Thierry Henry und Patrick Vieira wurden zusammen Welt- und Europameister. Gestern trafen sie als Coaches aufeinander. War das Spiel so gut wie seine Trainer?
Die 10-Year-Challenge geistert dieser Tage durch das nimmervergessende Internet. Eine Aktion, die auf teils sehr lustige und teils sehr dramatische Weise verdeutlichen will, was sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Es gibt abschmelzende Polkappen zu sehen, Frisuren, Oberlippenbärte (mit einem hohen männlichen Anteil, aber nicht nur), die gleichbleibende BER-Baustelle und RB Leipzig. Vor zehn Jahren standen Thierry Henry und Patrick Vieira noch als Spieler auf dem Platz. Gestern Abend begegneten sie sich als Trainer wieder.
Seit Oktober leitet Henry die Geschicke beim AS Monaco. Er übernahm eine Mannschaft, die auf dem 18. Tabellenplatz stand. Mittlerweile sind sie 19. Bereits im Sommer hatte Patrick Vieira in Nizza das Amt von Lucien Favre übernommen. Tiefpunkt: Eine Handgreiflichkeit mit Mario Balotelli, der den Verein mittlerweile verlassen hat. Zumindest hat Nizza Kontakt zu den internationalen Plätzen.
„Invincibles“ an der Seitenlinie
Es waren die Namen Henry und Vieira, die dafür sorgten, dass das Spiel am Mittwochabend die Schlagzeilen der französischen Medien im Vorfeld bestimmt hatte. Zusammen gehörten sie zum Arsenal-Team, das zwischen 2003 und 2004 für eineinhalb Jahre unbesiegt blieb. Wurden gemeinsam Weltmeister, Europameister, standen im WM-Finale 2006. Nach der Karriere erklärte Henry so anschaulich wie kein Zweiter das Pep-Guardiola-System im TV. Vieira bildete Talente bei Manchester City aus.
Gestern Abend trafen Henry und Vieira im „Stade Louis II“ vor Monacos Küste aufeinander. Würde dieses Spiel zumindest ein Hauch Wenger-Fußball umwehen? Würde Monaco, ganz im Stile des Trainer, unwiderstehlich auf das Tor des Gegners zustürmen? Und würde Nizza, ganz im Stile des anderen Coaches, brachial verteidigen? Oder entwickeln sich in Monaco und Nizza gerade ganz neue Formen des schönen Spiels?
Chancen nur durch Fehler
Zur Halbzeit marschierte Thierry Henry diskutierend über den Platz in Richtung Spielertunnel. Vorbei an den von leeren Plätzen gesäumten Tribünen, die im Oberrang mit kaminroten Bannern abgedeckt waren, um das geringe Zuschauerinteresse zu kaschieren. Wie könnte sich seine Mannschaft steigern? Eine Chance für Monaco hatte Henry gesehen. Weil Dante, dieser wuschelige Kapitän in Nizzas Abwehrreihe über einen Ball geschlagen hatte. Dessen Trainer, Patrick Vieira, machte im Anschluss ein Gesicht, das sich am ehesten unter „angewidert“ zusammenfassen ließe. Henry und Vieira sahen ein Spiel, in dem sich Torraumszenen nur entwickelten, wenn der Gegner haarsträubende Fehler machte. Immerhin: Daran mangelte es nicht. Nizzas Stürmer Allan Saint-Maxim hatte in der 30. Minute einen solchen Fehler genutzt – 0:1.
Und tatsächlich hatte Monaco ansonsten oft in schnellen Umschaltmomenten versucht, vor Nizzas Tor zu gelangen. Doch OGC, die die schlechteste Offensive und zugleich eine der besten Defensiven der Liga stellt, hielt im Sinne Vieiras dichtgestaffelt dagegen. Der Journalist Tom Williams schrieb im Vorfeld: „Offensichtlich spielte Vieira unter Wenger. Er würde in Nizza diesen Offensivgeist spielen lassen. Aber er ist pragmatisch genug, um zu realisieren, dass er dafür nicht die Spieler hat.“
Liga der Talente
Die beiden Franzosen haben sich in den vergangenen Jahren akribisch vorbereitet. Waren in Jugendakademien, hospitierten in den USA, trugen Bälle für die belgische Nationalmannschaft. Nun sind sie Trainer in der Ligue 1, deren Leitspruch lautet: „Ligue de talents“. Liga der Talente. Und vielleicht war das das Problem an diesem Abend. Eines, das nicht erst besteht, seitdem Henry und Vieira an der Seitenlinie stehen. Denn seit jeher wird von großen Spielern auch erwartet, dass sie große Trainer werden. Deren Spieler oftmals aber nicht an die eigene Klasse heranreichen. Und so machte sich in einem schwachen Moment die Hoffnung breit, Henry und Vieira mögen in der Halbzeitpause ihre feinen Mäntel ausziehen und sich doch bitte einfach selbst einwechseln.
Thomas Tuchel, der genau diese Liga zurzeit mit Paris Saint-Germain anführt, es also von allen in Frankreich am besten wissen müsste, hatte zu Beginn seiner Trainerkarriere gesagt: „Auf dem Niveau, auf dem wir jetzt Fußballspielen, ist es ein ganz klares Players Game.“ Er meinte, dass Trainer die Spiele nur im Juniorenbereich gewinnen könnten. Bei den Profis sei die Dichte an individueller Klasse so groß, dass der Trainer nicht mehr vergleichbar entscheidend sei. „Die Rolle von mir ist die eines Dienstleisters“, sagte Tuchel, „wir unterstützen und helfen.“
Turbulent oder planlos?
Die Welt- und Europameister von einst, die Dienstleister von heute, konnten nur zusehen, wie Monaco nach einem Eckball ausglich, weil der Ball für einen kurzen Augenblick hinter der Torlinie lag. Und sie sahen, wie Nizzas Stürmer in der Schlussphase einen Elfmeter vergab. Turbulent war das Spiel, sagen manche. Etwas planlos, sagen andere.
Henry hatte auf alle fünf Neuzugänge verzichten müssen, darunter den Ex-Schalker Naldo und den Ex-Weltmeister Cesc Fabregas, weil das Cote‑D’Azur-Derby ein Nachholspiel war und somit kein Winterpausentransfer spielberichtigt war. Ab dem Wochenende dürfen sie mitspielen. Vielleicht wird es dann besser. Vielleicht können sie mit seiner Hilfe etwas anfangen. Andererseits: Auch Thomas Tuchel fing in Mainz an, hatte keine Weltmeister im Kader, und trotzdem Erfolg. Das ist genau zehn Jahre her.