In der Corona-Krise haben die Fußballprofis festgestellt, dass sie nicht genug gehört werden. Deshalb hat Andreas Luthe ein neues Spielerbündnis mitgegründet. Hier spricht er über Hygienekonzepte ohne Spielerbeteiligung und ligaweite Gehaltskürzungen
Dieses Interview erschien erstmals in 11FREUNDE #229. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Andreas Luthe, Sie fördern mit Ihrer Organisation „In safe hands“ die soziale, emotionale und interkulturelle Kompetenz von Kindern über Sport. Sie sind Mitglied im Spielerrat der Vereinigung der Vertragsspieler (VdV) und waren in diesem Sommer Initiator eines neuen Bündnisses von Profispielerinnen und ‑spielern. Der Task-Force der DFL zur Zukunft des Profifußballs gehören Sie auch noch an. Woher kommt der Schwung für dieses Engagement?
Themen, die mir wichtig sind, habe ich schon immer mit großem Enthusiasmus verfolgt, darin verliere ich mich und vergesse die Zeit.
Viele Spieler betreiben inzwischen eigene Stiftungen; Leon Goretzka und Joshua Kimmich haben mit viel Einsatz die Aktion „We kick Corona“ gestartet. Spüren Sie ein wachsendes Bedürfnis von Profis, sich zu engagieren?
Ich sehe erst einmal positiv, dass es passiert. Die Erkenntnis, dass man sich als Sportler engagieren kann, ist wichtig. Man sieht dabei ein großes Spektrum vom Tierwohl bis etwa Corona. Spielern sind eben ganz unterschiedliche Dinge wichtig.
Welche sind das bei Ihnen?
Bei „In safe hands“ geht es darum, weltoffenes Zusammenleben und Toleranz zu fördern. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sport bei solchen Themen eine unglaubliche Kraft entwickeln kann.
Würden Sie im Bezug auf gesellschaftliches Engagement von Profis von einem Generationswechsel sprechen?
Ach, ich glaube, da ist noch Luft nach oben.
Der Vorstellung, dass Torhüter eine Macke haben, will er „bewusst gegensteuern“. Auch dadurch, dass Luthe sich seine drei Vereine (Bochum, Augsburg, nun Union Berlin) ausgesucht hat, weil „ich auch etwas Fußballkultur brauche, um mich wohlzufühlen“.
Verhindert die Welt des Profi-fußballs gesellschaftliches Engagement?
Nein, das sehe ich nicht so. Warum soll uns der Fußball denn daran hindern? Leon und Joshua haben doch vorgemacht, dass es selbst für Spieler auf Top-Niveau möglich ist. Und ich als Bundesligaspieler ohne internationale Belastung habe es ebenfalls geschafft, mir Zeit dafür freizuräumen.
Das Gegenbild dazu sind Spieler, die goldene Steaks bestellen oder mit dicken Autos protzen. Ärgern Sie sich darüber?
Ich ärgere mich nicht darüber, wenn ein Spieler ein Goldsteak isst, das ist eine private Entscheidung. Aber ich ärgere mich, wenn das generalisiert wird. Denn das ist nicht richtig.
In der Corona-Pause ist ein Spielerbündnis entstanden, in dem sich prominente Spieler wie Neven Subotic, Mats Hummels, die Bender-Zwillinge oder Sie zusammengetan haben. Wie ist es überhaupt zustande gekommen?
Es gab ein virtuelles Meeting mit dem DFB und der DFL, an dem viele Spieler teilgenommen haben, wo uns das erste medizinische Konzept erklärt wurde, um den Spielbetrieb wieder aufnehmen zu können. Das war zwar ein gutes Gespräch, aber wir haben dabei auch gemerkt, dass offensichtlich zu keinem Zeitpunkt daran gedacht worden war, Aktive einzubinden.
Sie kamen sich also vor wie Schulkinder, denen der Lehrer einen Hausaufgabenzettel gegeben hat.
Wir haben schon verstanden, dass es schnell gehen musste. Aber wenn wir zwei Wochen früher eingebunden worden wären, hätten wir Punkte einbringen können, die allen geholfen hätten.
„Steckst du dich an und weißt nicht, ob es Spätfolgen für die Karriere gibt?“
An welche denken Sie dabei?
Anfangs war es uns zwischen den eng getakteten Spielen nicht möglich, alle Regenerationsmaßnahmen zu benutzen.
In die Eistonne zu steigen oder in die Sauna zu gehen?
Genau. Das mag banal klingen, für Profis mit so einem Spielkalender ist so was aber essentiell. Uns haben schließlich ganz elementare Fragen beschäftigt: Belastet man sich über und verletzt sich möglicherweise schwer, was Auswirkungen auf die Karriere hat? Oder steckst du dich an und weißt nicht, ob es Spätfolgen für die Karriere gibt?
Insgesamt war die Unsicherheit also groß, ob Sie den Sport, wie Sie ihn vorher ausgeübt hatten, noch weiter ausüben können?
Das ist ja immer noch nicht völlig klar. Aber wir wissen zumindest, dass es generell weitergehen kann.
Wobei zuletzt die Infektionszahlen im Profifußball nach oben gingen.
Ja, und es ist relativ neu, dass sich die Fälle innerhalb der Teams häufen. Aber da bildet sich ab, was in der Gesellschaft passiert ist. Es zeigt mir aber auch, dass das DFL-Hygienekonzept funktioniert, man einzelne Spieler separieren kann, die infiziert sind. Dadurch ist nicht immer die ganze Mannschaft betroffen.
Ist die Corona-Infektion der neue Muskelfaserriss?
Klingt lustig, aber man kann es nicht vergleichen, weil es keine Sportverletzung ist. Es ist eine Krankheit, und man verliert für zwei Wochen seine Spielberechtigung, wenn man sie hat.
Nach den ersten Gesprächen mit der DFL im Frühjahr, wollte das Spielerbündnis fortan mit am Tisch sitzen?
Ja, denn uns war klar, dass Spieler Teil eines Dialogs sein müssen. DFL-Geschäfts- führer Christian Seifert hat sich zuletzt auch regelmäßig Zeit für uns genommen. Er erkennt den Bedarf an, diejenigen einzubinden, die Woche für Woche über den Rasen pflügen. Wobei da noch Luft nach oben ist!
Das Bündnis hat sich die Begriffe Solidarität, Transparenz und Mitbestimmung auf die Fahnen geschrieben. Aber ist Solidarität unter Fußballprofis nicht eher schwach ausgeprägt?
Das würde ich nicht generell so sagen, sonst würde es das Spielerbündnis nicht geben. Mitbestimmung ist der Ausgangspunkt, weil wir zunächst nicht in Prozesse eingebunden waren. Und es soll transparent sein, warum etwas wie entschieden wird, dann gibt es auch größere Akzeptanz für die Entscheidungen.
Das neue Spielerbündnis ist keine Organisation. Es gibt keine Mitgliedschaft, keine Wahlen, keinen Vorsitzenden, kein Mandat. Es gibt nicht einmal eine Website.
Das braucht es alles nicht. Das ist ein lockerer Zusammenschluss von Spielerinnen und Spielern, ein Netzwerk, in dem man sich gelegentlich untereinander austauscht.
„Schade, dass wir den Austausch mit den Spielerinnen nicht schon in den letzten Jahren hatten“
Wird es denn mehr werden?
Das kann ich jetzt noch nicht abschätzen. Aber ich glaube schon, dass das Netzwerk und die VdV ihre Kräfte bündeln müssen. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.
Wo war die Spielergewerkschaft VdV eigentlich die ganze Zeit?
Sie saß von Beginn an mit am Tisch.
Vertreten durch Sie?
Nicht nur durch mich. Die VdV hatte dafür gesorgt, dass es besagtes erstes Gespräch von DFL und DFB mit den Spielern überhaupt gab.
Sie hat es in Deutschland nicht geschafft, namhafte Spieler an sich zu binden, während
etwa in Italien mit Giorgio Chiellini der Kapitän der Nationalmannschaft vorangeht. Wo sind die deutschen Nationalspieler?
Ich kenne die Mitgliederliste der VdV nicht, vielleicht sind sie ja dabei.
Aber man hört sie nicht.
Warum das so ist, dürfen Sie mich nicht fragen. Ich stelle gerade aber fest, dass ein Bedarf vor allem am Austausch der Aktiven untereinander besteht. Übrigens nicht zuletzt zwischen Spielerinnen und Spielern, den es vorher überhaupt nicht gegeben hat. Ich habe in der letzten Zeit häufig nach Videomeetings mit Nationalspielerinnen gedacht: Schade, dass wir das in den letzten Jahren nicht schon hatten. Dieser Austausch steht für mich im Moment sogar über allem.
„Für mich ist die Task Force ein Testballon“
Was finden Sie daran so wichtig?
Es ist teilweise erschreckend, wie wenig deutlich wird, dass die Frauen auf absolutem Weltniveau spielen. Es gab zum Beispiel Spielerinnen, die als Polizistinnen beschäftigt sind und sich aufgrund von Corona entscheiden mussten, ob sie Fußball spielen oder ihren Beruf ausüben wollten. Wenn du als Beamtin im Dienst bist, kannst du dich nämlich nicht gleichzeitig von deiner Umwelt abschließen, um Infektionen zu verhindern. Und noch einmal: Wir reden hier von Sportlerinnen auf Weltniveau. In solchen Situationen merkt man schon, dass die Bundesliga der Männer ihre eigene Blase ist.
Sie sind Mitglied der DFL-Task Force zur Zukunft des Fußballs, die sich im Oktober, November und Dezember traf bzw. trifft. Was wollen Sie da erreichen?
Um mich persönlich und meine Ansichten geht es nicht. Robin Himmelmann vom FC St. Pauli und ich sind dort als Repräsentanten der Spieler, um das Gesamtbild der Ansichten der Aktiven in die Diskussion einzubringen. Für mich ist die Task Force auch ein Testballon, inwiefern die Integration von Spielerinnen und Spielern in solche Gremien sinnvoll und zielführend ist. Aber wir haben beim ersten Treffen ausgemacht, dass wir uns bis zum Ende nicht dazu äußern werden.
Die Bundesliga erlöst durch die Einnahmen im Stadion eine halbe Milliarde Euro, die in dieser Saison vermutlich zu großen Teilen fehlen wird. Die Bezahlung der Spieler macht ungefähr 1,5 Milliarden aus, das sind ein Drittel der Kosten. Wird es auch angesichts erneuter Geisterspiele um einen möglichen Gehaltsverzicht gehen?
Ich kann nicht einschätzen, ob es Thema der Diskussion sein wird. Im Prinzip entscheidet das eigentlich jeder Verein für sich, alle suchen eigene Lösungen.
Aber ist es auf der anderen Seite nicht ein ligaweites Problem, das ligaweit gelöst werden könnte?
Wenn die DFL das mit ihren Mitgliedervereinen diskutiert, würde ich es begrüßen. Man müsste natürlich erst einmal sehen, ob das sinnvoll ist, aber darüber zu sprechen, wäre es sicherlich.
Gibt es eigentlich am Verhältnis zwischen Fans und Profifußballern etwas zu verbessern?
Da sind wir wieder beim Thema Dialog. Den gibt es fast überall in der Bundesliga, wenn Mitglieder des Mannschaftsrats sich etwa mit Vertretern von Fan-Organisationen treffen. Das ist gut so. Es lohnt sich aber auch sonst immer, miteinander zu reden, gerade wenn nach einem schlechten Spiel die Emotionen hochkochen. Geht man dann zum Zaun …
… müssen Sie sich anhören, was für ein Depp Sie sind?
Nein, eben nicht. Da stehen dann zwei erwachsene Menschen, die Fußball lieben, und sind sich komplett darin einig, wie kacke gerade alles ist. Auch von so etwas lebt der Fußball.