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Die 11FREUNDE-Diens­tags­ko­lumne: Jede Woche machen sich Lucas Vogel­sang, Frank Will­mann, Titus Chalk und Frank Baade im Wechsel Gedanken über den Fuß­ball, die Bun­des­liga und was sonst noch so pas­siert. Wenn unser heu­tiger Kolum­nist Lucas Vogel­sang nicht gerade für uns unter­wegs ist, schreibt er für den Tages­spiegel, textet für Thea­ter­stücke oder fla­niert beseelt durch Berlin.


Selten war ich so erleich­tert über den Beginn eines Fuß­ball­spiels wie an diesem Morgen in New York. 6 Uhr früh, unge­fähr. Messi mit einem kaum klei­neren Ein­lauf­kind an der Hand, dahinter Xavi, Fab­regas. Daneben die Bra­si­lianer des FC Santos, die später nur Sta­tisten sein sollten. Das alles auf einem etwa sieben Qua­drat­meter großen Plas­ma­bild­schirm. Irgend­je­mand trieb den Volume-Regler bis an den Anschlag. Und end­lich ließ auch der Argen­ti­nier, Gast­geber und Plas­ma­bild­schirm­be­sitzer, von mir ab. Mit dem Anpfiff endete seine Kampf­rede über die Seele des argen­ti­ni­schen Spiels, so abrupt wie sie zuvor begonnen hatte. Er stierte auf den Fern­seher, leicht blöde, aber immer noch stark eupho­ri­siert von den voran gegan­genen Minuten. Mich, den Deut­schen, hatte er mit dem ersten Ball­kon­takt Messis ver­gessen.

Mit dem nächsten Über­steiger griff ich nach meinen Sachen und gab J., Zeige- und Mit­tel­finger strau­chelnd in der Luft, das Zei­chen zum Auf­bruch. J. schüt­telte den Kopf. In Zeit­lupe. Was ent­weder meiner wan­kenden Wahr­neh­mung oder seiner mitt­ler­weile blei­ernen Motorik geschuldet war. In seiner Mimik, längst zu einem Still­leben moderner Kunst ver­rutscht, spie­gelte sich die Über­zeu­gung eines Mannes, der den Schlaf besiegt zu haben glaubt. Sein Abend hatte gerade erst begonnen. Das aller­dings vor etwa 27 Stunden. Wobei ich auch das nicht so genau sagen konnte, weil J., sobald er von der Nacht gekostet hat, die Zeit nicht in Stunden, son­dern in Gin Tonics misst. Für meinen Geschmack, waren wir schon einen Bombay und zwei Hendricks zu lange unter­wegs. Also raus hier.

Wäh­rend ich J. aus dem Zimmer schob, tanzte Messi mit zwei bra­si­lia­ni­schen Schau­fens­ter­puppen: Und als die ersten spa­ni­schen Hass­ti­raden am Plasma des Bild­schirm abperlten, standen wir schon im Aufzug, wünschten dem Por­tier, samtrot uni­for­miert, ame­ri­ka­ni­sches Lächeln auf ame­ri­ka­ni­schen Lippen, ein frohes Weih­nachts­fest und riefen uns ein Taxi. Hinter dem Cen­tral Park ein Glimmen. Das Blau der kom­menden Stunde. Wohin, wollte der Taxi­fahrer wissen. Woher, war die Frage, die mich viel eher inter­es­sierte.

Zwei Tage New York, am Wochen­ende vor Weih­nachten. Freitag hin, und mit vollen Tüten (Macy’s) und einem mit roter Schleife ver­zierten Dop­pel­jetlag (Swiss Air) am Sonntag wieder zurück. Kann man mal genauso machen, fand J., packte eine Son­nen­brille („für den Style“), zwei Boxer­shorts und eine halb­volle Packung Aspirin in einen alten Leder­koffer in Hand­ge­päck­größe und machte ein halbes Dut­zend Lie­ge­stütze („für die Ladies“). Kurz danach waren wir Check-In bereit.

Akute Endor­phin-Ver­gif­tung

Da die Erin­ne­rungen an die fol­genden Stunden jedoch etwas auf­ge­weicht sind, im trans­at­lan­ti­schen Über­trag ver­schwommen, gibt es den Trip hier kurz im Guy-Richie-Zeit­raffer: Ber­liner Taxitür zu, star­tendes Flug­zeug, lan­dendes Flug­zeug, New Yorker Taxitür auf. Broadway, Times Square. Häus­er­höhen, Men­schen­mengen. Weih­nachts­baum am Rocke­feller Center. Hell­wach, in der Stadt, die den Schlaf aus ihren Straßen ver­bannt hat, in der selbst die Nacht­ruhe eine kon­stante Laut­stärke erreicht. Jet­lag­wach im Tag­traum. Ziem­lich gute Sache, dieses New York, dachte ich. Biss­chen fiebrig schon. Ange­steckt von J., der mit weit auf­ge­rissen Augen unter­wegs war, als wollte er ein großes Stück aus dem großen Apfel gucken. Akute Endor­phin-Ver­gif­tung. Bis ich, plötz­lich allein, auf der Dach­ter­rasse eines Clubs stand. Hinter dem Geländer, Ple­xi­glas, durch­sichtig, der Hudson River. Am Hori­zont die vage Idee der Frei­heits­tatue. Und vor mir ein kleiner Mann, der mit spa­ni­schem Akzent nach einer Ziga­rette ver­langte.

J. hatte ich zuletzt vor etwa drei Gin Tonic und einer, von einem Haufen kali­for­ni­scher Upper Class Kids freund­lich zur Ver­fü­gung gestellten, Jack Daniel’s Fla­sche gesehen.Die Party einen Stock tiefer wurde gerade auf­ge­löst. Merke: Auch in einer schlaf­losen Stadt gibt es eine Sperr­stunde. Liebe Mama, Reisen bildet. Dein Sohn.

Nun galt es, J. zu finden. Er lehnte unten an der Bar, ver­tieft in eines dieser Bar­ge­spräche mit dem Tür­steher, einem etwa zwei Meter großen Afro­ame­ri­kaner. Typ Danny Glover im Körper von Shaquile O‚Neill. Es ging, so viel bekam ich noch mit, um afri­ka­ni­sche Wur­zeln. Dann ver­ab­schie­deten sich die beiden, wie man sich unter Brü­dern eben ver­ab­schiedet und J. tän­zelte uns ent­gegen. Der Mann mit dem spa­ni­schen Akzent, nur zwei Schritte hinter mir, lachte, die beiden kannten sich schon. Freunde der Nacht. Gehen wir, fragte J. Dop­peltes Nicken. Wir gingen. Zusammen mit Ruben, der sich noch schnell, mit spa­ni­schem Akzent, als Ruben vor­ge­stellt hatte.

Zehn Minuten später: 37. Stock des Trump Towers

Drei wei­tere Worte wurden gespro­chen, mehr musste auch nicht. After Hour. Und: Taxi. Zehn Minuten später stand ich im 37. Stock des Trump Towers, oder zumin­dest eines Trump Towers. Es gibt ein paar davon in New York. Und vor mir der Argen­ti­nier, Agus­tino, Rubens bester Freund, dem seine Eltern dort, im Trump Tower, seit ein paar Monaten ein geräu­miges Zwei­zimmer-Apart­ment mit Sky­line-Blick finan­zierten. Mein Zeit­ge­fühl hatte sich längst durch die Hin­tertür ver­ab­schiedet. Ein Blick aus dem Fenster aber zeigte zumin­dest eine, von ein­zelnen Licht­punkten, auf­ge­reiht wie auf einer defekten Christ­baum­kette, durch­setzte ober­fläch­liche Dun­kel­heit, wie sie nur in Groß­städten zu finden ist. Dar­über keine Sterne. Licht­ver­schmut­zung.

Agus­tino hatte augen­schein­lich zum mor­gend­li­chen Früh­schoppen der Welt­ju­gend geladen. Auf diversen Sitz­ge­le­gen­heiten zer­flossen die Körper der glo­balen Schlaf­lo­sig­keit. Zwei Pär­chen. Er Argen­ti­nier, rein von der Optik Agus­tinos Bruder, sie Asiatin. Gegen­über eine Ita­lie­nerin mit mehr als rudi­men­tären Deutsch­kennt­nissen, aalend in der Umar­mung eines Israelis. Dann noch zwei andere Süd­ame­ri­kaner, die an den Schläu­chen einer Was­ser­pfeife hingen. Und eben Ruben, der, die Augen geschlossen, in einem Sessel zu medi­tieren schien.

Irgendwo zwi­schen Aus­hilfs­ma­fioso und Mara­dona

J. war in der Küche ver­schwunden, um sich einen Espresso zu machen. Ein guter Zeit­punkt eigent­lich, um die Nacht in der Däm­me­rung aus­klingen zu lassen. Aber Agus­tino wollte nun unbe­dingt über Fuß­ball spre­chen. Oder viel­mehr: Über das Wesen des deut­schen Spiels an sich und die natür­liche Über­le­gen­heit der argen­ti­ni­schen Seele. Ich hatte da jetzt eher keine so große Lust drauf. Doch Agus­tino, nur in Boxer­shorts bekleidet, Haus­schuhe aus Fell, das sonst schul­ter­lange Haar, eilig zu einem Pfer­de­schwanz gebunden, unter einer Basecap, hatte längst mit der Vor­stel­lung begonnen. Erster Akt, Szene: Süd­ame­ri­ka­ni­scher Debat­tier­klub. Die Deut­schen haben kein Herz“, sagte er. Mit diesem typisch argen­ti­ni­schen Ges­tik­zirkus, irgendwo zwi­schen einer an Gio­vanni Trapp­a­toni erin­nernden Par­odie eines Aus­hilfs­ma­fioso und der Thea­tralik Mara­donas.

Ich hätte mich jetzt auf das Sofa setzen, mit einem letzten Drink in der Hand das mul­ti­eth­ni­sches Vor­spiel stu­dieren können. Aber ich musste Agus­tino unbe­dingt an Süd­afrika erin­nern, reflex­artig. Ich sagte: Vier zu Null, lachte über einen kleinen dicken Mann mit zwei Uhren. Ich sagte: Müller, Özil. Und dann sagte ich noch: Arne Fried­rich. Wie gesagt, mir hätten eine Menge bes­serer Dinge ein­fallen können. In diesem Moment. Aber ich sagte tat­säch­lich: Arne Fried­rich. Da prallte nun deut­scher Hohn auf das Ehr­ge­fühl des Argen­ti­niers. Und: Fuß­ball, Ehre und Machismo funk­tio­nieren auch in Fell­haus­schuhen und Boxer­shorts. Agus­tino drückte mir den Finger auf die Brust und wie­der­holte, diesmal lauter: Die Deut­schen haben kein Herz.“

Diesmal ent­schied ich mich für die Defen­sive. Schönstes Tou­risten-Lächeln. Halb freund­li­cher Japaner, halb poly­glotter Gender-Stu­dent aus Tübingen. Ein Freund zu Gast bei Welt­bür­gern. Doch es war längst zu spät. Die nächsten Minuten gehörten ihm, und er nutzte sie für eine Ansprache, die er vor nicht allzu langer Zeit für einen mög­li­chen Besuch aus Deutsch­land vor­be­reitet zu haben schien. Schwein­steiger kein Herz. Özil auch nicht. Und Müller, jetzt lachte der Gaucho, sowieso nicht.

Mit acht Stür­mern wird Argen­ti­nien Welt­meister

Er hielt beide Hände in die Luft, alle Finger bis auf den kleinen und den Ring­finger der rechten Hand aus­ge­streckt. Acht, sollte das heißen. Wenn Argen­ti­nien bei der nächsten Welt­meis­ter­schaft mit acht Stürmen spielt, dann wird Argen­ti­nien auch Welt­meister, sagte Agus­tino und machte danach eine Pause, die seinen Worten Nach­druck ver­leihen konnte. Er meinte das genauso und er meinte das ernst. Mit so etwas Banalem wie der Welt­rang­liste, das spürte ich, brauchte ich ihm jetzt auch nicht mehr zu kommen. Viel­leicht hatte ich aber auch ein­fach kein Herz für eine Aus­ein­an­der­set­zung.

Er trank einen her­ri­schen Schluck aus einer Fla­sche Absynth, wo auch immer er die in der Zwi­schen­zeit her­ge­holt hatte, wollte gerade von Neuem anheben, als das Fern­seh­bild auf­fla­ckerte. J., Kaf­fee­tasse in der Hand, stand grin­send daneben. Klub-WM, ein kleiner Argen­ti­nier an der Hand eines kaum grö­ßeren Ein­lauf­kindes. End­lich Ruhe in dieser Nacht. Allein für diesen Moment hätte auch ich Lionel Messi zum Welt­fuß­baller gewählt.