Zum siebten Mal verleihen wir die „11“ an die Besten der Saison. In diesem Jahr hatte es die Jury unter Jogi Löw besonders schwer. Hier sind die Gewinner!
Eine kompetente 30-köpfige Jury hat über die Akteure der abgelaufenen Spielzeit 2016/17 abgestimmt. Am 14. juli 2017 ehren wir die Sieger im Rahmen der 11FREUNDE MEISTERFEIER zum ersten mal in Köln mit dem Preis „11“.
Auf den folgenden Seiten gibt es alle Gewinner und die warmen Worte der 11FREUNDE Redaktion.
1. Robert Lewandowski – 45 Punkte
2. Pierre-Emerick Aubameyang – 36 Punkte
3. Philipp Lahm – 34 Punkte
Ein Arzt riet ihm vom Fußball ab. Der Junge aus Warschau hörte nicht auf ihn und ist heute ein Weltklassestürmer
Früher, als Kind, war Robert Lewandowski dünn. So dünn, dass Peter Crouch neben ihm wie ein Sumoringer ausgesehen hätte. Auch später, als Jugendlicher, wirkte er nicht unbedingt wie einer, der eines Tages Real Madrid mit vier Toren aus dem Stadion schießen würde. Seine Mitspieler nannten ihn „Bobek“, was so viel wie „Kleiner“ bedeutet. Er selbst sagt: „Ich hatte damals Beine wie Fahrradschläuche.“ Vermutlich wäre seine Karriere sogar recht schnell vorbei gewesen, wenn er als 17-Jähriger auf den Vereinsarzt von Legia Warschau gehört hätte. Der befand nämlich, dass Lewandowskis Körper nicht für den Profifußball gemacht sei. Aber der junge Stürmer ignorierte den Rat des Docs – und traf auch danach eine Menge richtiger Entscheidungen. Einige waren pragmatischer Natur, andere auch das Resultat von Zufällen. Wie etwa die Episode aus dem Jahr 2010. Lewandowski war bei Lech Posen zu einem der besten Stürmer der polnischen Ekstraklasa geworden, und regelmäßig saßen Scouts von Premier-League-Klubs auf den Tribünen. Als heißester Kandidat galten die Blackburn Rovers. Doch just an dem Tag, als der junge Pole zu Vertragsgesprächen nach England fliegen wollte, brach der isländische Vulkan Eyjafjallajökull aus und legte den Flugverkehr über Europa lahm. Jürgen Klopp und Michael Zorc reagierten blitzschnell und luden Lewandowski nach Dortmund ein. Später erinnerte sich der Angreifer: „Hat diese Entscheidung mein Leben verändert? Ja. Vielleicht!“ Der Rest ist eine Fußball-Blockbuster-Serie voller Rekorde und Haste-nicht-gesehen-Spiele. Die Geschichte eines Stürmers, der fünf Tore in acht Minuten und 59 Sekunden schoss. Der zweimal Bundesliga-Torschützenkönig wurde. Der fünfmal die Deutsche Meisterschaft und zweimal den DFB-Pokal gewann. Der alleine für die Bayern 110 Tore in 147 Spielen erzielt hat. In der abgelaufenen Saison musste er sich im Kampf um die Torjägerkanone zwar Pierre-Emerick Aubameyang geschlagen geben, trotzdem schoss Lewandowski erneut 30 Tore. Wettbewerbsübergreifend machte er 43, was einen Schnitt von 0,94 Treffern pro Spiel bedeutet. Zum Vergleich: Cristiano Ronaldo kam diese Saison nur auf 0,86 Tore. Was also fehlt ihm noch zum Titel Weltfußballer des Jahres? Vielleicht der Champions-League-Pokal. Vielleicht auch die Show auf dem Platz. Denn Lewandowski ist zwar ein kompletter Stürmer, der spektakuläre Dinge tut – Seitfallziehertore von der Strafraumgrenze! –, trotzdem kommt sein Spiel ohne Bohei aus. Und daher wirkt der 28-Jährige mit dieser angenehm uneitlen Art manchmal wie ein Gegenentwurf zum modernen Fußball, wo Spieler vor Freistößen posieren wie John Wayne und die Black Eyed Peas vor dem Champions-League-Finale Aerobic tanzen. So oder so: Man kann heute mit Fug und Recht der ärztlichen Diagnose von einst widersprechen. Und man darf Blackburn bemitleiden, die im Sommer in die dritte Liga abgestiegen sind.
1. Ewald Lienen – 53 Punkte
2. Marco Russ – 47 Punkte
3. Fritz von Thurn und Taxis – 28 Punkte
Bei St.Pauli zeigte er, was ihn ausmacht: harte Arbeit und der Blick über den Tellerand
Wie Ewald Lienen tickt, lässt sich mit einer Anekdote erklären. 2011 reisten wir nach Bielefeld, um über den DSC Arminia zu schreiben. Lienen hatte den strauchelnden Zweitligisten in aussichtsloser Mission übernommen, es gab viel zu bereden. Irgendwann kam das Gespräch zufällig auf Mönchengladbach, wo Lienen einst die erfolgreichsten Zeiten seiner Spielerkarriere verbracht hatte. „Mönchengladbach“, sinnierte er. „jetzt muss ich dir mal was über Mönchengladbach erzählen.“ Es folgte ein halbstündiger Vortrag über die „Beamtenstadt“ und was eine jahrzehntelange CDU-Regierung mit ihr gemacht habe. Die Zeit verrann … die schöne Bielefeld-Story. Aber egal: Denn exakt so ist Ewald Lienen. Ein im sympathischen Sinne verschrobener Freigeist, der den Fußball liebt, aber nach seiner davon unabhängigen Agenda lebt und das große Ganze, sprich: die gesellschaftlichen Zusammenhänge, nie aus den Augen verliert. Genau so ist er auch seine Aufgabe beim FC St. Pauli angegangen und wirkte im Abstiegskampf fast noch souveräner als zuvor am anderen Ende der Tabelle. Dafür, ihn in heikler Lage nicht entlassen zu haben, gebührt auch dem Klub ein Preis. Mit Platz sieben haben beide die verdiente
Belohnung bekommen.
1. Jörg Schmadtke – 51 Punkte
2. Ralf Rangnick – 39 Punkte
3. Saier & Hartenbach – 32 Punkte
Kölns Sportdirektor ist der Mann mit der Zwangsjacke. Er therapiert die harten Fälle
Wie bekloppt muss einer sein, der sich ständig der bekloppten Fälle annimmt? Der Werdegang des Managers Jörg Schmadtke liest sich, als therapiere der Mann zwanghaft neurotische Traditionsklubs: In Aachen bekam er es erst mit dem Gerichtsvollzieher zu tun, dann hievte er den Klub vom Tivoli mit Jungstars wie Ibisevic und Schlaudraff ins internationale Geschäft. In Hannover ertrug er kühl lächelnd die Hitze im Fegefeuer der Eitelkeiten zwischen Präsident Kind und Coach Slomka und machte den Abstiegskandidaten zum Europa-League-Teilnehmer, indem er gegen den Willen des Trainers No-Names wie Lars Stindl holte. Sein Meisterstück gelang ihm beim 1. FC Köln. Mit ruhiger Hand navigierte er den Fahrstuhlklub aus der Krise, befriedete das Umfeld und zimmerte behutsam ein Team, das nach graumäusigen Jahrzehnten wieder Sternenstaub umgibt: Anthony Modeste, Timo Horn, Jonas Hector sind Exponenten des neuen FC-Geföhls, für das der 53-Jährige verantwortlich zeichnet. Und das bewirkt hat, dass der Klub nach 25 Jahren wieder international spielt. In Hamburg indes fragen sie sich, wo der HSV wohl stünde, wenn sich der Aufsichtsrat 2013 nicht gegen Schmadtkes Verpflichtung entschieden hätte.
1. Julian Nagelsmann – 62 Punkte
2. Christian Streich – 50 Punkte
3. Ralph Hasenhüttl – 40 Punkte
Das Team um Julian Nagelsmann fand in dieser Saison fast immer den richtigen Matchplan. Und das ist natürlich kein Zufall
Vor gut einem Jahrzehnt, als Jürgen Klinsmann die deutsche Nationalelf übernahm, begann ein neues Wort in den Sprachgebrauch des Fußballs einzusickern: Trainerteam. Denn für eine Mannschaft waren nämlich nicht mehr allein große Zampanos an der Seitenlinie verantwortlich – bestenfalls assistiert von braven Helferlein –, sondern ein Team selbstbewusster Spezialisten. Dieses sorgte sich um die Fitness, versuchte die Spieler einzeln weiterzubringen und Mannschaften insgesamt, es analysierte die Spielweise des Gegners und entwickelte die eigene. So gehört es heute zu den wesentlichen Aufgaben eines Cheftrainers, die Vielzahl der Bemühungen zu bündeln und ihnen eine Richtung zu geben. Aus diesem Grund, und nicht zuletzt auch deshalb, weil uns vorherige Preisträger wie Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp vehement darauf hingewiesen haben, lassen wir ab sofort nicht mehr den „Trainer der Saison“ wählen, sondern das „Trainerteam der Saison“. Julian Nagelsmann ist für diese Premiere fast schon der ideale Preisträger, denn der immer noch nicht 30-Jährige ist in eine Fußballwelt hineingeboren worden, in der er stets Teil von Trainerteams gewesen ist. Ob ganz zu Beginn als Scout für den damaligen Jugendtrainer Thomas Tuchel oder in verschiedenen Funktionen bei den Nachwuchsmannschaften in Hoffenheim. Wer Nagelsmann heute bei den Profis auf dem Trainingsplatz erlebt und bei der täglichen Arbeit drum herum, merkt sofort, dass er seinen Mitarbeitern aus der tiefen Überzeugung Raum gibt, dass es nur so richtig ist. Er verlässt sich auf Matthias Kaltenbach, mit dem Nagelsmann schon in der Jugend arbeitete, und auf den Holländer Alfred Schreuder, der mit Huub Stevens gekommen war. Michael Rechner entwickelt für ihn erfolgreich die Torhüter weiter, und Benjamin Glück steht zwar nicht auf dem Trainingsplatz, aber seine Analysen sind zentral für die Erfolge der Mannschaft. In Hoffenheim haben sich diese Kräfte zur erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte verbunden, die den Klub bis in die Qualifikation zur Champions League führte. Doch nicht nur das allein ist bemerkenswert, wichtig ist auch: Die Mannschaft hat einen Fußball gespielt, dessen offensiv-positive Ausrichtung zu den nicht eben vielen erfreulichen Erscheinungen der letzten Saison gehört hat. Dem zugrunde liegt ein systematisches, fast baukastenartiges Verständnis von Fußball, zu dem Nagelsmann 31 Grundregeln fürs Verhalten auf dem Platz entwickelt hat. Auf dieser Basis entwickelt das Trainerteam von Spiel zu Spiel unterschiedliche Matchpläne. Diese gibt es stets in einer „Sicherheitsvariante“ und einer „Risikovariante“. Welche gewählt wird, entscheidet letztlich der Cheftrainer. Und weil Nagelsmann zum Glück jung und optimistisch ist, hat er sich oft genug für die riskante Version entschieden und das Publikum so mit manchem Spektakel belohnt. Und im Moment spricht zum Glück nichts dagegen, dass das in Zukunft so weitergeht.
Das Team:
- Julian Nagelsmann (Cheftrainer)
- Matthias Kaltenbach (Co-Trainer)
- Benjamin Glück (Analyst)
- Michael Rechner (Torwarttrainer)
- Alfred Schreuder (Co-Trainer)
1. Ousmane Dembélé – 77 Punkte
2. Kai Havertz – 33 Punkte
3. Serge Gnabry – 30 Punkte
Der französische Stürmer sollte behutsam an die erste Elf herangeführt werden. Das hat zum Glück nicht geklappt
Ich war im Stadion, als der 17-jährige Eike Immel in seinem ersten Ligaspiel die Stürmer des FC Bayern zur Verzweiflung brachte. Ich war im Stadion, als Daniel Simmes zwei Monate nach seinem 18. Geburtstag ein Solo über 70 Meter hinlegte, sieben Leverkusener ausspielte und das Tor des Jahres erzielte. Ich war auch im Stadion, als der 18-jährige Lars Ricken in der 118. Minute La Coruña aus dem UEFA-Cup schoss. Aber die vielleicht verblüffendste Leistung eines Teenagers im Trikot von Borussia Dortmund habe ich nur aus der Ferne bestaunt. Das war am 26. April 2017, beim Pokalhalbfinale in München. Eine Stunde lang tat Ousmane Dembélé alles, um Dortmunds Fans in den Wahnsinn zu treiben. Er dribbelte, wenn er schießen musste. Er schoss, wenn er dribbeln musste. Er spielte selbstmörderische Fehlpässe und holte sich eine dumme Gelbe Karte ab. Es war nicht das erste Mal in der Saison, dass Dembélé bei fast jeder Aktion die falsche Entscheidung traf. Bisher hatte sich die Geduld seines Trainers meistens ausbezahlt: Am Ende gelang dem jungen Franzosen dann doch ein Geniestreich, ein frecher Haken oder ein perfektes Zuspiel, die zu einem Tor führten. Doch dies war ein K.o.-Spiel gegen die beste Mannschaft des Landes, und der BVB lag zurück. Es war nicht der Ort und nicht die Zeit, um öffentlich Nachsicht mit einem 19-Jährigen zu demonstrieren. Um 22.06 Uhr verschickte ich eine WhatsApp-Nachricht mit dem Text: „Dembélé braucht eine Pause.“ Um 22.11 Uhr bereitete er das 2:2 mit einer Flanke vor, die weicher als ein Babypopo war. Um 22.16 Uhr ließ er David Alaba aussteigen, schlenzte den Ball in den Winkel und brachte den BVB ins Finale. Wo ich so darüber nachdenke: Die Pause kann er sich auch jetzt im Sommer nehmen.
1. Manuel Gräfe – 37 Punkte
2. Dr. Felix Brych – 36 Punkte
3. Deniz Aytekin – 36 Punkte
Der Lange aus dem Wedding weiß um die hohe Kunst der Schiedsrichterei
1,96 Meter Körperlänge allein sind noch kein Ausdruck von Größe, außer man weiß sie auch einzusetzen. Bei Manuel Gräfe ist das so, er bringt auf dem Platz lässig jeden Zentimeter zum Einsatz, und das ermöglicht es ihm, die hohe Kunst der Schiedsrichterei zu pflegen. Die besteht nämlich darin, das Spiel laufenzulassen. Dazu bedarf es echter Autorität, weil Spieler so was gerne als Freifahrschein zum Regelbruch interpretieren. Aber mit solchen Zwergenaufständen soll mal einer dem Langen aus Berlin kommen, der auf den Straßen des Wedding aufgewachsen ist. Da, wo es etwas härter zugeht, woher Kevin-Prince Boateng stammt und wo Gräfe bei Rapide Wedding in der Jugend zusammen mit Robert Kovac gespielt hat, dem heutigen Co-Trainer von Eintracht Frankfurt. Manuel Gräfe hält was aus, weshalb er inzwischen besonders gerne da eingesetzt wird, wo die Luft brennt und der Druck richtig hoch ist. Etwa am letzten Spieltag, Hamburger SV gegen Wolfsburg. Ausgerechnet der HSV, den er angeblich in der Relegation zwei Jahre zuvor bevorteilt hatte. Alle jaulten auf, und hinterher war von allem Möglichen die Rede, nur den Langen hatten alle übersehen, was natürlich das beste Kompliment überhaupt war.
Nirgendwo sonst werden auswärtige Fans so nett empfangen wie in Augsburg
Manche Ideen fruchten auch Jahrzehnte später noch. Als The Clash 1979 ihren Song „London Calling“ herausbrachten, schufen sie damit das Motto, unter dem im Jahr 2017 noch Gladbacher, Schalker oder Berliner zusammen mit Augsburger Fans feiern. „Die Kids in England von rechts und links haben damals Kleinkriege untereinander geführt. Der Song war ein Aufruf, den Schmarrn bleiben zu lassen“, erzählt Gerhard Seckler, der seit seinen Punkauftritten damals noch immer der „General“ gerufen wird. Seckler ist seit Kindesbeinen glühender Fan des FC Augsburg, war jedoch einmal kurz davor, dem Stadion endgültig den Rücken zu kehren. Beim ersten Auswärtssieg in Unterhaching vor mehr als einer Dekade sah er, wie eine Gruppe Fans selbst Kinder der unterlegenen Hachinger bepöbelte. Seckler rief daraufhin das Projekt „Augsburg Calling“ ins Leben und lud die Fans der Gästemannschaft zu Konzerten, Stadtführungen und Frühschoppen ein. Für die Organisation ging er zunächst mit eigenem Geld ins finanzielle Risiko, bis die Stadt ihn unterstützte. Nun werden seit zehn Jahren die Auswärtsfans mit einer großen Party begrüßt – viele von ihnen revanchieren sich beim Rückspiel mit dem sogenannten „Re-Call“.