Der Bundestrainer nominiert Debütanten wie Moukoko und Füllkrug, aber auch vier Weltmeister von 2014. Flick scheint mit seiner Personalauswahl ein schlüssiges Konstrukt gelungen zu sein.
Es kam, wie es kommen musste: Im ersten WM-Spiel blieb Matthäus auf der Bank, im zweiten wurde er zur Pause eingewechselt, im dritten stand er in der Startelf – und im vierten spielte er erstmals als Libero. Anstelle von Olaf Thon.
Der fünfte Innenverteidiger im Kader: In dieser Rolle hat Hansi Flick Mats Hummels eher nicht gesehen – und sich stattdessen für den erst 20 Jahre alten Armel Bella-Kotchap entschieden. Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass der Rookie vom FC Southampton in Katar zum Einsatz kommen wird. Ebenso unwahrscheinlich ist allerdings, dass Bella-Kotchap, der im Sommer vom VfL Bochum in die Premier League gewechselt ist, mit dieser Rolle hadern wird.
Flick hat explizit davon gesprochen, dass er bei der Kaderzusammenstellung vielleicht auch schon „ein bisschen die Zukunft im Blick“ gehabt habe. Mit Youssoufa Moukoko, der noch ohne Länderspieleinsatz ist, hat er einen weiteren extrem jungen Spieler nominiert. Der Stürmer von Borussia Dortmund wird am Tag des Eröffnungsspiels volljährig.
Die Personalauswahl für ein großes Turnier birgt immer einige Brisanz. Warum den und nicht den? Gemessen an den üblicherweise hitzigen Debatten deutet einiges darauf hin, dass Flick diesmal ein durchaus stimmiges Konstrukt gelungen ist – auch wenn man über Details natürlich immer streiten kann: Warum jetzt noch mal Karim Adeyemi?
Die meisten Entscheidungen des Bundestrainers lassen sich schlüssig erklären. Es ist schlüssig, dass er, bei aller persönlichen Tragik, auf Marco Reus verzichtet. Der Offensivspieler des BVB, einer der besten deutschen Fußballer der vergangenen Dekade, verpasst nach der WM 2014 nun auch das wohl letzte große Turnier seiner Karriere. Reus, 33 Jahre alt inzwischen, hat sich im September verletzt und ist nicht rechtzeitig fit geworden. „Es tut einfach weh“, sagte Flick.
Es ist schlüssig, dass der Freiburger Vielspieler Christian Günther als Linksverteidiger mit nach Katar fährt – und nicht Robin Gosens, der bei Inter Mailand zu selten zum Einsatz kommt und dem dadurch laut Flick der nötige Rhythmus für ein solches Turnier fehlt. Es ist schlüssig, dass neben dem blutjungen Moukoko auch Niclas Füllkrug dabei ist. Der 29-Jährige ist ebenfalls noch ohne Einsatz im DFB-Team, ist mit zehn Toren für Aufsteiger Werder Bremen aber aktuell der beste deutsche Angreifer der Bundesliga.
Flick ist sicher, „dass dieser Kader uns sehr, sehr viele Optionen bietet“. Füllkrug, ein typischer Strafraumstürmer, zum Beispiel fügt ihm eine hinzu, die es so bisher nicht gab. Für den Bremer ist ganz sicher kein Stammplatz reserviert, aber auch er dürfte froh sein, dass er in fortgeschrittenem Alter überhaupt noch die Chance auf eine WM-Teilnahme bekommt. „Wir haben es uns nicht einfach gemacht“, sagte der Bundestrainer. „Wir haben mehrere Dinge durchgespielt.“
Flicks Kader verfügt über eine gute Balance aus Tradition und Moderne. Es gibt junge Spieler, die eher zum Lernen mit nach Katar fahren, und gestandene Haudegen, die dem Team ein tragfähiges Gerüst geben sollen. Vier Weltmeister von 2014 sind noch dabei. Oder wieder, wie Mario Götze.
Vor fünf Jahren hat der Frankfurter zuletzt für die Nationalmannschaft gespielt. Er hat schwere Phasen hinter sich, zuletzt aber immer mehr zu alter Klasse zurückgefunden. Flick sieht den 30-Jährigen nun wieder „auf einem ganz, ganz hohen Niveau“. Ob das angesichts der starken Konkurrenz im zentralen offensiven Mittelfeld für einen Platz in der Startelf reicht, das sei mal dahingestellt. Aber wenn jemand weiß, dass man auch von der Ersatzbank kommend Geschichte schreiben kann, dann ist es Mario Götze.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.