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Pro­fessor Jürgen Busch­mann, dass die Grie­chen das Vier­tel­fi­nale erreicht haben, hat die meisten Fuß­ball­fans über­rascht. Sie und Ihre Mit­ar­beiter als Experten wahr­schein­lich nicht.
Doch, uns auch. Da haben uns die Grie­chen ein dickes Ei ins Nest gelegt. Ich hatte nach der Aus­lo­sung Anfang Dezember die 15 Mann­schaften in A- und B‑Teams ein­ge­teilt. Zu den A‑Teams, die wir beson­ders gründ­lich ana­ly­sierten, gehörten unsere Vor­runden-Gegner und die poten­zi­ellen Gegner im Vier­tel­fi­nale, zu denen wir aber nur Polen, Tsche­chien und Russ­land zählten. Jetzt mussten wir ein paar Nacht­schichten ein­legen. Mon­tag­mittag war Dead­line, bis dahin mussten wir unsere Aus­wer­tung der grie­chi­schen Mann­schaft an Jogi Löw und sein Trai­ner­team mit den­selben umfang­rei­chen Infor­ma­tionen wie bisher lie­fern.

Können Sie uns denn ver­raten, wie das Abwehr­boll­werk der Grie­chen zu über­winden ist?
Nein, das darf ich natür­lich nicht. Der Feind“ liest ja mit.

Es heißt, so ein Gegner-Dos­sier umfasst bis zu 800 Seiten.
Das ist das abso­lute Maximum. In der Regel sind es 300 bis 500 Seiten. Nehmen wir das Bei­spiel Por­tugal, den ersten Gegner bei der EM: Da haben wir zehn DVDs mit den jeweils wich­tigsten fünf Qua­li­fi­ka­tions- und Freund­schafts­spielen ana­ly­siert. Zunächst erfolgte eine quan­ti­ta­tive Auf­lis­tung, jeder Ball­kon­takt wird fest­ge­halten. Das sind pro Partie etwa 1.500 bis 2.000 Aktionen. Um die grund­le­genden tak­ti­schen und tech­ni­schen Aspekte des Spiels zu betrachten, erfolgt eine soge­nannte qua­li­ta­tive Ana­lyse: Wie ist der Spiel­aufbau, gibt es bestimmte Muster, wie ver­hält sich eine Mann­schaft nach Rück­stand? Aber es geht auch um die Stärken und Schwä­chen von ein­zelnen Spie­lern im Per­sön­lich­keits­be­reich oder die Frage, mit wel­chen Erwar­tungen der eigenen Fans die Mann­schaft zur EM fährt. Dafür ana­ly­sieren wir die Medi­en­be­richte in den jewei­ligen Län­dern.

Mal Hand aufs Herz, hatten Sie damit gerechnet, dass die als spiel­stark gel­tenden Por­tu­giesen gegen Deutsch­land so defensiv beginnen?
Ja. Es ist alles so ein­ge­treten, wie wir es erwartet hatten, nicht nur im Por­tugal-Spiel, son­dern auch in den Par­tien gegen Hol­land und gegen Däne­mark. Bei den Nie­der­län­dern hatten wir viele Schwä­chen erkannt, vom Abwehr­ver­halten bis zum man­gel­haften Team­geist. Das ein­zige, was mich wirk­lich über­rascht hat, war die Tat­sache, dass die deut­sche Mann­schaft gegen Por­tugal am Ende kör­per­lich, aber auch geistig nach­ge­lassen hat.

Gab es schon eine Rück­mel­dung vom DFB-Trai­ner­team in Polen?
Hansi Flick hat gleich nach dem ersten Spiel eine SMS geschickt, mit dem Inhalt: Super Arbeit Team Köln, wir sind stolz auf Euch.“ Und Oliver Bier­hoff hat uns in einer Pres­se­kon­fe­renz lobend erwähnt. Das tut gut.

Wel­chen Anteil hat denn das Team Köln“ am bis­lang makel­losen Ergebnis der DFB-Elf bei der EURO 2012?
Man kann nicht sagen, dass wir in Köln pro­zen­tual an einem Sieg betei­ligt wären. Das wäre Blöd­sinn. Wir gewinnen keine Spiele, son­dern leisten einen kleinen Bei­trag dazu. Die Arbeit einer Scou­ting-Abtei­lung wird umso wich­tiger, je höher und aus­ge­gli­chener das Niveau ist. Da kann die eine oder andere Klei­nig­keit den Unter­schied aus­ma­chen. Wir helfen dem Trai­ner­stab, die rich­tigen Ent­schei­dungen zu treffen.

Haben die anderen EM-Teil­nehmer einen ähn­lich starken Scou­ting-Apparat im Rücken?
Nein, in aller Beschei­den­heit möchte ich behaupten, dass wir eines der besten Sys­teme haben. Nie­mand arbeitet so fun­diert und wis­sen­schaft­lich. Dabei ist das Ganze aus einem Zufall heraus ent­standen. Ange­fangen hat alles 2005, als Jürgen Klins­mann, Jogi Löw und DFB-Pres­se­spre­cher Uli Voigt vor einem Freund­schafts­spiel in Rot­terdam zusam­men­saßen und fest­stellten, dass der DFB gar nicht so viele Trainer beschäf­tigte, um die anderen 31 qua­li­fi­zierten Teams wirk­lich gründ­lich ana­ly­sieren zu können. Da meinte Uli Voigt, er habe einen guten Freund an der Uni, der könne viel­leicht wei­ter­helfen. Und das war ich. Für die WM 2006 haben wir noch mit 16 Stu­denten 31 Mann­schaften durch­leuchtet. Jetzt bei der EM 2012 sind es 45 Stu­denten für 15 Teams. Die Sache hat sich stetig wei­ter­ent­wi­ckelt. Ohne Jürgen Klins­mann wären wir aber sicher nicht so weit.

2006 im Vier­tel­fi­nale gegen Argen­ti­nien fei­erte die neu­ge­schaf­fene Scou­ting-Abtei­lung ihren ersten großen Erfolg.
Die Sache mit dem Leh­mann-Zettel, das war natür­lich spek­ta­kulär. Aber wir haben den Zettel nicht geschrieben, das war schon Andreas Köpke und es war auch seine Idee. Aber die Ergeb­nisse, wo die Schützen ihre Elf­meter hin­schießen, waren von uns.

Was musste man mit­bringen, um in Ihr Ana­lyse-Team für die EURO 2012 auf­ge­nommen zu werden?
Man sollte schon im mitt­leren oder höheren Ama­teur­be­reich selbst spielen oder gespielt haben. Erfah­rungen als Jugend­trainer waren von großem Vor­teil. Da blieben dann 60 bis 70 Bewerber übrig, die eine Schu­lung bekommen haben, sich in die Soft­ware ein­ar­beiten und 100 Seiten Fach­vo­ka­bular aus­wendig lernen mussten. Wir können mit dem Aus­druck Zwei­kampf“ nichts anfangen, das ist zu ungenau. Wir spre­chen zum Bei­spiel vom Unter­binden eines geg­ner­über­win­denden Dribb­lings oder einer pass­ver­hin­dernden Aktion. Nach dem anschlie­ßenden Eig­nungs­test, bei dem jeder Aspi­rant ein Spiel ana­ly­sieren und schrift­lich aus­werten sollte, haben wir dann 50 Leute genommen, wobei ein paar von denen nicht immer ganz zuver­lässig waren, so dass wir am Ende einen Stamm von 45 Mit­ar­beiter hatten.

Klingt nach hartem Aus­le­se­ver­fahren.
Ist es auch. Und es ist auch harte Arbeit, was die Jungs und Mädels leisten – wir haben auch zwei Frauen in unseren Reihen. Man darf sich das nicht so vor­stellen, dass wir alle zusammen ein Spiel anschauen, dabei ein Bier­chen trinken und nebenbei ein biss­chen ana­ly­sieren. Dahinter steckt wis­sen­schaft­li­ches Arbeiten. Wir haben das mal zusam­men­ge­rechnet. Wenn einer allein das alles gemacht hätte, wäre er in der Zeit­spanne von Weih­nachten bis vor der EM auf 1,4 Arbeits­jahre gekommen.

Wird der Ein­satz denn ent­spre­chend ent­lohnt?
Geld bekommen die Stu­denten nicht.

Nur ein feuchter Hän­de­druck für den Dienst am Vater­land? Der DFB gilt ja nicht gerade als arm.
Ich denke, es geht unseren Stu­denten nicht ums Geld. Sie freuen sich dar­über, so pra­xisnah for­schen zu können. Es gibt klei­nere Zuwen­dungen, zum Bei­spiel ein Aus­wärts­trikot, falls gewünscht mit Unter­schriften der Spie­lern. Und wenn Hansi Flick und Urs Sie­gen­thaler da waren, ging das Essen immer auf die Rech­nung des DFB. Aber das wich­tigste ist das Arbeits­zeugnis, das am Ende aus­ge­hän­digt wird – mit der Unter­schrift von Jogi Löw. Das ist mehr wert als 500 Euro.

Pro­fessor Busch­mann, wer wird Euro­pa­meister?
Deutsch­land und Spa­nien werden im End­spiel stehen. Und ich gehe davon aus, dass wir nicht ein drittes Mal gegen Spa­nien ver­lieren.