Ein deutscher Fan reist 12.000 Kilometer nach Argentinien, um das Finale der Copa Libertadores live im Stadion zu erleben. Nach sieben Stunden auf der Tribüne wird ihm langsam klar: Er sieht heute kein Fußballspiel mehr, sondern den Tiefpunkt des argentinischen Fußballs.
Die Steine wurden aber auf den Mannschaftsbus wurden doch aber nicht von der Polizei geworfen.
Aber die Polizei hatte nur eine einzige Aufgabe. Da aus Sicherheitsgründen in Argentinien schon seit Jahren keine Gästefans in den Stadien zugelassen werden, kommt es im Umfeld des Stadions eher selten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen verschiedener Fanlager. Die einzige Aufgabe der Polizei war es also, den Mannschaftsbus der Gästemannschaft vom Hotel zum Stadion zu eskortieren. Und diese Aufgabe hat die Stadtpolizei von Buenos Aires an diesem Nachmittag nicht auf die Reihe bekommen.
Warum nicht?
Nicht nur, dass die Route im Vorfeld allen Fans bekannt war, sie führte zu allem Überfluss auch noch direkt an den Eingängen der River-Fanszene vorbei. Das ist so, als würde vor dem Revierderby bekannt werden, dass der Schalkebus an den Eingängen der Südtribüne vorbeifährt. Da würden sich bestimmt auch einige Fans bereit machen, den Bus unschön Willkommen zu heißen. Die Szenen an dem Nachmittag waren natürlich katastrophal, aber auch ein stückweit erwartbar. Und vor allem: vermeidbar. Noch am selben Tag wurden Konsequenzen gezogen und der Sicherheitsminister von Buenos Aires wurde entlassen.
Hier in Deutschland hat man danach von Straßenschlachten gelesen. Es wurde geschrieben, dass der Tag von Gewalt überschattet wurde. Wie haben Sie das vor Ort wahrgenommen?
Die Stimmung war angespannt, ohne Frage. Aber der Tag wurde meiner Meinung nach nicht von Gewalt überschattet. Wobei: Die Polizei hat mal wieder – das ist in Argentinien leider üblich – bei der ersten Gelegenheit mit Gummigeschossen auf Fans gefeuert. Was ich später in den europäischen Medien von einem „rechtsfreien Raum“ gelesen habe, kann ich überhaupt nicht bestätigen. Die Attacke auf den Bus war natürlich scheußlich, aber die Situation in der Stadt war danach durchgängig unter Kontrolle.
Was sind die Folgen für den südamerikanischen Fußball?
Was die zukünftige Vermarktung angeht, ist das für den Conmebol, den Verband, ein Desaster. Es war das erste Mal überhaupt, dass die Fußballwelt auf Vereinsfußball außerhalb Europas geguckt hat. Noch nie lag der Fokus so stark auf zwei argentinischen Mannschaften. Und ausgerechnet jetzt passiert so eine Katastrophe. Es war die große Chance, den argentinischen Vereinsfußball in der restlichen Welt mehr zu etablieren. Jetzt werden sich die großen europäischen Sender in Zukunft zweimal überlegen, ob sie sich die Rechte für so ein Spiel kaufen. Für die Wahrnehmung des argentinischen Fußballs im Ausland ist das der absolute Tiefpunkt.
Argentinien will sich zusammen mit Uruguay und Paraguay für die Weltmeisterschaft 2030 bewerben. Könnte dieses Desaster Auswirkungen auf die Bewerbung haben?
Das ist das vielleicht noch größere Problem. Der argentinische Staatspräsident Mauricio Macri hat für das Finale den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino nach Buenos Aires eingeladen. Das Spiel hatte eine maximale Ausstrahlungskraft auf das Land und damit auch auf Macri. Er wollte die Gunst der Stunde nutzen und der FIFA zeigen, dass Argentinien sehr wohl große Spiele austragen kann. Das ging natürlich nach hinten los. Infantino war nach der Spielabsage außer sich. Er hat angeblich versucht, durch Strafandrohung das Spiel am Sonntag durchzusetzen. Er ist schließlich nur für das Spiel über den Atlantik geflogen. Aber ohne Erfolg. Die Copa Libertadores ist eine Angelegenheit des Conmebols, da hat die FIFA keine Entscheidungsgewalt. Dass das Spiel überhaupt verlegt werden musste, könnte aber für die Bewerbung auf die Austragung der WM 2030 üble Folgen haben.
Wie geht es jetzt weiter? Können sich die Fans nach dem vergangenen Wochenende überhaupt noch auf die Neuansetzung freuen?
Ich denke schon. Ich will auf jeden Fall, dass sie spielen. Meine Eintrittskarte lacht mich immer noch an und möchte eingesetzt werden. Aber wenn man in Argentinien lebt, gewöhnt man sich daran, nicht nur von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde zu denken. Vorgestern gab es eine Pressekonferenz im nationalen Fernsehen, in der alle Fragen geklärt werden sollten. Seitdem haben sich die Informationen schon oft wieder geändert. Der Boca-Präsident sagte, dass seine Mannschaft auf keinen Fall noch mal auflaufen wird. Er will, dass das Finale am grünen Tisch entschieden wird. Man muss aber abwarten, ob er das wirklich durchzieht. Momentan ist geplant, dass das Spiel am 8. oder 9. Dezember irgendwo im Ausland stattfinden soll. Nicht mal das genaue Datum oder der Austragungsort steht fest. Viele Fans würden sich bestimmt freuen, wenn die Conmebol das demnächst mal festlegen könnte. „Stand jetzt“ soll das Spiel ausgetragen werden. Aber das heißt bekanntlich gar nichts im Fußball. Und schon gar nicht in Argentinien.