Gestern ist HSV-Legende Özcan Arkoc im Alter von 81 Jahren in Hamburg verstorben. Er war der erste türkische Fußballprofi in Deutschland – und sprach mit uns einst über Döner in Hamburg, Pionierarbeit und ein kaputtes Tornetz.
Besiktas wollte Sie ursprünglich gar nicht ziehen lassen. Es soll richtig Ärger gegeben haben. Was war der Grund?
Sie drohten, mich bei der Uefa anzuschwärzen, wenn ich nach Wien wechseln würde. Ich antwortete: „Mir egal, dann pausiere ich ein Jahr und arbeite irgendwo.“ Schließlich gaben sie klein bei, allerdings nicht ohne einen Vertrag aufzusetzen, in dem sie sich zusichern ließen, dass ich, falls ich in die Türkei zurückkehre, nur bei Besiktas spielen dürfte.
Und Sie stimmten zu?
Im Wissen, dass ich eh nie wiederkommen würde.
Es hätte in Westeuropa auch schiefgehen können.
Darüber dachte ich nicht nach, denn ich war sehr ehrgeizig.
Sie bekamen keinen Kulturschock?
Österreich erschien sehr weit weg. Aus dem Zug sah ich auf die bergigen Landschaften. Dann die Blicke der Menschen, von denen viele noch nie einen Türken gesehen hatten. Viele sprachen mit mir wie mit einem Kleinkind. Dennoch: Heimweh hatte ich nie. Tatsächlich habe ich meine Urlaube nur in den ersten vier Jahren in der Türkei verbracht. Seitdem war ich sehr selten dort.
Das alles ist über 50 Jahre her, und Sie erinnern sich an die Daten, als sei es gestern gewesen. Woran liegt das?
Ich habe alles abgeheftet in Ordnern. Ich archiviere gerne Dinge (zeigt auf zwei Leitz-Ordner, auf denen HSV und Austria Wien stehen).
Hängt das mit Ihrer Liebe zum geschriebenen Wort zusammen?
Vielleicht. Als ich zum HSV wechselte, arbeitete ich als Teilzeit-Journalist. Aus Hamburg schrieb ich einmal die Woche für die „Milliyet“. Die Türken fanden das sehr interessant, schließlich war der Fußball in Deutschland eine andere Welt für sie.
Warum haben Sie überhaupt geschrieben? Reichte das Geld, das Sie mit Fußball verdienten, nicht zum Leben?
Das Schreiben war ein Hobby. Meine Mitspieler rieten mir aber, etwas Bodenständiges aufzubauen, also eröffnete ich 1970 eine Gaststätte.
Nach dem Vorbild von Günter Netzers „Lover’s Lane“?
Nein, unsere Gaststätte „Bei Özcan“ – versichert übrigens von meinem Mitspieler Willi Schulz – war keine Party-Lokalität. Es war eine Mischung aus Kneipe und Restaurant. Es gab Frühschoppen, und montags, wenn wir trainingsfrei hatten, kamen die Spieler vorbei. Und natürlich gab es auch Speisen.
Was denn?
Alles mögliche, donnerstags servierten wir zum Beispiel Döner. Die Leute waren begeistert, denn sie hatten so etwas noch nie gegessen. Doch die Zeit mit der Gaststätte war nicht einfach, ich war ständig beim Training oder bei Spielen, während meine Frau bis spät in die Nacht hinter dem Tresen stand. Als unsere Ehe immer mehr darunter litt, haben wir sie geschlossen. Meine Frau hat dann eine Schneiderei gehabt.
Sie war eigentlich Schauspielerin. Warum hat sie in Deutschland keine Filme mehr gedreht?
In der Türkei hat sie viel als Theater- und Film-Schauspielerin sowie Synchronsprecherin gearbeitet. Sie war zum Beispiel die türkische Stimme von Hildegard Knef. In Hamburg hat sie einmal eine Hauptrolle in einem Fernsehfilm gespielt und später auch in Tom Toelles Serie „Der Fall von nebenan“. Irgendwann wollte sie aber nicht mehr, weil sie häufig nur die Klischee-Türkin spielen sollte.
Wie war das bei Ihnen: Waren Sie der Fremde in der Mannschaft?
Ich war der Ausländer. Das lag aber nicht mal daran, dass ich aus der Türkei kam, sondern an der Tatsache, dass 90 Prozent meiner Mitspieler aus Hamburg kamen. Die scherzten schon über Kollegen, die in Buxtehude geboren waren. Fremdenfeindlichkeit wie einige Spieler in den achtziger oder neunziger Jahren habe ich allerdings nie erfahren.
Coskun Tas erzählte einmal, dass 1959 in der Stadt Köln 18 Türken angemeldet waren – einer davon war er. Wie war es bei Ihnen, als Sie 1967 nach Hamburg kamen?
Da war es schon ein wenig anders, schließlich war sechs Jahre zuvor der Gastarbeiterabkommen zwischen der Türkei und Deutschland geschlossen worden. Allerdings waren die türkischen Gemeinschaften anfangs gar nicht so sichtbar, ich habe mich auch nicht wirklich darum bemüht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Nur manchmal sah ich Landsleute, wenn ich am Steindamm auf einem kleinen türkischen Markt einkaufen ging. Meistens ging ich aber in einen normalen deutschen Supermarkt.
Die Deutschen begegneten Ihnen nicht mit Vorurteilen?
Was kaum jemand weiß: Türken galten im Deutschland der sechziger Jahren als diszipliniert und fleißig. Im Gegensatz zu Gastarbeitern aus Italien oder Griechenland. Es gab auch noch keine Türkenwitze oder Islamhass, das kam alles viel später. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre.
Hatten Sie das Gefühl, eine Art Botschafter zu sein?
Nein. Was hätte ich auch tun sollen? Türkische Gastarbeiter zu Uwe Seeler bringen und sagen: Jetzt integriert euch! Wissen Sie, ich finde, man muss diesen Nationalitätsgedanken überwinden. Ich habe mir jedenfalls nie viel aus der Herkunft meiner Mitmenschen gemacht. Ich war und bin mit Menschen befreundet, die ich gerne mag – egal ob sie Türken oder Deutsche sind. So war es damals schon: Wenn ich mit Deutschen zusammensaß, fand ich es schön, für sie Kebap oder Köfte zu machen. Wenn ich mich mit Türken traf, habe ich ihnen erklärt, was „Hummel, Hummel – Mors, Mors“ heißt ist. Ich tat das aber nicht, weil ich dachte: Ich muss die Kulturen miteinander verbinden. Ich tat es, weil ich glaubte, es könnte die Leute interessieren.
Wie fühlen Sie sich heute: Als Deutscher oder als Türke?
Als Deutscher mit türkischen Wurzeln. Ich habe ja auch seit 1980 einen deutschen Pass.
Sie waren der erste Türke in der Bundesliga. Macht es Sie stolz, ein Pionier zu sein?
Ein Fehler, der sich viele Jahre gehalten hat. Der Türke Aykut Ümnyazici spielte bereits von 1961 bis 1965 bei Eintracht Braunschweig, zwar auf Amateurbasis, aber ab 1963 als Teil der Bundesligamannschaft. Zudem war Coskun Tas 1959 von Besiktas zum 1. FC Köln gewechselt – allerdings hat er nie Bundesliga gespielt. Wenn Sie mich also als Pionier wollen: Ich war der erste Vollprofi in der Bundesliga sowie der erste und bis heute einzige türkische Bundesligatrainer. Das macht mich ein wenig stolz.
Bei wem fanden Sie denn Anschluss?
Wir waren die besagten Elf Freunde. Dabei waren die Charaktere recht unterschiedlich. Hier die Studenten, dort die Typen, die frei nach Schnauze redeten und ständig rumscherzten. Kennen Sie die Geschichte von Charly Dörfel, wie er sich an einer Palme verletzte?
Nein.
Es passierte bei einer Reise durch Indonesien. Er wollte unbedingt eine Kokosnuss von einer Palme holen und kletterte mit nacktem Oberkörper den Baumstamm hoch. Danach rutschte er lässig hinunter. Doch als er wieder unten ankam, schrie er vor Schmerzen. Er hatte sich am Holz seinen Bauch aufgerissen und alles war voll mit Blut. So habe ich ihn kennengelernt.
Wie kamen Sie mit Uwe Seeler aus?
Super. Im Winter 1967, ein halbes Jahr nach meiner Ankunft, lud er meine Frau und mich zum Weihnachtsessen ein. Es gab Forelle Blau, köstlich. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gegessen.
Konnten Sie da schon Deutsch?
Ich habe schon in der Türkei den „Kicker“ gelesen und mit einer Kassette ein wenig Deutsch gelernt. Außerdem paukte ich wie verrückt Italienisch, denn ich träumte davon, eines Tages zu Inter Mailand zu wechseln.
Sie haben gesagt, Ihr HSV-Team bestand nur aus Freunden. Wie war es denn für den langjährigen Torwart Horst Schnoor, als er merkte, dass Sie ihn verdrängten?
Er konnte ja nichts daran ändern, denn er hatte eine Achillessehnen-Verletzung zugezogen. Die Ärzte wussten damals, dass er über ein halbes Jahr ausfallen würde, denn kurz zuvor hatte auch Uwe Seeler eine solche Verletzung erlitten. Als ich kam, war ich also sofort Stammtorhüter – und blieb es bis 1975.
Einmal hätten Sie Ihren Posten beinahe verloren…
…weil ich 500 Gramm zu viel auf die Waage brachte. Als Manager Georg Knöpfle das mitbekam, tobte er und beorderte einen Torwartwechsel an. Beim nächsten Spiel gegen den FC Bayern stand plötzlich Gert Girschkowski im Tor – und wurde nach 35 Minuten wieder vom Feld genommen.