Kevin Kühnert saß im Aufsichtsrat von TeBe, ist gebürtiger Berliner, Bundesvorsitzender der Jusos und trotzdem Fan von Bayern München. Warum das allerdings immer weniger Spaß, was Hertha falsch macht und wieso der Fall von Clemens Tönnies beschämend ist.
Sie sind Berliner. Die Hertha – der Gegner des FC Bayern München beim Bundesliga-Auftakt – war für Sie nie ein Thema?
Nein. Und ich bin da ja nicht alleine. Berlin ist eine Weltstadt und hat damit eigentlich auch in puncto Fußball ein riesige Potenzial. Und trotzdem schafft es Hertha nur zweimal in der Saison, das Olympia-Stadion voll zu bekommen. Das Problem ist, dass Berlin so vielfältig ist. Bei Hertha hat man immer wieder versucht, sich auf Biegen und Brechen als Verein der ganzen Stadt zu präsentieren. Aber das klappt hier einfach nicht und wirkt beliebig.
Und was ist mit dem 1. FC Union Berlin, der neue Underdog im deutschen Fußball-Oberhaus?
Als Fan von Tennis Borussia Berlin verbinde ich schmerzhafte Erfahrungen mit dem 1. FC Union Berlin. Das war zu Oberligazeiten und damit deutlich bevor eine breite Öffentlichkeit sich für den Club interessiert hat. Was da abgelaufen ist, war nicht immer schön. Es gab mitunter auch körperliche Angriffe. Die Verantwortlichen des Vereins haben im Marketing in der Zwischenzeit einiges richtig gemacht. Man hat sich ein Image aufgebaut, das manche Probleme überdeckt. Union profitiert dabei auch von der Profillosigkeit anderer Klubs. Aber sie sind sicher nicht der FC St. Pauli des Ostens, wie man immer wieder hört. Das wollen sie meines Erachtens nach auch selbst gar nicht sein.
Viele Fans schimpfen über die Millionen-Gehältern und den alljährlichen Transferwahnsinn, kommen aber von der Droge Bundesliga und Champions League dennoch nicht los. Warum?
Ich denke, das ist ein schleichender Gewöhnungsprozess. Manchmal muss man sich tatsächlich kneifen und fragen, ist das alles real? Ich selbst hatte früher viel mit Amateurfußball zu tun, war vier Jahre Aufsichtsrat bei Tennis Borussia. Mich hat die Gemeinschaftsleistung fasziniert, die hinter so einem Verein steckt. Alle packen an. Angefangen von den Trainern über die vielen Ehrenamtlichen, die Fans, aber auch die Gewerbetreibenden vor Ort, die als Sponsoren dabei sind. Im Profifußball ist immer mehr eine örtliche Trennung festzustellen, der lokale Bezug fehlt. Am augenfälligsten wird das in der Premier League mit den ausländischen Investoren als Klubeigentümer, die den Verein als eine Art Spielzeug ansehen. Das ist Erfolg von Gnaden eines Mächtigen. Insgesamt geht dabei das Gemeinschaftsgefühl und die damit verbundene Identifikation in vielen Vereinen mehr und mehr verloren.
Gibt es für Sie eine Schmerzgrenze, ab der für Sie Schluss ist mit den Stadionbesuchen?
Schwer zu sagen. Ich war kürzlich bei einem Spiel von Twente Enschede in der niederländischen Ehrendivision. Das war ja ganz nett. Aber dann hingen da so Schilder im Stadion, auf denen stand, was man alles nicht tun darf – und dazu zählte, vom Sitz aufzustehen. Wenn ich während eines Fußballspiels nicht mehr aufspringen darf, hört es bei mir auf. Das zählt zur Fan-Kultur, und die muss man ausleben dürfen.