Zwischen Profitum und Provinz: Die Regionalliga ist die absurdeste Spielklasse Deutschlands. Viele Vereine wollen nicht rein, andere kommen nicht raus
Die Bauern am Niederrhein bringen mit ihren Traktoren das Heu ein. Neben einem Feld befindet sich der Eingang zum Waldstadion. Er sieht aus wie der eines alten Freibads. Dahinter stehen viele Menschen in gelben Westen, aus den Boxen dröhnt „My Heart Is a Ghost Town“, und ein Werbespot für einen lokalen Reifenservice verspricht: „Wir haben Gummis in allen Größen.“ Es ist der einzige Werbespot, er läuft an diesem Samstagnachmittag dann auch zweimal.
Willkommen in Deutschlands vierthöchster Spielklasse, der Regionalliga, Staffel West. Hier spielt der FC Wegberg-Beeck gegen den SV Rödinghausen. Doch was nach Provinz klingt und nach Provinz aussieht, unterliegt längst den Regeln des durchorganisierten Profibetriebs. Die Regionalliga sei die „Champions League der Amateurklasse“, so nennen sie das vollmundig innerhalb des Fußballverbandes. Wer bei den Großen mitspielen möchte, muss strenge Verbandsauflagen erfüllen. In Wegberg-Beeck mutet das kurios an.
Stahlkäfige und T‑Rex-Tattoos
Der Klub ist neu in der legendären Regionalliga West. Nach dem Jubel über den Aufstieg kam es zu Erosionen qua Dekret. Wer nicht bei drei auf den Bäumen war, wurde hier zuletzt zum Ordner umgeschult, die gelben Westen sind fabrikneu. Und es gibt jetzt auch Balljungen. Schon im letzten Sommer wurde vorsorglich ein Erdhügel abgetragen, der zuvor als Tribüne gedient hatte. Wenn die gefürchteten RWE-Fans in dieser Saison vorbeikommen, wartet jetzt ein grundsolider Stahlkäfig auf sie, wie es der Verband verlangt. In dieser Saison spielt der Dorfklub ganz offiziell gegen Traditionsvereine wie Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen oder Rot-Weiß Oberhausen. Es ist eine wirklich merkwürdige Gesellschaft, die sich hier zum Kräftemessen zusammengefunden hat.
630 Zuschauer sind zur Premiere ins Waldstadion gekommen, die Fans wohnen alle selbst im Dorf, beim Bäcker gab es zuletzt kein anderes Thema. Einer mit Bart sieht aus wie der Sänger der Höhner, ein anderer trägt ein Tattoo von Mark Bolan/T‑Rex auf der Wade – die Exotik der Provinz in allen Facetten. Die Tribüne hat fünf Sitzreihen und ist neuerdings mit WLAN ausgestattet. Ja, und hinter den Toren, wo die wilden Blumen wachsen, gibt es natürlich auch noch die Erdhügel-Stehränge. Das Geräusch dazu ist: Stille. Sie stehen schweigend hinter der Bande. Dann läuft zum zweiten Mal: „My Heart Is a Ghost Town“.
Sicherheitsauflagen sind das Problem
Nicht weit von den kleinen Containern, in denen sich die Gastmannschaft umziehen muss, steht der moderne Mannschaftsbus des SV Rödinghausen, großflächig mit dem Wappen versehen. „Das ist ein anderes Kaliber, die haben einen richtigen Sponsor“, sagt einer der angelernten Ordner, der sonst in der zweiten Mannschaft spielt. Der potente Gast ist tags zuvor angereist, geht nach 31 Sekunden in Führung und gewinnt am Ende locker mit 5:0. Bei der Pressekonferenz im improvisierten VIP-Zelt mit ziemlich wuchtiger Holztheke sitzen die Ordner ganz vorne, direkt neben dem WDR-Kamerateam. Ein paar Meckerrentner stehen am Plastik-Biertisch. Sie scherzen: „Können uns ja auch an den Pressetisch setzen.“ – „‚Bild‘-Zeitung ist auch da!“ – „Und die ‚St. Pauli-Nachrichten‘.“
Günter Stroinski ist Inhaber einer Firma für Schließsysteme und seit über 25 Jahren Sponsor des FC Wegberg-Beeck. Er hat ihnen das Waldstadion gebaut. Stroinski sagt: „Die Sicherheitsauflagen sind das größte Problem. Jeder kleine Verein muss wissen, worauf er sich einlässt. Die Regionalliga ist definitiv ein Minusgeschäft.“ Der Gästekäfig kostete alleine einen mittleren fünfstelligen Betrag. Zum Vergleich: Der Mannschaftsetat ist im unteren sechsstelligen Bereich angesiedelt. „Bei uns verdient kein Spieler vierstellig. Und die Ordner bekommen zwei Wertmarken pro Spiel.“
Eine Liga wie eine Falle
In Wegberg-Beeck merkt man, dass in dieser Spielklasse ganz viele Sachen irgendwie nicht zusammenpassen. Ordner, Polizeibericht, VIP-Zelt, überdachte Tribünen – diese Spielklasse ist eine Liga des außergewöhnlichen Reglements. So verkommt sie zu einer Art Falle, in die fast keiner reintappen will und aus der keiner so schnell rauskommt. Jedes Jahr lehnen etliche Meister der Oberligen den Aufstieg in die Regionalliga ab, weil sie die strengen Auflagen nicht erfüllen können. An der Schwelle zwischen Profitum und Amateurklasse stehen viele Vereine vor der Wahl, sich finanziell zu übernehmen – oder aufzugeben.