kommen ja auch noch bessere Gegner. Wir müssen jetzt sehen, dass wir uns bis zur Winterpause so durchwurschteln. Wenn dann alle an Bord sind, kommen wir vielleicht auf einen gesunden zehnten Platz. Mehr sollten wir uns nicht erhoffen.
War die letzte Saison, in der die Eintracht ja stabil im Mittelfeld der Liga stand, aber oben nicht so richtig mitmischen konnte, ab und zu langweilig für sie?
Ich bin ja schon furchtbar lange Eintracht-Fan und gehöre deshalb nicht zu den Ungeduldigen hier. Wirklich doof war letzte Saison diese komische Negativserie zum Schluss. Zum Beispiel als wir kurz vor Ende noch das Spiel gegen Schalke aus der Hand gaben. Diese Niederlagen zum Schluss waren wirklich unnötig. Hätten wir die nicht gehabt, wäre vielleicht der UI-Cup drin gewesen. Das war schon schade. Aber langweilig wird es mir eigentlich nie mit der Eintracht.
Wo waren Sie am 18. Juni 2002?
War das Rostock? Ach nein. Das war ja viel früher.
Ich meine den Tag, als die Eintracht keine Lizenz für die zweite Liga bekommen hat.
Da war ich dementsprechend bei meinem Psychotherapeuten. Nein, im Ernst. Ich kann mich nicht an den Tag erinnern. Es war ja auch nicht so ein Schlüsseltag. Das hatte sich ja so angedeutet. Über Wochen hatten wir Angst, weil es immer wieder Gerüchte gab. Wir waren sehr niedergeschlagen, daran erinnere ich mich. Wenn wir die Lizenz tatsächlich nicht bekommen hätten, wäre das sehr, sehr schlimm gewesen. Neulich habe ich mich mit jemandem von der Eintracht unterhalten. Der sagte, dass wir auch nicht in die Regionalliga gekommen wären, sondern bestenfalls wäre es die Oberliga geworden. Der Verein wäre also richtig weg gewesen. Das hätte wesentlich länger gedauert, da wieder raus zu kommen. Gott sei dank ist es dann glimpflich ausgegangen, und Willi Reimann hat uns wieder durch den Tunnel ans Licht geführt. Er hat dem Verein seinen Glauben zurück gegeben. Das muss man schon so sagen, auch wenn er ein schwieriger Typ war.
Wo ist ihr Platz im Stadion?
Früher saß ich mit meinen Kumpels im Stadion. Jetzt schreibe ich aber seit drei Jahren meine Kolumnen. Als Honorar bekomme ich eine Pressekarte und einen Durchfahrtsschein. Das hat den Vorteil, dass ich direkt unter das Stadion fahren kann und nicht mehr bei Wind und Wetter durch den Wald laufen muss. Ich sitze auf der Pressetribüne zwischen den Journalisten. Mit meiner Clique kann ich halt nicht mehr hingehen, weil ich nur diese eine Karte habe. Aber unter den Journalisten habe ich viele Bekannte und Freunde. Ich habe ja mal fast bei der Frankfurter »Neuen Presse« ein Volontariat gemacht.
Ist es nicht für Sie als Fan zu emotionslos auf der Pressetribüne?
Das passt schon. Auch dort sind Emotionen. Es ist nicht so, dass man dort die ganze Zeit seinen Stil behalten muss. Ich selbst bin ja auch nicht als Journalist da. Ich habe ja einfach nur diese Pressekarte. Bei schlechten Spielen ist auch auf der Pressetribüne schnell der Unmut zu spüren. Ich erinnere mich auch an ein Spiel gegen Köln, als die Eintracht vier oder fünf Tore geschossen hat. Zum Schluss standen alle auf den Sitzen und flippten völlig aus.
Welcher Spieler ist Ihr Eintracht-Idol?
Es gibt eine Hand voll. Ich bin Eintracht-Fan geworden, weil ich Grabowski und Hölzenbein gesehen habe. Die beiden sind unvergessen. Mit hoher Technik, spektakulärem Spiel und grandiosen Toren. Meine beiden größten Helden. Es gab aber so raue Typen wie Lothar Schämer, Typ Abwehr-Metzger, über die man heute kaum noch spricht. Die haben hinten konsequent alles weggetreten. Die habe ich auch sehr geliebt. Später waren es dann Yeboah, Okocha und Bein. Das war auch noch mal eine ganz geile Zeit.
Gibt es ein Spiel, in dem Sie gemerkt haben, dass die Eintracht ein Teil von Ihnen ist?
Ja, so ein Spiel gab es. Meine Freundin, in die ich wirklich verliebt war, hatte mit mir Schluss gemacht. Mir ging es echt beschissen, und eigentlich wollte ich mich vor den nächsten Zug schmeißen. Meine Mutter war es dann, die etwas Großartiges getan hat. Ich war gerade bei ihr, und sie hatte mitbekommen, wie traurig war. Sie meinte: »Och, komm ich kann jetzt nicht so viel für dich machen. Weißt du was? Hier hast du 30 Mark. Geh zur Eintracht, die spielen doch heute. Kauf dir mal eine richtig gute Karte für die Haupttribüne, und iss noch was Gutes.« Normalerweise war ich immer im Stehblock. Ich fand das supersüß von meiner Mutter und bin dann ins Stadion. Wir gewann 9:2 gegen Werder Bremen. Ich glaube, Norbert Nachtweih hat alleine vier Tore geschossen. Bis heute bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die Eintracht mich an diesem Tag trösten wollte.
Haben Sie eigentlich Freunde, die Kickers Offenbach-Fans sind?
Ja. Ich nehme zum Beispiel gerade mein Soloalbum in Offenbach-Bieber aus. Da ist ein Studio, in dem ich gute Freunde habe. Dort habe ich übrigens auch einen Eintracht-Sampler aufgenommen. Das hat tatsächlich dazu geführt, dass ein paar besonders kluge Köpfe in Eintracht-Foren schrieben, man sollte die Single hinterfragen, weil sie in Offenbach produziert wurde. Wenn man solche Gedanken im Kopf hat, sollte man schnell zu einem guten Arzt gehen, damit es nicht schlimmer wird. Meine Kumpels, die Eintracht-Fans sind, finden es alle nicht gut, dass Offenbach so weit unten spielt. Wir würden es viel besser finden, wenn sie auch in der 1. Liga spielen würden und wir hier zwei Mal im Jahr ein geiles Derby hätten.
Und wie betrachten Sie Hoffenheim?
Die finde ich genial. Großartig, wie die den Laden aufmischen. Man merkt richtig, wie Rummenigge und Co. schlucken und langsam kapieren, dass da jemand ganz ernsthaft kommt, der ihnen dicke Stücke vom Kuchen wegnimmt. Dietmar Hopp ist ja kein Roman Abramowitsch. Ich kenne Leute aus dieser Gegend, und die erzählen mir in wie viele vernünftige Projekte der seine Kohle steckt. Man kann nicht immer nur sagen: »Geld schießt Tore« und sich über einen einzelnen Typen aufregen. Bei Bayern und Schalke ist es doch nicht besser. Schalke ist mit Gazprom doch auch stinkreich. Von daher: Herzlich willkommen, Hoffenheim! Mit Geld allein funktioniert das nicht. Da gehört schon mehr dazu. Ibisevic, Ba oder Obasi kannte ich bis zu dieser Saison noch gar nicht, und die spielen einen super Offensiv-Fußball.
Wünschen sie der Eintracht einen Dietmar Hopp?
Wenn morgen einer kommt, der einen vernünftigen Eindruck macht, Kohle hat, die Tradition und die Seele des Vereins schätzt und kapiert, dass es eine sensible Fangemeinde gibt, dann hätte ich nichts dagegen. Wenn man da hinkommen will, wo ManU, Barcelona oder Chelsea ist, dann geht es nicht anders. Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn die Eintracht um einen einstelligen Tabellenplatz spielt und mit jungen Spielern überrascht.