Die bayrische Polizei sammelt seit Januar 2020 persönliche Daten von Fußballfans – ohne deren Wissen. Marco Noli, Mitglied der AG Fananwälte, erklärt, warum dieses Vorgehen nicht rechtens ist, welche Konsequenzen es für die Fans haben kann und was sie dagegen tun können.
Herr Noli, der „Kicker“ berichtet in einer Recherche von der Datei „EASy Gewalt und Sport“, einer Datenbank, in der die bayrische Polizei seit dem 24. Januar 2020 sensible Daten von Fußballfans in Bayern sammelt, 1644 Personen seien darin zum Stand des 15. Juni dieses Jahres bereits vermerkt worden. Welche Daten wurden nach jetzigem Kenntnisstand gesammelt?
Ich muss vorwegschicken, dass die Auskünfte zu der Datei bislang sehr spärlich ausfallen und wir daher noch nicht alles wissen. Die Datei wurde im Geheimen eingeführt und von der bayrischen Polizei so lange wie möglich im Verborgenen gehalten. Nur durch das Nachbohren eines Fans kam überhaupt heraus, dass diese Datei existiert. Der Fan wurde von der Polizei zunächst hingehalten und selbst als er gezielt nach der Datei fragte, hat er die Auskünfte nur sehr zögerlich und unvollständig erhalten, dazu waren sie inhaltlich mitunter widersprüchlich. Das ist nicht gerade transparent und bürgerfreundlich. Erst durch eine Landtagsanfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Staatsregierung einige Auskünfte zu der Datei erteilt, dabei aber viele Fragen ausweichend beantwortet. Das würde ich als Geheimniskrämerei bezeichnen.
Was wurde in den bisherigen Antworten denn preisgegeben?
Es wurde bestätigt, dass zu den eingetragenen Personen nicht nur verschiedene persönliche Daten und Lichtbilder gespeichert, sondern auch ihre Zugehörigkeiten zu einer Fangruppe und, zumindest bei einigen Fans, auch sämtliche Stadionbesuche erfasst werden. Außerdem soll auch die Speicherung von Orten und Adressen wie etwa der Arbeitsstätte, dem Wohnsitz der Eltern oder besuchter Lokale möglich sein. Die Daten stellen so Bewegungsprofile und Personagramme dar, die erheblich in das Privatleben der Personen eingreifen. Sie werden bei einer völlig legalen Tätigkeit, nämlich dem privaten Besuch eines Fussballstadions, erhoben. Es werden Mitgliederlisten von Fangruppen erstellt, obwohl diese Gruppen legal und nicht verboten sind, das ist unzulässig, das geht normalerweise nur bei schweren Terrorvorwürfen unter strengen rechtlichen Voraussetzungen. Es handelt sich daher um eine Form polizeilicher Beobachtung und Aufenthaltsüberwachung. Derartige Überwachungsmassnahmen erfordern eigentlich eine Anordnung durch einen Richter.
Marco Noli ist ein Fachanwalt für Strafrecht mit Sitz in München. Als Teil der AG Fananwälte vertritt er auch Fußballfans bei Rechtsfragen.
Warum sammelt das bayrische Landeskriminalamt diese Daten?
Laut der Auskunft der Staatsregierung sollen Fangruppen und deren Umfeld, und damit die gesamte Fangemeinde, überwacht werden, um Zusammenhänge zwischen den einzelnen Szenen herzustellen. Das passt zu den Überwachungsphantasien und dem polizeistaatlichen Denken der bayrischen Staatsregierung, das sie in immer weiteren Verschärfungen des Bayrischen Polizeiaufgabengesetztes (BayPAG) zum Ausdruck bringt. Darunter fällt zum Beispiel die Einführung einer Zuverlässigkeitsüberprüfung für bestimmte Personen, bevor sie ins Stadion dürfen, wobei der betroffene Personenkreis nicht klar definiert ist. Eine solche Überprüfung wird normalerweise nur im Rahmen hochsensibler Tätigkeiten durchgeführt, etwa beim Sicherheitspersonal bei einem Flughafen oder bei Waffenträgern. Die bayerische Staatsregierung möchte lieber chinesische Verhältnisse, als eine bürgerfreundliche und transparente Polizei.
„Fußballfans, auch wenn sie sich bislang nichts zu Schuld kommen ließen, werden so unter Generalverdacht gestellt.“
Laut des LKA können die Fans bereits auf Basis einer sogenannten „Individualprognose“ in die Datei aufgenommen werden. Was heißt das genau?
Das bedeutet, dass die Eintragungen lediglich aufgrund der subjektiven Einschätzung von Polizeibeamten erfolgen, diese Einschätzungen sind jedoch nicht nachprüfbar. Die Kriterien für die Eintragungen sind nicht klar definiert, jegliche Kontrolle fehlt, und daher sind willkürliche Entscheidung nicht auszuschließen. Außerdem ist ein effektiver Rechtsschutz dagegen gar nicht möglich, weil die Personen ja nicht einmal über den Eintrag in die Datei informiert werden. Betroffen sind deshalb eben nicht nur Personen, die sich strafbar gemacht haben, sondern auch welche, gegen die nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Fußballfans, auch wenn sie sich bislang nichts zu Schuld kommen ließen, werden so unter Generalverdacht gestellt.