Von Verletzungen gebeutelt setzt Dortmund-Trainer Jürgen Klopp seine Defensiv-Hoffnungen in Sokratis Papastathopoulos. Der Grieche hat sich ohnehin binnen Wochen zum Publikumsliebling gemausert. Auch weil er Sehnsüchte erfüllt, nach denen BVB-Fans seit jeher dürsten.
„Das Zimmer ist abgedunkelt und wir brüllen uns den ganzen Tag lang an. Schlafen können wir auch nicht, weil wir mit Schienbeinschonern und Stollenschuhen im Bett liegen und den anderen beäugen.“ Als Sven Bender vor Saisonbeginn über seinen neuen Zimmernachbarn im Sommer-Trainingslager feixte, schwang im Subtext auch ein gewisser Respekt mit. Dortmunds Patentinhaber zum Verbreiten von Angst und Schrecken schien schnell begriffen zu haben, dass sich in seinem Revier nun ein neuer Cowboy eingenistet hat. Ein Bruder im Geiste. Einer, der zum Grinsen erstmal die Kellertreppe runtergrätscht. Dessen Namen zudem komplizierter ist als ein 40.000-Teile-Puzzle einer Kohlenflöze: Sokratis Papastathopoulos – Dortmunds neue Ausgeburt der Drecksarbeit.
Würde 40-Tonner von der B1 tacklen
Und tatsächlich, wer Sokratis spielen sieht, erkennt schnell, dass er nicht zum Spaß auf dem Rasen ist. Seine Gesamterscheinung lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er jederzeit bereit wäre, einen 40-Tonner von der B1 zu tacklen: Sein Kreuz ist breiter als ein 50-Liter-Fass DAB, sein Blick so finster wie die Zukunftsaussichten einiger Fans auf der Dortmunder Südtribüne. So einen muss man im Ruhrgebiet qua Folklore einfach lieben. Jahrelang haben sie sich im Westfalenstadion am märchenhaft-schönen Spiel der Wunderkicker Götze, Reus, Sahin, Lewandowski und Gündogan berauscht, doch in Zeiten der Verletzungsseuche und reihenweise abwandernder Stars, beruft man sich mittlerweile auch hier wieder allzu gerne auf die Grundtugenden des Pottfußballs: Gras am Kinn und durch.
Eigentlich als Backup für das etatmäßige Innenverteidiger-Duo geholt, ist Sokratis nach der Verletzung von Neven Subotic derzeit kaum noch aus dem BVB-Spiel wegzudenken. Die Fans haben ihn ohnehin binnen weniger Wochen in ihr Herz geschlossen. „Papa“ rufen sie ihn respektvoll. Und ein bisschen klingt das immer auch so, als bräuchten sie endlich mal wieder einen, auf den sie sich verlassen wollen. Der vorneweg geht, egal, ob es wehtun wird. Der keine Lust auf Show und Glamour hat, sondern nur erfolgreich Fußball spielen will.
Es sind auch die kleinen Dinge, die ihn zum derzeit vielleicht beliebtesten Dortmunder machen. Während seine Kollegen bei ihrer Schuhwahl Woche für Woche um die extremste Ausreizung der Farbpalette kämpfen, trägt Sokratis schlicht schwarze Töppen. Und wenn er mal wieder in seinem Fiat 500 neben den Ferraris, Lamborghinis und Aston Martins seiner Kollegen einparkt, dann geht selbst den strengen Kiebitzen am Dortmunder Trainingsgelände das Kumeplherz auf. Sokratis steht für das Einfache. Er vermittelt das Gefühl, normal geblieben zu sein. So einen braucht man in einer Welt, in welcher der Klub wieder mit Millionensummen jongliert wie zu dunkelsten Niebaum-Tagen.
„Der unangenehmste Gegner der Welt“
Als Jürgen Klopp den Griechen vor der Saison für neun Millionen Euro Ablöse von Werder Bremen loseiste und zudem noch auf seinen Schultern einen öffentlichen Streit mit Bayer Leverkusen um Ehre und Moral in der Bundesliga austrug, unkten nicht wenige Experten, dass sich der BVB mit der Personalie Sokratis verzockt hatte. Der 24-Jährige, der einst vom AC Mailand in die Bundesliga wechselte, galt als technisch und spielerisch äußerst beschränkt, zudem fehlte ihm die Erfahrung auf der ganz großen Bühne. Er sei schlichtweg überteuert, hieß es.
Davon spricht heute niemand mehr. Sokratis kam bisher in 32 Saisonspielen zum Einsatz, dabei zeigte er sich am Ball erstaunlich geschmeidig, wirklich grobe Schnitzer überließ er seinem derzeitigen Innenverteidiger-Kollegen Mats Hummels.
Seine Mängel im Spielaufbau ackert er einfach mit doppeltem Einsatz weg. Seine Solidität ist seine vielleicht größte Stärke. Ein Gut, dass im modernen Fußball gerne unterschätzt wird. So etwas kann man nicht teuer genug bezahlen.
Heute Abend kann er dann endlich beweisen, ob er auch gegen die ganz Großen des Weltfußballs bestehen kann. „Im Bernabeu muss man Cojones haben“, sagte Jürgen Klopp und ergänzte: „Wir wollen der unangenehmste Gegner der Welt sein und mit Haut und Haaren verteidigen.“ Bei der Umsetzung dieses Arbeitsauftrags kann er sich zumindest auf Sokratis felsenfest verlassen.